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Seit der Reform der Juristenausbildung im Jahre 2003 und der damit verbundenen Einführung der neuen Schwerpunktausbildung haben die Juristischen Fakultäten neben den Justizprüfungsämtern auch einen eigenen Gestaltungs- und verselbständigten Prüfungsanteil am Ersten Juristischen Staatsexamen erhalten, der sich auf immerhin 30 Prozent bemisst. Das breit gefächerte Angebot an Schwerpunktbereichen mit öffentlich-rechtlichen Inhalten oder jedenfalls modularisierten Komponenten umfasst teils klassisch den überkommenen nationalen Bereich des Verwaltungsrechts („Staat und Verwaltung“), zumeist aber das Verwaltungsrecht in seinen europäischen und internationalen Bezügen.[217]
Erster Teil Landesspezifische Ausprägungen › § 58 Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Deutschland › IV. Europäisierung der Wissenschaft vom Verwaltungsrecht
1. Perspektivenwandel und Omnipräsenz in Forschung und Lehre
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Führte das Europarecht in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine randständige Existenz in der rechtswissenschaftlichen Forschung und Lehre, so sind seine Einflüsse und Bedeutsamkeit jedoch keineswegs vollständig ignoriert worden, wie seine frühe Einbeziehung in den Kreis der verwaltungsrechtlichen Rechtsquellen belegt.[218] Periodisierungen sprechen hier von einer „Phase der Bestandsaufnahme“,[219] die auf eine „deskriptiv-ordnende“ Erfassung der in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entwickelten „Verwaltungsrechts-Grundsätze“[220] sowie der punktuellen fachrechtlichen Bezüge in den Rechtsetzungsakten der Gemeinschaft ausgerichtet war. Eine zweite, Ende der siebziger Jahre anhebende Phase der „Europäisierung“ habe den „ausgreifenden Regelungsanspruch des EG-Rechts in Verwaltungssachen“ und die durchschlagende Wirkung der EuGH-Rechtsprechung auf das nationale Verwaltungsrecht verdeutlicht,[221] was in der Wissenschaft zu euphorisch zustimmenden wie skeptisch abwehrenden, aber auch ausgleichend vermittelnden Reaktionen führte, kulminierend in den Referaten und der Diskussion der Mainzer Staatsrechtslehrertagung im Jahre 1993. Pointiert sprach der damalige Richter des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Manfred Zuleeg den „Strukturen des nationalen Verwaltungsrechts“ einen „Eigenwert“ ab,[222] den Diskussionsredner hingegen als „Verwaltungsrechtskultur eines Rechtsstaats“[223] oder mit Hinweis auf die „historische Entwicklung“, die verfassungsrechtliche Verankerung und ihre „Vernetzung als System“[224] verteidigten. Der separierten Wahrnehmung hier des ingerierenden Europarechts, dort des weitmöglichst zu bewahrenden Verwaltungsrechts entspricht die abgesonderte Stellung des Wahlfachs „Europarecht“ im akademischen Lehrbetrieb. Schließlich begann in den neunziger Jahren eine „Phase der Strukturbildung“, die einer „umgreifenden Ordnung“ der „Gesamtheit der administrativen Beziehungen in der Gemeinschaft“, d.h. des „Europäischen Verwaltungsrechts“ in einem übergreifenden Sinne gilt.[225] Verbunden hiermit ist ein Perspektivenwandel hin zu einer systematischen Einbindung des Europarechts in die verwaltungsrechtliche Dogmatik, namentlich der Handlungsformen, des Organisations-, Verfahrens- und Prozessrechts, sichtbar auch an der gegenseitigen „Zuwendung“ von vormals „reinen“ Verwaltungs- und Europarechtlern.[226] Vorbildliche Lehrbücher weisen jetzt nicht nur eigene Abschnitte über „Europäisches Recht und Verwaltungsrecht“ auf, in denen neben den Rechtsetzungs- und Handlungsformen der Union, das System der Vollziehung des Unionsrechts samt seiner Auswirkungen auf das nationale Verwaltungsrecht und den Rechtsschutz sowie die vielfältigen Verwaltungskooperationen im europäischen Rechtsraum dargestellt werden,[227] sondern durchwirken die gesamte Stoffmasse unter diesem Aspekt. Diese sachliche Verknüpfung prägt ebenfalls die verwaltungsrechtliche Lehre und hat für den Studenten zur Folge, dass auch europarechtliche Fragestellungen in die Übungs- und Examensklausuren zum Verwaltungsrecht Einzug halten.
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Der voranschreitende Europäisierungsprozess hat nicht nur ausgewählte Referenzgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts, wie namentlich das Umwelt-, Wirtschaftsverwaltungs-, Vergabe- und Regulierungsverwaltungsrecht ergriffen, das bereits seine Existenz weitgehend der europarechtlichen Liberalisierung unter anderem der Telekommunikation verdankt.[228] Unberührt sind selbst das Kommunal-, Beamten- und Polizeirecht nicht geblieben. Die „strukturelle Tiefenwirkung“ der Europäisierung hat vor allem auch Kernbereiche des Allgemeinen Verwaltungsrechts und Verwaltungsprozessrechts erfasst.[229] Wie dürren Zunder traf der gleißende Blitz des Gemeinschaftsrechts etwa die deutsche Dogmatik der Rücknahme von Verwaltungsakten im Falle gemeinschaftswidriger Beihilfen und stellte die gesetzlichen Grundentscheidungen in puncto Vertrauensschutz, Rücknahmeermessen und -frist in einem Ausmaß in Frage, dem nur schwerlich mit Hilfe einer europarechtskonformen Auslegung Rechnung getragen werden kann. Attackiert sieht sich auch die deutsche Konzeption subjektiv-öffentlicher Rechte, insbesondere in Form der sog. Schutznormtheorie, da das Gemeinschaftsrecht nicht zuletzt deswegen viel großzügiger Klagebefugnisse zuspricht, um den Einzelnen im Wege einer „funktionalen Subjektivierung“ zugunsten der effektiven Wirkung des Gemeinschaftsrechts in die gerichtliche Vollzugskontrolle einzuspannen.[230] Dieselbe Tendenz findet sich im Staatshaftungsrecht, in dem der EuGH durch die Ausbildung eines gemeinschaftsrechtlich fundierten Anspruchs die Rechtsposition des Einzelnen nicht nur um ihrer selbst willen, sondern zugleich zur Durchsetzung des Europarechts enorm aufgewertet hat. Ebenfalls im Gemeinschaftsinteresse hat der EuGH die Dogmatik der grundsätzlich aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte aus den Angeln gehoben und darüber hinaus den vorläufigen wie einstweiligen Rechtsschutz ganz eigenen Vorgaben unterworfen. Frühzeitig wies die Literatur auf zwei Reaktionsmöglichkeiten hin, um den unweigerlichen Veränderungen entweder in einem ein- oder zweispurigen Modell systematisch Rechnung zu tragen.[231] Zweispurig verfahren nach wie vor etwa verwaltungsrechtliche Lehrdarstellungen, die zunächst die gewachsene deutsche Dogmatik vorstellen, um dann punktuelle Abweichungen auf Grund sektoral begrenzter gemeinschaftsrechtlicher