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Bei den sog. eigenhändigen Delikten ist eine nicht-eigenhändige Mittäterschaft ausgeschlossen. Die allgemeine Anerkennung dieses Ergebnisses darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass höchst umstritten ist, ob eine eigenständige Kategorie der eigenhändigen Delikte anzuerkennen ist[179] und ggf. welche Delikte unter diese Gruppe fallen. Die Einzelheiten sind Fragen des Besonderen Teils. An dieser Stelle sollen einige Hinweise zu einzelnen Delikten genügen. Als klassisches Beispiel eines eigenhändigen Delikts gilt der Inzest (§ 173 StGB). Das hat zur Folge: Wer nicht selbst eine verwandtschaftliche Beziehung hat und den tatbestandsmäßigen Beischlaf vollzieht, kann noch so tatbeherrschend auftreten, aber dennoch kein Mittäter sein.[180] Auch die Verkehrsdelikte gelten als eigenhändige Delikte, die nur von dem täterschaftlich verwirklicht werden können, der das Fahrzeug führt. Freilich muss man sich fragen, was die Beschreibung als eigenhändiges Delikt in diesem Fall bewirken soll. Denn die Verkehrsstraftaten lassen sich ohne Probleme auch als Sonderpflichtdelikte einordnen, die den Fahrer als sonderverpflichteten Täter voraussetzen. Gleiches gilt für den Zeugen der Falschaussagedelikte, der allein in der staatsrechtlichen Sonderpflichtenstellung des Aussagenden steht, so dass sich auch hier ein Sonderpflichtdelikt annehmen lässt.
II. Sonderpflichtdelikte
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Auch besondere Pflichten, die erst eine Täterschaft begründen, können über § 25 Abs. 2 StGB nicht zugerechnet werden. Täter eines solchen Pflichtdelikts kann nur sein, wer selbst verpflichtet ist. Der Extraneus kann dagegen selbst bei vollständiger eigenhändiger Tatausführung nur Teilnehmer sein. Dies setzt freilich eine taugliche Haupttat voraus und wirft die Frage auf, ob und inwiefern der Verpflichtete auch dann Täter sein kann, wenn er bei der eigentlichen Tatbegehung nicht mitwirkt. Namentlich Roxin begründet die Täterschaft bei den Pflichtdelikten nicht wie bei den Begehungsdelikten mit dem Prinzip der Tatherrschaft, sondern meint, Strafgrund der Pflichtdelikte sei die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Pflicht. Diese Pflichtverletzung könne auch der begehen, der an der eigentlichen Tatausführung nicht mitwirke. Bei den Pflichtdelikten ersetze daher die Pflichtenstellung das Merkmal der Tatherrschaft, so dass der Intraneus auch dann Täter sei, wenn sich seine Mitwirkung auf einen geringfügigen äußeren Beitrag beschränke.[181]
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Auch Murmann geht davon aus, dass der spezifische Unrechtsgehalt der Pflichtdelikte nur dem Intreaneus zugänglich sei, da diesem allein die Pflicht zur Wahrung des betreffenden Rechtsguts obliege. Das darin begründete Rechtsverhältnis verletze er selbst täterschaftlich auch dann, wenn er selbst nicht die Ausführungshandlung begehe.[182] Murmann ersetzt damit nicht die Tatherrschaft durch die Pflichtenstellung, sondern begründet die Tatherrschaft aus der Pflicht. Die gleiche Konsistenz erreicht die Begründung Kindhäusers, der die Mittäterschaft allgemein auf die Zuständigkeit des Täters für die Erfüllung von Pflichten gründet und deshalb bei den Pflichtdelikten die Täterschaft auf die Verletzung der Sonderpflicht gründen kann.[183]
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Doch greift auch dieses Verständnis von Tatherrschaft zu kurz. Eine allein auf die Sonderpflicht gegründete Täterschaft ist weder mit den geltenden gesetzlichen Regelungen noch mit der Begründung des Rechts allgemein und der Mittäterschaft im Besonderen aus der Freiheit des Einzelnen vereinbar. Vgl. auch insgesamt → AT Bd. 3: Noltenius, § 50 Rn. 109 ff.
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Die besondere Täterstellung, namentlich bei den Amtsdelikten, begründet erst die Täterschaft. Würde hier die Pflichtenstellung die Tatherrschaft ersetzen, wäre die spezielle Erweiterung der Pflichtdelikte in § 340 („… oder begehen läßt“) und § 344 StGB („… oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt“) nicht erforderlich.[184] Die Behauptung, dass diese Ergänzung in den anderen Pflichtdelikten nur aus stilistischen Gründen unterblieben sei,[185] trifft jedenfalls den Kern des Problems nicht: Es geht nicht um die anderen Tatbestände, sondern um die Frage, warum der Gesetzgeber die dann wohl sinnlose Ergänzung bei §§ 340, 344 StGB vorgenommen haben soll. Es könnte vielmehr ebenso davon ausgegangen werden, dass die Ergänzung durchaus notwendig war, um die Täterschaft des sich im Hintergrund haltenden Pflichtunterworfenen begründen zu können.[186] Hinzu kommt, dass die sog. Pflichtdelikte eine Beschränkung des strafbaren Verhaltens darstellen: Die Verletzung des Rechtsverhältnisses kann nur durch den besonders Verpflichteten erfolgen, erfordert aber gleichwohl mindestens ein gemeinsam-gleichwertiges Ausführen der tatbestandsmäßigen Handlung. Denn die Verletzung verlangt bei diesen Delikten eben auch die Verletzung des Rechtsgutsobjekts. Täterschaft erfordert demnach auch die Herrschaft über die Verletzung des Rechtsgutsobjekts. Kommt dem Verpflichteten diese Herrschaft nicht zu, weil allein der Extraneus die Verletzung ausführt, scheidet seine Täterschaft aus. Der Extraneus ist gar nicht in der Position, einen wechselseitigen Tatentschluss bezogen auf die gemeinsame Tat mit dem Haupttäter zu fassen, weil er mangels Verpflichtung keinen originär-eigenen Unrechtsentschluss bildet, sondern von vornherein nur akzessorisch zum Verpflichteten Unrecht verwirklichen kann. Der Intreaneus wiederum ist allein der Pflicht unterworfen und nur von ihm verlangt das Recht, seinem Handeln keine pflichtwidrig-unrechtmäßige Zwecksetzung zugrunde zu legen.
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Die Diskussion bezieht sich im Wesentlichen auf einige bestimmte Delikte. (1) Bei §§ 340, 344 StGB gilt: Der Extraneus verwirklicht allenfalls (mittäterschaftlich) den „Grundtatbestand“ (Körperverletzung, (versuchte) Nötigung), der Intraneus ist Mittäter der „Qualifikation“ und zwar auch dann, wenn er selber nur einen geringen Beitrag leistet. Dies allerdings nicht kraft § 25 Abs. 2 StGB, sondern kraft der tatbestandlichen Fassung der §§ 340, 344 StGB. (2) Für §§ 332, 334 StGB, die diese Fassung nicht aufweisen, lässt sich eine Mittäterschaft dagegen nicht allein auf die besondere Täterpflicht gründen. Nimmt ein Beamter nicht selbst einen Vorteil entgegen, so verletzt er selbst keine Pflicht. Der Fall der „mittelbaren Bestechung“, in dem die Vorteile einem Angehörigen des Beamten zugewendet werden,[187] hat sich mit der Einführung der Drittvorteilsannahme insoweit erledigt. Anders gelagert ist die Frage, ob Mittäterschaft zweier Beamter vorliegen kann, wenn beide einen Vorteil erhalten, aber nur der eine die pflichtwidrige Diensthandlung vornimmt bzw. vornehmen soll. Nach der Rechtsprechung soll es genügen, dass die Handlung für jeden Beteiligten pflichtwidrig ist und jedenfalls zum Teil in das Amt einschlägt.[188] Dies solle eine mittäterschaftliche Zurechnung der vorgenommenen oder vorzunehmenden Handlung erlauben. § 332 StGB fordert aber, dass der Amtsträger seine Pflichten dadurch verletzt, dass er eine Diensthandlung vornimmt. Die Diensthandlung des anderen kann sich aber nicht als eigene Diensthandlung des Beamten darstellen. In vielen Fällen wird die Bezugshandlung durch andere Diensthandlungen (z.B. Nicht-Meldung) ersetzbar sein. Wo dies aber nicht der Fall ist, kann der Beamte A seine Dienstpflicht nicht (mittäterschaftlich) dadurch verletzen, dass der Beamte B eine Diensthandlung vornimmt. Eine mittäterschaftliche Zurechnung der Bezugshandlung scheidet deshalb entgegen der wohl h.M. aus. (3) § 266 StGB: Wer als Vermögensbetreuungspflichtiger nur einen geringen Beitrag zur Veruntreuung durch einen anderen Vermögensbetreuungspflichtigen leistet oder einen Nicht-Vermögensbetreuungspflichtigen das Geld aus der Kasse nehmen lässt, ist nicht allein deshalb Mittäter des § 266 StGB. In vielen Fällen wird aber die Vermögensbetreuungspflicht hier durch Unterlassen verletzt sein, so dass ein täterschaftlicher Einfluss auf dieses Unterlassen gegründet werden kann.
III. Mittäterexzess
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Zugerechnet werden können nach § 25 Abs. 2 StGB nur solche Tathandlungen, die vom gemeinsamen Tatplan umfasst sind. Geht ein Täter über diesen Tatplan hinaus, so kann den anderen Beteiligten dieser Exzess nach allgemeiner Ansicht nicht zugerechnet werden.[189] Allerdings ist es denkbar, dass ein bestimmtes Verhalten zwar nicht konkret geplant war, der Tatplan aber für Abweichungen offen war und Verhalten, was sich im Rahmen dieser Offenheit bewegt, keinen Exzess begründet. Maßgeblich ist