26
Die Methodendebatte im Bereich der Rechtsanwendung hat die Horizonte von Subsumtionsmodell und Justizsyllogismus hinter sich gelassen. Diskutiert wird, ob eine Entscheidung im Sinne des kritischen Rationalismus nur der methodischen Rechtfertigung und Darstellung bedarf[138] oder ob in den Bahnen klassischer Hermeneutik auch eine methodische Durchdringung des Herstellungszusammenhangs geboten ist.[139] Jenseits des wissenschaftstheoretischen Credos und der notwendigen Kontextuierung auch der Entscheidungsrechtfertigung geht es um die Selektivität des rechtlichen Zugriffs, die zumindest in der Kontrollperspektive eine sinnvolle Entlastung unter anderem von subjektiven Motivationen verschafft. Rechtlich statuierte Verfahrensanforderungen werden damit nicht aus der Steuerungs- und Kontrollfunktion entlassen, jedenfalls sofern ihre Verletzung nicht normativ unbeachtlich gestellt ist.[140] Zudem steht eine steuerungswissenschaftlich angelegte und informierte Verwaltungsrechtswissenschaft permanent vor der Frage, welche Aspekte und Bereiche der Entscheidungsverfertigung normativer Ausgestaltung und Strukturierung bedürfen. Die methodische Reflexion des Rechtsanwendungsprozesses gilt zunächst der Erfassung des „Problem(lösungs)bereichs“, dessen Zurichtung im Zentrum alternativer Konfliktentscheidungsverfahren wie der Mediation steht.[141] Die unweigerlich mit Vorverständnissen belastete Normenauswahl und -konkretisierung erfolgt im Hinblick auf einen Realbereich, auf den hin die Sprachdaten des Normtextes entfaltet werden müssen, der sich jedoch ein Stück weit erst im Wege einer ihrerseits normativ gesteuerten Sachverhaltsverfertigung ergibt. Neben dem in den Rechtsstoff-, Real-, Folgeneröffnungs- und Optionenwahlbereich zergliederten Normprogrammbereich sind inzwischen auch ein Entscheidungs-, Folgenbewirkungs-, Kontroll- sowie Lernbereich in das „Aufmerksamkeitsfeld einer Neuen Verwaltungsrechtswis- senschaft“ getreten.[142] „Entscheidung als Informationsverarbeitung“[143] erzwingt schließlich die Umstellung auf eine informations- und wissenstheoretische Perspektive,[144] die in ein „Informationsverwaltungsrecht“[145] mündet, das neben Fragen von Informationsbeschaffung, -management und -rechten unter anderem der Entscheidungsrationalität unter Ungewissheitsbedingungen sowie den neuen Kommunikationsmedien einer teils virtuellen Verwaltung gilt.
27
Die Verwaltungsrechtswissenschaft ist zu neuen Ufern aufgebrochen. Das Beispiel der Verwaltungsrechtsvergleichung zeigt, wie überkommene Arbeitsweisen in der angebrochenen zweiten Phase des öffentlichen Rechts[146] einen grundlegend veränderten Stellenwert erhalten, wenn sowohl die Europäisierung als auch Internationalisierung des Verwaltungsrechts mit enormer Folgewirkung für die nationalen Verwaltungssysteme vergleichend aus den Traditionen eben dieser unterschiedlich gewachsenen (Verwaltungs-)Rechtsordnungen erarbeitet werden müssen.[147] Dies bedeutet anderes und mehr als eine fünfte, rechtsvergleichende Auslegungsmethode.[148] Zugleich sind überkommene deutsche Doktrinen wie die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft angesichts neuer Handlungs-, Organisations- und Verantwortungsformen stumpf geworden.[149] Aber auch neue Leitbilder und interdisziplinär angelegte Verbund- oder Brückenbegriffe stehen in der Gefahr, etwa durch die Rezeption sozialwissenschaftlicher Großtheorien die rechtsdogmatische Anschlussfähigkeit zu verfehlen.[150] Die Ausziselierung der dogmatischen Feinstruktur erfordert eine ausdifferenzierte Terminologie, die sich in gewisser Weise einer unterbestimmten, großflächigen Verschlagwortung entzieht.[151] Schon die Verknüpfung der rechtsakt- und verhaltensbezogenen Perspektive steht vor dem grundlegenden Problem der Übersetzung einer zwei- in eine dreiwertige Begriffslogik, in der die binären Unterscheidungen von rechtmäßig/rechtswidrig, Innen-/Außenrecht zugunsten fließender Skalenbildungen aufgebrochen werden müssen, die auch Momente der Unbestimmtheit und Unsicherheit einbeziehen.[152] Grad und Tiefe der Methodenreflexion sind dabei in der deutschen Verwaltungsrechtsgeschichte ohne Vorbild.
2. Ausdifferenzierung verwaltungsrechtlicher Teildisziplinen
28
Die Ausbildung der verwaltungsrechtlichen Fächer orientiert sich nach wie vor wesentlich an den Regelungsgegenständen. Differenzierungen nach der Art der Aufgabenstellung in Ordnungs-, Leistungs- und Infrastrukturverwaltung, nach dem Grad der Gesetzesbindung in gebundene Verwaltung und Ermessensverwaltung oder nach den Handlungsmodalitäten in obrigkeitliche und schlicht hoheitliche Verwaltung, Verwaltungsprivatrecht und Fiskalverwaltung können hinge- gen lediglich eine systematisch-dogmatische Bedeutung beanspruchen.[153] Zu den klassischen Gebieten zählen das Polizei-, Kommunal-, Bau- und Beamtenrecht, früh hinzugetreten sind das Wirtschaftsverwaltungs-, Sozial-, Haushalts-, Abgaben-, Wissenschafts- sowie Ausländerrecht, später verselbständigte sich das Umwelt- und Planungsrecht und entstanden das Datenschutz-, Medien- und Lebensmittelrecht; zu den neueren Entwicklungen rechnen das Arzneimittel-, Informationsverwaltungs- und vor allem Vergaberecht sowie das Recht der Infrastruktur- und Regulierungsverwaltung. Allesamt bilden sie den Bereich des Besonderen Verwaltungsrechts, dem das aus der frühzeitigen Abschichtung eines Allgemeinen Teils hervorgegangene Allgemeine Verwaltungsrecht gegenübersteht, worin sich die grundsätzlich für alle Gebiete des Fachverwaltungsrechts geltenden Rechtsnormen, -institute und -grundsätze wiederfinden.[154] Das äußere System des Allgemeinen Verwaltungsrechts ist mittlerweile weitgehend in den Verwaltungsverfahrensgesetzen von Bund und Ländern kodifiziert, ergänzt um das normativ zersplitterte Staatshaftungsrecht sowie das eigentlich eine Sondermaterie bildende öffentliche Sachenrecht. Ungeachtet des starken funktionellen Zusammenhangs mit dem Verwaltungsverfahrensrecht hat sich das Verwaltungsprozessrecht separat erhalten.
29
Die Rechtfertigung eines inneren Systems[155] des Allgemeinen Verwaltungsrechts liegt in seiner Natur als Ordnungsidee, die auf der „Verallgemeinerungsfähigkeit“ fachverwaltungsrechtlicher Phänomene gründet und „größere Zusammenhänge“ und „durchlaufende Entwicklungslinien“ sichtbar macht.[156] Das vergleichsweise statische, aber reformoffene Allgemeine und das tendenziell dynamische Besondere Verwaltungsrecht stehen dabei in einer „Verbundperspektive“.[157] Letztere kennzeichnet eine dialektische Mischung aus Deduktion und Induktion,[158] die auf der Idee von jeweils repräsentativen,[159] jedenfalls innovativen „Referenzgebieten“ fußt. Das Allgemeine Verwaltungsrecht erfüllt eine rechtstechnisch entlastende und vereinfachende „Speicherfunktion“, erlaubt die zentrale Einspeisung verfassungsrechtlicher Vorgaben sowie die Diskussion rechtspolitischer „Wertungswidersprüche“ und „Entwicklungsrückstände“ sowie der Rezeptionsvoraussetzungen im Rahmen der fortschreitenden Europäisierung.[160] Eine Zwischenebene mittlerer Abstraktionshöhe bilden vereinzelt entstandene „Allgemeine Teile“ des Fachverwaltungsrechts, kodifiziert im Sozial- und Abgabenrecht, versucht als „Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil“ und wissenschaftlich geleistet im allgemeinen Planungsrecht sowie im Allgemeinen Teil des Wirtschaftsverwaltungsrechts.[161] Während die Zukunft der Idee eines Allgemeinen Verwaltungsrechts im Europäisierungskontext mangels paralleler systematischer Strukturen der nationalen Verwaltungsrechtsordnungen teils mit Skepsis betrachtet wird,[162] betonen andere eine gewisse Kohärenz von europäischem und deutschem Allgemeinen Verwaltungsrecht und erhoffen für Letzteres eine erneute Schlüsselrolle bei der Überwindung