Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844241334
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Bis gerade eben wusste ich noch nicht einmal, dass Lennys eure Shaj ist. Ich habe keine Ahnung, was ich hier tun kann oder soll und wie es überhaupt weitergeht.“

      „Das kann ich verstehen. Mach dir vorerst nicht zu viele Gedanken. Ich zeige dir jetzt erst einmal, wo du schlafen kannst. Leider habe ich nicht viel Zeit, ich muss zurück. Sie wartet nicht gern und es gibt heute Nacht sicher noch einiges zu tun. Wenn du etwas brauchen solltest, musst du nur nach mir fragen, normalerweise wissen die Diener, wo sie mich finden können. Und im übrigen wäre es schön, wenn wir 'du' sagen würden.“

      Noch vor wenigen Tagen wäre Sara mehr als glücklich über das schöne Zimmer gewesen, in das Rahor sie gebracht hatte. Es war zwar klein, hatte aber ein breites Bett aus schwarzem, geschnitzten Holz, einen rechteckigen Tisch mit mehreren bequemen Stühlen und einen kleinen Schrank. Auf einem Hocker in der Ecke stand eine Vase mit Wildrosen und der Steinboden war fast vollständig mit einem weichen Teppich aus dicker, mitternachtsblau gefärbter Wolle bedeckt. An einer Wand hing ein silberner Kerzenleuchter. Kissen und Laken aus weißer Seide waren auf dem Nachtlager ausgebreitet. Noch nie hatte Sara in so edlen Stoffen geschlafen, noch nie hatte sie ein solches Gemach auch nur mit jemandem geteilt, geschweige denn für sich alleine gehabt. Trotzdem sehnte sie sich ein wenig zu den kalten Nächten auf dem harten Erdboden des Mittellandes zurück, in denen sie mit Lennys und Akosh am Feuer gesessen und die Sterne bewundert hatte.

      Jetzt war sie allein. So allein wie nie zuvor.

      Sie ging zu dem Tisch, auf dem ein Krug süßen Weins und eine Schale mit Früchten stand. Obwohl sie seit vielen Stunden nichts gegessen hatte, verspürte sie keinen Hunger. Die Müdigkeit ließ ihre Glieder schwer werden, aber ihre Gedanken gönnten ihr keine Ruhe. Es würde lange dauern, bis sie Schlaf fand. Nachdenklich füllte sie einen schweren Silberbecher mit dem Wein und nippte daran.

      „Ist alles zu deiner Zufriedenheit?“

      Kaum hatte Rahor Sara eine gute Nacht gewünscht, hatte er kehrt gemacht und war so schnell wie möglich in den Hauptteil der Festung zurückgekehrt. Er wusste, dass Lennys ihn dort im Kaminzimmer erwartete und als er eintrat, hatte sie es sich schon auf dem lederbespannten Lehnstuhl bequem gemacht, der direkt vor dem Feuer stand. Sie sah nicht einmal auf.

      „Talmir wird morgen ankommen. Er ist ein guter Reiter und wir haben keine Zeit für Verzögerungen.“

      „Es ist alles vorbereitet.“

      „Sind alle Neun in Semon-Sey?“

      „Ja. Balman und Sham-Yu sind am Mittag eingetroffen. Die anderen waren bereits in der Stadt.“

      „Mondor?“

      „Ist ebenfalls auf dem Weg. Er war nicht begeistert, wie mir zugetragen wurde. Er hat die Nordwälder seit Jahren nicht verlassen.“

      „Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Im Hohen Rat allein können wir nicht alle Entscheidungen treffen. Es wird Zeit, dass Mondor sich darüber klar wird, dass auch er sich diesmal nicht aus allem heraushalten kann.“

      „Wird Akosh auch an der Ratssitzung teilnehmen?“

      Noch immer verweilte Lennys Blick auf den tänzelnden Flammen.

      „Es kann zumindest nicht schaden. Letztendlich ist er der Sprecher der Gemeinschaft jenseits der Grenzen. Warum fragst du?“

      Rahor zögerte. „Es gab... keinen bestimmten Grund...“

      „Lüg mich nicht an. Sollte es Probleme geben, von denen ich noch nichts weiß?“

      Mit einem Anflug von Besorgnis versuchte Rahor, die richtigen Worte zu finden.

      „Akosh genießt hohes Ansehen. Aber er ist lange fort gewesen. Seine Rückkehr hat für Aufsehen gesorgt. Jetzt wird der Hohe Rat tagen und neben Mondor, den die Wenigsten hier je zu Gesicht bekommen haben, darf auch noch Akosh zugegen sein. Gerüchte über einen neuen Krieg lassen sich jetzt schon kaum noch bekämpfen. Wenn erst bekannt wird, dass die Meinung eines alten Kämpfers gefragt ist, werden sie sich umso rasender verbreiten.“

      „Gerüchte, Rahor? Wer spricht hier von Gerüchten? Du solltest dein eigenes Volk nicht unterschätzen. Sie spüren, dass etwas im Gange ist. Mehr noch. Und ich halte nichts davon, ihnen etwas vorzuspielen. Je mehr in Alarmbereitschaft versetzt werden, umso besser. Was nützt es, die Wahrheit zu verleugnen?“

      „Ist es wirklich so ernst?“

      „Wir werden darüber sprechen, sobald Talmir und Mondor da sind. Darüber hinaus ist es möglich, dass wir noch weitere Gäste haben werden. Das hängt vor allem von Oras ab und davon, ob er einen vertrauenswürdigen Boten finden konnte. Du solltest auf jeden Fall die Wachen am Stadttor informieren. Noch heute Nacht.“

      „Ich werde einen Boten hinschicken.“

      „Tu das. Außerdem wirst du dafür sorgen, dass die Wachen in Askaryan und Zarcas verstärkt werden. Alles weitere werde ich dann im Rat entscheiden.“ Sie griff nach einem Becher, der neben ihr auf dem Boden stand und leerte ihn in einem Zug.

      „Ich werde dir noch eine Flasche Sijak bringen lassen.“ sagte Rahor.

      „Nein, ich hole ihn mir selbst. Ich will heute keine Diener mehr um mich haben. Und da wir gerade bei dem Thema sind... Ich möchte, dass du in den nächsten Tagen ein Auge auf Sara hast.“

      „Gern. Sie ist ein nettes Mädchen.“

      Lennys warf Rahor einen scharfen Blick zu. „Ich warne dich. Lass die Finger von ihr. Sie darf sich frei auf dem Burggelände bewegen, aber ich will nicht, dass sie allein in die Stadt geht, haben wir uns verstanden?“

      „So wie ich sie einschätze, wird sie nirgendwo hingehen, solange du hier bist. Obwohl ich das nicht verstehen kann...“

      „Was meinst du damit?“

      Rahor unterdrückte ein Grinsen.

      „Nun ja.... immerhin hält sie es ja schon relativ lange in deiner Gegenwart aus...“

      Nur um Haaresbreite verfehlte ihn der Kelch, den Lennys ihm entgegen schleuderte.

      „Sei froh, dass du zu den besten Kämpfern gehörst!“ zischte sie. „Ich kann es mir im Augenblick nicht leisten, dir den Kopf abzuschlagen. Trotzdem rate ich dir dringend, deine Zunge zu hüten.“

      „Zumindest weiß ich jetzt wieder, was dieser Festung die ganze Zeit gefehlt hat.“ gab Rahor gleichmütig zurück. „Es war wirklich langweilig ohne dich.“

      Es war kein mangelnder Respekt, der aus dem Cas sprach. Er hätte es nie gewagt, seine Herrin ernsthaft zu beleidigen und wenn sie wirklich schlechter Stimmung gewesen wäre, hätte er seine Worte ebenfalls mit mehr Bedacht gewählt. Aber er kannte Lennys schon viele Jahre und wusste, dass sie ihm sein manchmal etwas vorlautes Mundwerk nicht nachtrug, solange er gewisse Grenzen nicht überschritt.

      Im ersten Moment wusste Sara nicht, wo sie sich befand. Sie war aus einem langen, traumlosen Schlaf erwacht und zu ihrer großen Überraschung legte sich keine kratzende Wolldecke, sondern feinste Seide über ihre Schultern. Dann fiel ihr schlagartig alles wieder ein. Die Ankunft in Semon-Sey, die überraschende Wahrheit über den Shaj der Nacht und schließlich das behagliche Zimmer, in das Rahor sie gebracht hatte. Wann hatte sie sich schlafen gelegt? Sie konnte sich nicht erinnern.

      Schwere Vorhänge waren vor das Fenster gezogen, so dass der Raum in einem merkwürdigen Dämmerlicht lag. Neugierig sah sie durch einen Spalt nach draußen und stellte erschrocken fest, dass die Sonne ihren höchsten Punkt zur Mittagszeit schon lange überschritten hatte. Nicht mehr lange und sie würde wieder untergehen. Hatte sie wirklich den ganzen Tag verschlafen?

      „Ich bin froh, dass du dich etwas ausruhen konntest.“

      Sara fuhr zusammen. Sie hatte die dunkle Gestalt, die in der Ecke saß, überhaupt nicht bemerkt. Es war Akosh.

      „Bitte verzeih, dass ich hier so einfach in dein Schlafzimmer eingedrungen bin, aber ich wollte mich nicht den neugierigen Blicken der Dienerschaft aussetzen, indem ich vor deiner Tür