Echsenherz. David Dour. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: David Dour
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Год издания: 0
isbn: 9783960082002
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dich nicht, mein Bruder!“ Dann begann er wie mit einer Binde den Stoff um die Augen des Blinden anzulegen. Ruhig sprach er, ein zu heftiges Zischen mühevoll unterdrückend, zu Azan: „Deine Augen sind nicht hier, wie du sicher richtig vermutest, wurdest du geblendet.“

      Auch Azan zuckte beim Klang der Stimme des Verwandelten zusammen, und sich vorsichtig zurückhaltend, frug er seinen Bruder: „Bist du es wirklich, Pyron?“

      Azan rückte den Sitz seiner Binde zurecht, griff nach der Hand auf seiner Schulter, zuckte kurz, dann sprach er: „Bei den Gottheiten! Was ist dir widerfahren?!“

      Der Blinde drehte sich um, griff nach dem Arm seines Bruders und zog sich vorsichtig daran hoch, bis er Pyrons Gesicht zu fassen bekam, er atemlos vor Furcht zu keuchen begann und der Verwandelte ihm entgegnete: „Ich, mein Bruder Azan, wurde zu einem Drachenartigen.“

      Den Völkern eigen wird erblühen der höllische Reigen, an meinen Willen sie zwingen, sie vom falschen Oras zu mir bringen.

      Ihrer Frevel Lasten und Taten werden sie erdrücken, jene, die mich nicht bekannten und warteten, sie werden an ihrem Unrat ersticken.

      Ich bin die älteste Gottheit, gekommen und gewesen noch vor Oras. Und obwohl ich ihn schuf, ist er nicht mein Sohn, nicht meines Fleisches und Blutes, nicht meines Geistes. Oras ist der, der sich selbst meiner Liebe entzogen, sich getrennt hatte von der ihn gütig gewähren lassenden Schönheit meiner. Sein und unser Fleisch, Ores, entzogen von ihm, dem selbst ernannten Göttervater, aus der aus voller Güte strahlenden Kraft der allgegenwärtigen Gunst seiner Mutter-Gottheit. Mata, er hatte verloren, doch er, der ich nicht bin, war Vorbote meines kommenden Triumphes über die verlogenen Gottheiten, den fauligen „Rat der Sieben“.

      Jene mythische Entität, welche zur damaligen Zeit seiner unserer als Beheimatung aus unserem großen Wohlwollen heraus hatte dienen dürfen, das Drachenwesen, welches Mata als Gefäß und Körper diente, wurde heimtückisch niedergestreckt: So wurden Matas, seine unsere, noblen und hehren Absichten vereitelt.

      Dieses Mal werde ich auf kein im Angesichte meiner Herrlichkeit als Göttin schwaches Medium wie das Drachenwesen zurückzugreifen, nein, meine Macht hat ausreichend Großes, mir jedwedes beliebige Gefäß als Diener oder Dienerin zu erwählen – und mit meinen Getreuen zum verdienten und gerechten Siege zu gelangen.

      Unbedeutend, was der Rat der verkommenen sieben Gottheiten auch anstreben wolle, meine mir getreuen Dämonen und gerechten Diener werden nimmer und niemals scheitern.

      Er, Seine Majestät Atuk, König von Godan, ein Mensch, war gerade neunzehn; der König hatte jungen Alters das Amt des Regenten über das Reich der Menschen beerbt und war seit zwei Sonnen, nun schon dem zweiten Sommer strebend, darin bemüht, in Weisheit zu herrschen. Zur erstmaligen, baldigen Kontaktaufnahme mit dem fürstlichen Herrscher Serktat aus Mino hatten er und die königlichen Berater sich etwas Besonderes einfallen lassen: die Glasblaskunst, das kunstvolle Anfertigen eines Schmuckstückes aus Glas, mit König Atuk als wertschätzendem Gastgeber. Neben dem geplanten Festbankett, der formellen Begrüßungszeremonie und den vertrauten Formalitäten würde Godans Hoheit das Können seiner Lehre als freundliche Überraschung am Rande dem willkommenen Gast Fürst Serktat aus Mino demonstrieren. Der Fürst würde in den frühen Stunden, im Morgengrauen, zur Mitte des mittleren Mondes dieses Herbstes eintreffen; sein Stab an Bediensteten würde ihn mit alledem versorgen, das Seine Hoheit Serktat benötigte, und er abermals fürsorglich vom Hofstab des Königs Atuk versorgt werden. Den Umständen entsprechend würde dafür gesorgt, dass zwischen den beiden Herrschern übersetzt werden könne, auch wenn die Sprachen des Reiches der Menschen und dem der Elfen – zumindest, was den Hofstaat angeht – bekannt und nur geringfügig verschieden sind. Bis es so weit wäre, sollten noch sieben Tage vergehen.

      Zur geplanten Audienz standen selbstredend nicht nur Freundlichkeiten, sondern ebenso wirtschaftliche Themenfelder zum Gespräch und auch, wie dem Rat der Gottheiten zu dienen sei, um in Erinnerung an den unvorstellbaren „Großen Krieg“ vor neun Jahrhunderten ein solches Desaster wie dieses und die diesem Kriege zugrunde liegende Korruption zukünftig zu vermeiden. Weil Seher und Seherinnen sowohl aus Godan als auch Mino das Heraufziehen einer erneuten Katastrophe ankündigten, angekündigt hatten, war dieses Thema so aktuell und brandheiß wie schon lange nicht mehr zuvor.

      In seinem prunkvollen Gemach vor dem Spiegel stehend, strich sich der junge König, welcher erst letzte Sonne Seine weibliche Majestät – Roya – kurz nach dem Tode seiner Eltern geheiratet hatte, über seine glatte Gesichtshaut. Er wollte sorgfältig darauf achten, dass sein Bartwuchs zum Eintreffen von Serktat die entsprechende Länge hatte: Weder zu kurz noch zu lange sollte sein Bart sein, um weder jugendliches Ungestüm noch Ungepflegtheit oder unangebrachte Verwegenheit zum Ausdruck zu bringen.

      Die zu Hofe Atuks beschäftigten Seher und Seherinnen, sie waren Menschen und keine Elfen, welche für gewöhnlich herausragende Meister der Magie, da sie meistens von klein auf in ihrer Begabung geschult wurden – doch des Königs Bedienstete waren tatsächlich befähigte Geister. Wirklich, es war so: Kündete einer von ihnen oder kündigten sie einen Umstand an, ob guter oder schlechter Natur – in der Regel traf er ein. Elfen, unsterblich, waren diesem Talent bezüglich nicht befähigter, sondern einfach erfahrener – sie lebten länger – und falls sie und seine eigenen Wahrsagenden eine Katastrophe verhießen, musste gehandelt werden. Nur noch sieben Tage bis zum Eintreffen des Fürsten Serktat.

      Pyron, Azan und Auroria waren noch am Strand; sie hatten begriffen, dass sie sich einander vertrauen konnten, und stockend und langsam beratschlagten sie sich: Noch immer waren sie bei der Statue Hyrus’, ihr zugegen.

      „Hast du Schmerzen, Bruder??“, frug jetzt der Drachenmann Pyron Azan. Dieser schien in tiefe Verzweiflung versunken und verneinte somit Pyrons Frage lediglich mit einem Kopfschütteln.

      „Wir sollten langsam zu unserem Heim aufbrechen und uns dort weiter besprechen. Bald ist es Mittagsstunde, wir sollten möglichst unauffällig einkehren.“ Pyrons Worte machten Sinn, es war bestimmt nicht gut, würden die anderen Dorfbewohner sie so sehen.

      Auroria, die die letzten Minuten geschwiegen hatte, eröffnete ihrerseits: „Ich vermag den Sinn deiner Veränderung erfassen, Pyron – du bist jetzt viel stärker –, doch Azan, weißt du, was es damit auf sich hat, nun, da du ein Geblendeter bist?“

      Azans Stimme war leise, beinahe nicht hörbar und auch kaum zu verstehen: „Ich bin mir nicht sicher, doch … ich vermute, dass ich jetzt ein seherisches Talent besitze. Womöglich ist das Sammelsurium an Bildern, das jetzt fortwährend durch meinen Kopf schießt, ein Hinweis, ein Wegweiser auf Kommendes.“

      „Vielleicht?“, formulierte sich Auroria fragend, dann schwieg sie wieder. Sie schritt langsam um die raue Versteinerung Hyrus’, strich mit ihrer flachen, rechten Hand darüber und der Blinde setzte nach: „Ich habe entsetzliche Visionen – von Krieg, Tod und Zerstörung –, doch noch macht das alles keinen Sinn.“ Azan beendete seine Ausführung.

      Mit einem schrillen Pfiff kündigte sich aus der Ferne abermals ihr Freund Pipus, der Spatz, an. Die drei wandten ihre Köpfe nach dem Geräusch und des Drachenartigen scharfe Augen machten sofort den kleinen Punkt am Horizont aus; und schon kurze Zeit darauf landete der Bote Pipus.

      „Eure Verwandlungen sind nun so weit durch. Die Gottheiten haben mir aufgetan, euch mitzuteilen, dass ihr zur rechten Zeit wissen werdet, was zu tun ansteht.“ Ohne weitere Worte oder sie noch eines Blickes würdigend flog der Spatz fort.

      Geraume Zeit später erreichten sie das Anwesen der Brüder; der Weg mit dem geblendeten Azan war mühsam und beschwerlich, es war bereits Mittagszeit, wie sie ankamen. Pyron beschaffte Auroria Weiteres zum Anziehen – sie war bis dato nur in ihr Gewand aus Tang und in Pyrons Mantel gekleidet –, dann kümmerte er sich noch mal um Azans Binde.