Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844241334
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nur einen einzigen Kult an und das ist ihr eigener. Die anderen Stämme sind ihnen zu freimütig. Ein Batí-Priester fügt sich nicht in die allgemeinen Hierarchien ein. Sie sind zwar ebenso wie alle anderen Priester Diener des Himmels, aber sie leben in ihrer eigenen Welt und gehorchen nur den ihren. Der höchste Batí-Priester, Mondor, hat für sie einen höheren Stellenwert als Talmir. Und wenn man sie zu irgendetwas bewegen oder überreden will, hat man nur Aussicht auf Erfolg, wenn man zuerst Mondor überzeugt.“

      „Gilt das nur für die Priester?“

      „Es gilt für alles, was mit unserer Religion zu tun hat. Die meisten Batí sind Krieger, nur sehr wenige dienen im Tempel. Aber alle unterwerfen sich diesem Glauben und damit auch Mondors Geboten. Wenn allerdings die anderen Shaj, also Lennys und bis vor kurzem auch Makk-Ura, einen Befehl geben, werden sich auch die Batí dem nicht verschließen. Im Grunde sind sie ein sehr geachteter Stamm, wenn auch etwas gefürchtet. Nur in ihren Glauben lassen sie sich eben nicht reinreden und Talmir ist für sie nichts anderes als der Anführer von naiven Träumern, die es nicht besser wissen.“

      „Pssst, Imra, du solltest nicht so reden.“ mahnte Menrir.

      „Ich erkläre Sara nur, was Mondor für eine Rolle im Vergleich zu Talmir spielt. Ich selbst bin auch kein Batí und für meinen Geschmack sind sie zu radikal und blutrünstig. Und ich verehre Talmir als einen Shaj und einen außergewöhnlichen Priester. Zufrieden?“

      „Entschuldige, ich wollte dich nicht beleidigen. Sara muss denken, dass wir zwei alte Dummköpfe sind, die sich wegen irgendwelcher Kleinigkeiten in die Haare bekommen. Nicht wahr, Sara?“

      „Nein, natürlich nicht.“ lachte Sara. „Ich glaube, viele Dinge in diesem Land werde ich nie verstehen. Es ist alles sehr schwierig hier.“

      Obwohl Menrir und Imra abends noch lange bei Sara gesessen waren und sich mit ihr unterhalten hatten, wachte sie am nächsten Tag schon beim Morgengrauen auf. Gestern hatte Menrir ihr gezeigt, dass sie von ihrem Fenster aus zum Großen Saal hinübersehen konnte, der im Hauptteil der Festung lag. Hoch oben, zwischen zwei kleineren Türmen, flackerten auch jetzt noch die Öllampen hinter einer Reihe schmaler Fenster. Das Treffen war immer noch nicht beendet. Ansonsten regte sich in der Burg kein Leben.

      Nachdem sie den vergangenen Tag fast vollständig in ihrem kleinen Zimmer verbracht hatte und nur zweimal den steinernen Wasserkrug an einem Brunnen in einem nahen Hof aufgefüllt hatte, zog es die Novizin jetzt nach draußen. Die kalte Morgenluft würde ihr gut tun und ein kurzer Spaziergang war jetzt genau das Richtige, um die letzte Müdigkeit aus ihrem Körper zu vertreiben.

      Eine kleine Pforte gegenüber ihres Zimmers führte direkt hinaus in den Brunnenhof, an dessen Westseite ein weinbewachsener Bogen den Durchgang zu einer gepflegten Gartenanlage bildete. Wildrosenhecken, sauber geschnittenes Gras und hohe Blutbuchen ließen sie schnell vergessen, dass sie sich eigentlich im militärischen Zentrum des Landes befand.

      „Gefällt es dir hier?“ ertönte Rahors Stimme plötzlich. Er stand einige Schritte von ihr entfernt und lehnte am Stamm einer Buche.

      „Guten Morgen.“ grüßte Sara höflich. „Ja, es ist wirklich schön. Ich hoffe, ich habe gegen keine Regeln verstoßen?“

      „Aber nein, keineswegs. Aber nur wenige haben wie du einen Sinn für den Reiz der Natur am frühen Morgen.“

      „Ich dachte, es sind alle noch im Großen Saal?“

      „Nicht alle, wie du siehst. Um genau zu sein, sind nur noch Lennys, Talmir und Mondor oben. Wir Cas haben uns schon vor zwei Stunden verabschiedet. Oder sind verabschiedet worden, wenn man ehrlich ist. Aber ich bin nicht unglücklich darüber. Die Stimmung dort oben ist im Moment nicht gerade die Beste. So ist es immer wenn Talmir und Mondor aufeinandertreffen. Zum Glück ist das nur noch selten der Fall.“

      „Wir können froh sein, dass sie keine Sicheln tragen.“ Ein Mann in Rahors Alter trat gerade durch den Durchgang vom Brunnenhof. Sein schwarzes Haar fiel ihm wild in die Stirn und verliehen ihm so ein verwegenes und draufgängerisches Aussehen, das hervorragend zu seinem spitzbübischen Grinsen passte. Rahor schlug ihm kumpelhaft auf die Schulter.

      „Darf ich vorstellen, das ist Sham-Yu, derzeit der jüngste Cas von Cycalas. Und mein bester Freund, wenn er nicht gerade wieder irgendeinen Unsinn macht. Sham, das ist Sara, Lennys' Leibdienerin der letzten Wochen.“

      „Ah, du bist die Mittelländerin, nicht wahr?“ Shams schwarze Augen leuchteten. „Ist es wahr, dass du einen Silberraben besitzt?“

      „Ich... nein, eigentlich nicht.“ antwortete Sara verunsichert. Das war die letzte Frage, die sie erwartet hatte. „Ich habe mich nur ein wenig mit ihm angefreundet. Aber ich habe ihn lange nicht mehr gesehen.“

      „Der kommt schon wieder.“ meinte Sham leichthin.

      „Sham, was soll das? Und was machst du überhaupt hier? Ich dachte, du solltest mit dem Stallmeister sprechen?“

      „Das übernimmt Faragyl. Du weißt doch, er hat da ein besseres Händchen. Und im Grunde ist es ja egal, wer ihn bequatscht.“

      Aus dem Großen Saal war gedämpftes Scheppern zu hören.

      „Oh...“ grinste Sham. „Das war sicher Lennys. Könnte der silberne Kerzenleuchter gewesen sein.“

      „Wurde ja auch Zeit. Sie war die ganze Nacht über schon ungewöhnlich geduldig. Aber um den Leuchter ist es schade.“

      Sara starrte die beiden Cas sprachlos an. Anscheinend amüsierten sie sich prächtig. Als Rahor ihren Gesichtsausdruck bemerkte, machte er eine entschuldigende Geste.

      „Bitte denke nicht, dass wir respektlos sind. Aber wenn Talmir und Mondor aufeinandertreffen, endet das immer in einem mittelschweren Gewitter. Und Lennys kann diese Streitereien nicht ausstehen. Sie hat es gut als Shaj. Wir müssen dasitzen und uns alles stillschweigend anhören. Sie wirft eben mit Sachen.“

      „Oder mit Essen.“ fiel Sham lachend ein. „Erinnerst du dich an das letzte Ratstreffen? Die Pflaumen? Der arme Balman, er hat heute noch Alpträume davon....“

      „Er war doch selbst schuld. Wenn er schon drei Nächte in Folge ins Wirtshaus geht, dann hätte er die paar Stunden auch noch durchhalten können. Einschlafen während der Ratsversammlung... Ja, da war sie ziemlich böse.“

      „Aber hier geht es doch um etwas ganz anderes!“ unterbrach Sara das neuerliche Gelächter. Die beiden Männer wurden schlagartig wieder ernst.

      „Da hast du natürlich recht.“ bestätigte Rahor. „Und genau das sieht Lennys ebenso. Aber diese beiden Streithähne reiten wieder auf ihren Prinzipien herum und vergessen ganz, dass sie sich einigen sollten, anstatt einander Vorwürfe zu machen. Es ist kein Wunder, wenn Lennys da ausrastet. Ich denke, du kennst sie gut genug, um zu wissen, dass sie nicht gerade geduldig ist. Sie will Ergebnisse und keine langen Diskussionen.“

      „In diesem Fall ist das aber nicht so einfach.“ erwiderte Sham. „Talmir hat seine Meinung, Mondor eine andere. Und um das Ganze noch komplizierter zu machen, sieht Lennys selbst das noch einmal ganz anders. Ich finde, sie sollte sich gar nicht lange mit den beiden herumärgern.“

      „Wenn wenigstens Makk-Ura noch da wäre. Der hatte so eine herrlich beruhigende Art. Gerade jetzt könnten wir die brauchen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie viele Donnerwetter uns in den nächsten Tagen noch erwarten.“

      Kalter Nieselregen setzte ein und Sara zog ihren Umhang noch ein wenig enger zusammen.

      „Du solltest zusehen, dass du dich nicht erkältest.“ meinte Rahor. „Du bist dieses Klima nicht so gewöhnt wie wir.“ Plötzlich deutete er zu den Fenstern des Großen Saals. „Die Lampen sind aus. Entweder hat Lennys sie zu einem Scherbenhaufen verarbeitet oder sie sind fürs Erste fertig.“

      „Letzteres!“ verkündete Sham, als sein Blick auf eine Nebenpforte der Festung fiel. „Da ist Talmir. Und da hinten Mondor. Uh, die sehen beide nicht gerade zufrieden aus... Jetzt kommt Talmir in unsere Richtung. Zieht schon mal die Köpfe ein, ich glaube er sprüht gleich