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Fleiner nahm in seine Darstellung einen Abschnitt „Neue Organisationsformen“ (§ 8) auf, insbesondere zu den „öffentlichen Betrieben“ und der „Verwaltung mit den Mitteln des Privatrechts“ in Form der „gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung“. Im Besonderen Teil von Walter Jellineks stärker gesetzespositivistisch ausgerichteten enzyklopädischen Darstellung zum „Verwaltungsrecht“ (1928) fehlten weder die „Verwaltung durch beliehene öffentliche Unternehmer“ noch die „Öffentliche Fürsorge“ oder Fragen der Sozialversicherung; im Allgemeinen Teil fand sich die Anerkennung des „öffentlichrechtlichen Vertrages“ ebenso wie die der „schlichten Hoheitsverwaltung“.[37] Zweckerwägungen spielten namentlich beim sog. freien Ermessen eine Rolle, anders als in Adolf Merkls österreichischem Entwurf, der die „Phantasmagorie einer rechtsfreien Verwaltung wie Rauhreif in der Bestrahlung der Sonne“ zerstieben sehen wollte.[38] Die mit der steten Zunahme des Stoffes unvermeidliche Ausdifferenzierung der Fächer führte zur Verselbständigung von Sozial- und Steuerrecht. Das öffentliche Wirtschaftsrecht systematisierte Ernst Rudolf Huber nach Grundformen und Rechtsschutzgesichtspunkten in seinem wegweisenden „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ (1932).[39] Das Kommunalrecht wie die Kommunalwissenschaften überhaupt erlebten einen Bedeutungsgewinn, der noch vor dem Ende der Weimarer Republik auch die Verwaltungswissenschaft erfasste.[40]
3. Niedergang im Nationalsozialismus
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Trotz seiner Technizität und Fachlichkeit war das Verwaltungsrecht samt seiner Wissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus einem beispiellosen Niedergang ausgesetzt. Nach einzelnen „Rettungsversuchen“ rechtsstaatlicher Elemente durch Anpassung an die neue Lage in der Anfangsphase dominierte bald eine nicht nur antipositivistische, antiformalistische und selbstredend antiparlamentarische, sondern geradezu gegen das rechtliche Element gerichtete Tendenz, wie sie in der Umstellung von Verwaltungsrecht auf „Verwaltung“ in Lehrbuchtiteln und Vorlesungsbezeichnungen zum Ausdruck kam.[41] Gesetzmäßigkeit sollte lediglich den „Vorrang des Führerwillens“ garantieren und „Rechtmäßigkeit“ aus einer konkreten gemeinschaftsgeprägten Ordnung resultieren, die subjektive öffentliche Rechte unter Entwertung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle durch eine „volksgenössische Rechtsstellung“ und Gewaltenteilung durch das Führerprinzip ersetzt hatte.[42] Eher etatistische Konzeptionen von sachtreuer Verwaltung im „totalen Staat“[43] konkurrierten mit einer Degradierung der Administration zum Apparat in den Händen von Führung und Bewegung.[44]
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Mit der Auflösung der Rechtsformen ging die programmatische Forderung nach einer Orientierung an der veränderten Verwaltungswirklichkeit und den Verwaltungszwecken einher, die politisch funktionalisierte Begriffe wie „Planung“ und „Raumordnung“ akzentuierte und der Verwaltungswissenschaft einen Bedeutungszuwachs bescherte.[45] Als innovativer „Brückenbegriff“ lässt sich Ernst Forsthoffs im Rückgriff auf Hegel wie Heidegger und Jaspers entwickelte und als Entsprechung zum französischen Institut der services publics gedachte „Daseinsvorsorge“ verstehen. Diese gilt einer sozialen Bedürftigkeit, in die der moderne Mensch auf Grund einer permanenten Verengung des vom Einzelnen selbst beherrschten Lebensraumes geraten sein soll.[46] Existenzielle Lebensgüter wie Wasser, Gas und Elektrizität bedürften solidarischer Veranstaltungen, an deren „Teilhabe“ ein elementares Interesse, aber auch Recht des Einzelnen bestehe, und zwar von vergleichbar höherem Stellenwert als die Garantien individueller Freiheit. Forsthoffs „glücklicher Griff“ steht im Kontext jener „Langzeitentwicklungen“ der Industriegesellschaften, die „durch den Nationalsozialismus hindurch“ gingen.[47]
4. Neubeginn unter dem Bonner Grundgesetz
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Nach der „deutschen Katastrophe“ stand der Nachdruck des Lehrbuches von Walter Jellinek (1948) für ein Wiederanknüpfen an die Bestände vor 1933. Hingegen reklamierten die zu wesentlichen Teilen schon während des Krieges verfassten Lehrbücher des unbelasteten Hans Peters und von Forsthoff einen Selbststand, der sich aus einer kaum rezipierten methodischen Verbindung von Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre und -politik[48] bzw. einem reichlich eigenwilligen Konzept rechtsstaatlicher Durchdringung einer veränderten Verwaltungswirklichkeit ergeben[49] sollte. Forsthoffs Lehrbuch blieb mit zehn Auflagen bis Anfang der siebziger Jahre die „erste Autorität im Verwaltungsrecht“,[50] wenn auch eine gewisse „rechtsdogmatische Unterbilanz“ bei dem mehr auf Leitideen als auf klassische Rechtsbegriffe ausgehenden Werk zu vermerken ist.[51] Auf Grund ihrer daseinsvorsorgenden und sozialgestaltenden Funktion, aber auch ihrer Bedeutsamkeit angesichts der Gefahren des technisch-industriellen Fortschritts führt die Verwaltung bei Forsthoff ein Eigenleben gegenüber der bürgerlich-rechtsstaatlichen Verfassung, das von eigenen Rechtsprinzipien geprägt ist.[52] Als literarisches Pendant in der frühen Bundesrepublik fungierte das dreibändige „Verwaltungsrecht“ von Hans Julius Wolff, das im Rechtsquellenkapitel in einer Nachwehe der Naturrechtsrenaissance[53] den „verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen“ immerhin noch die „Rechtsgrundsätze“ voranstellte, die zwar nur „subsidiär“ zur Anwendung kämen, aber als „unabdingbares Fundament der Gesamt- und der Teilrechtsordnungen stets höchstrangig“ seien.[54] Die Lesbarkeit des seit 1974 von Otto Bachof fortgeführten Werkes leidet unter einer Gliederungsmanie, die wohl einer systematischen Bändigung und terminologisch prägnanten Verarbeitung der wachsenden Stoffmenge dienen sollte.[55] Zu den wichtigsten Begriffsprägungen Wolffs zählt das „Verwaltungsprivatrecht“,[56] um die Verfolgung öffentlicher Zwecke in privatrechtlichen Formen zu bezeichnen und öffentlich-rechtlichen Bindungen zu unterstellen, die eine „Flucht ins Privatrecht“ partiell neutralisieren.
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Schrittweise hat sich, ähnlich wie im Italien der Nachkriegszeit, aber im Gegensatz etwa zum vergleichsweise offeneren französischen Verwaltungsrechtssystem, im bundesrepublikanischen Verwaltungsrecht und seiner Wissenschaft die „durchgängige Verfassungsabhängigkeit des Verwaltungsrechts“ durchgesetzt,[57] Ende der fünfziger Jahre überspitzt formuliert in der These vom „Verwaltungsrecht als konkretisiertem Verfassungsrecht“.[58] Impulsgebend wirkte die Anordnung unmittelbarer Grundrechtsbindung jedweder öffentlichen Gewalt in Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz, verbunden mit einer allmählichen Entfaltung von Grundrechtsfunktionen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die über die reine Eingriffsabwehr hinaus die auf die gesamte Rechtsordnung ausstrahlende objektive Wertentscheidung sowie die Teilhabe-, Schutz- und Verfahrensdimension herausstellte.[59] Hinzu trat das „formelle Hauptgrundrecht“ des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz, das gegenüber der parlamentarisch gesteuerten und kontrollierten Exekutive, wiederum angeleitet durch das Bundesverfassungsgericht, jenen effektiven Rechtsschutz eröffnete, der gegenüber der monarchischen Exekutive so nie bestanden hatte.[60] In der Folge verloren nicht nur die „besonderen Gewaltverhältnisse“ namentlich in Schule, Militär und Gefängnis ihre verfassungsrechtliche Exemtionswirkung, sondern der Vorbehalt des Gesetzes erfuhr gemäß einer aus den Grundrechten, dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip hergeleiteten Doktrin eine Ausdehnung über den klassischen Eingriffsbereich hinaus auf alle „wesentlichen Entscheidungen“ im Staat, wohingegen sich ein „Totalvorbehalt“ auch im Bereich der Leistungsverwaltung[61] nicht durchsetzen konnte.[62] Die durchschlagende Verrechtlichung ging auf der Ebene des einfachen Rechts mit einer umfassenden „Subjektivierung des Staat-Bürger-Verhältnisses“ einher,[63] die im Rahmen einer „geradezu kopernikanischen Wende“ insbesondere für drittbetroffene Nachbarn und Konkurrenten im polygonalen Verwaltungsrechtsverhältnis „unter dem Gestrüpp objektiver Normen“ und vormals reiner Rechtsreflexe zunehmend subjektiv-öffentliche Rechte entdecken ließ.[64] Administrative Entscheidungsspielräume in Form von Ermessen aber auch von Beurteilungsspielräumen in bestimmten Konstellationen der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, insbesondere im Prüfungs- und teilweise im Technikrecht, unterlagen rechtlicher Disziplinierung und einer wachsenden Kontrolldichte seitens der Verwaltungsgerichte,[65]