Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844241334
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dass es hier um Wichtigeres ging als nur um den Gehorsam einer Dienerin gegenüber ihrer Herrin. Trotzdem hätte sie sich in diesem Augenblick gewünscht, dass Lennys ebenfalls hier wäre, um ihr diese Antwort abzunehmen.

      „Mich hat nie jemand danach gefragt.“ sagte sie schließlich.

      Kapitel 3

      Die meisten Mitglieder der Großen Ratsversammlung hatten den Tag dazu genutzt, Schlaf nachzuholen oder wichtige Sendschreiben zu verfassen oder zu lesen. Immer wieder kamen Boten in Semon-Sey an, um Nachricht von verschiedenen Kundschaftern zu bringen.

      Jetzt, da die Sonne wieder unterging, saßen sie alle erneut um den langen Tisch, der die Große Halle in zwei Hälften teilte. An der einen Stirnseite hatten Diener ein großes weißes, samtenes Laken über einen Stuhl mit breiten Armlehnen geworfen. Hier hatte sich Talmir, der Shaj des Himmels niedergelassen und unterhielt sich hinter vorgehaltener Hand mit einem Cas mittleren Alters. Gegenüber, am anderen Kopf der Tafel, saß Lennys mit versteinerter Miene und musterte die Anwesenden.

      „Wo ist Balman?“ fragte sie, als ihr Blick einen leeren Stuhl am hinteren Teil des Tisches erreichte.

      Es war Rahor, direkt zu ihrer Linken, der die Antwort gab.

      „Er muss jeden Moment hier sein. Er hat eben noch einen Kundschafter zum Westbogen geschickt.“

      In diesem Moment stürzte ein recht kräftig gebauter Mann herein, an dem besonders die langen roten Haare auffielen, die wild auf seine Schultern herabfielen.

      „Verzeihung....“ murmelte er und schlich errötend zu dem leeren Stuhl, wohl in der Hoffnung, dass man sein spätes Erscheinen doch ignorieren würde. Er wurde enttäuscht.

      „Das nächste Mal lasse ich dich im Fluss ertränken!“ drohte Lennys. „Deine Disziplin lässt sehr zu wünschen übrig, Balman. Ich verlange, dass alle Geladenen pünktlich zu den Versammlungen erscheinen.“

      „Es tut mir leid, Lennys, ich habe nur...“

      „Deine Erklärung wird den Beginn des Treffens nur noch mehr verzögern. Genug davon!“

      Sham-Yu beugte sich zu seinem Tischnachbarn Rahor.

      „Wir sollten schon mal das Geschirr bringen lassen...“ flüsterte er. Doch Rahor antwortete nur mit einem Räuspern, nachdem er einen sehr zornigen Blick von Lennys aufgefangen hatte.

      „Können wir jetzt endlich anfangen?“ fragte die Shaj der Nacht ungeduldig. Alle Anwesenden bemühten sich um gespannte Aufmerksamkeit. Lennys erhob das Wort.

      „Ihr habt bereits festgestellt, dass heute auch Menrir, der mittelländische Heiler und Imra, der Weber aus Fangmor, anwesend sind. Zusätzlich zu Akosh aus Goriol, der ja auch gestern schon dem Treffen beiwohnte, werden sie uns heute mit Informationen aus dem Süden versorgen. Ich erinnere außerdem daran, dass Menrirs Sohn Log der König Manatars ist und wir somit durch Menrir über seine Absichten unterrichtet werden. Hat irgendjemand Einwände gegen die Anwesenheit von Imra und Menrir?“

      Niemand sagte etwas. Doch gerade als Lennys fortfahren wollte, hob Mondor die Hand.

      „Meldest du etwa Bedenken an?“ fragte Lennys sarkastisch.

      „Keineswegs. Ich möchte aber darum bitten, noch einen weiteren Gast in unserer Runde zuzulassen.“

      Erstaunt wanderten alle Blicke zu Mondor. Es war nicht üblich, dass Ratsteilnehmer solche Anträge stellten. Allein den Shaj gebührte das Vorrecht, den engen Kreis der Vertrauten zu erweitern.

      „Einen weiteren Gast? Ich wüsste nicht, wessen Aussage sonst noch von Interesse sein könnte.“

      Mondor beschloss, nicht lange drumherum zu reden.

      „Es handelt sich um deine Dienerin Sara.“

      „Was?“

      Schnell nutzte Mondor die Gelegenheit für eine kurze Erklärung.

      „Ich habe Erkenntnisse erlangt, die mich zu dem Schluss bringen, dass Sara möglicherweise eine große Hilfe für uns darstellen könnte. Sollte ich mich irren, ist sie aber gewiss ebenso vertrauenswürdig wie Menrir, so dass wir dahingehend keine Bedenken haben sollten.“

      „Erkenntnisse? Welche denn?“ Es war nicht zu überhören, dass Lennys ihre Wut nur mit Mühe zügelte.

      „Nun, es handelt sich um Informationen, die direkt meine Zuständigkeit betreffen. Im Augenblick mögen wir noch in vielerlei Hinsicht im Dunkeln tappen, doch schon sehr bald könnte sich Sara als wertvolle Verbündete erweisen. Ich hielte es für sinnvoll, sie bereits jetzt in unser Vorgehen einzuweihen, da später vielleicht die Zeit für lange Erklärungen fehlt.“

      Die Stille, die nun folgte, währte nicht lange. Dann donnerte Lennys' Stimme durch den Saal.

      „Was erlaubst du dir eigentlich? Hast du plötzlich dein Interesse für junge Frauen und Exotinnen entdeckt? Wenn dem so ist, solltest du dich besser auf den Wanderfesten von Goriol herumtreiben! Es gibt Gesetze in diesem Land und gerade Menschen wie du sollten sie kennen! Willst du vielleicht unsere ganze Dienerschaft an diesen Zusammenkünften teilhaben lassen? Oder mittelländische Wanderer, die halb verhungert in Askaryan stranden? Was kommt als nächstes?“

      Es war Talmir, der sich zuerst zu Wort meldete.

      „Ich persönlich denke, dass Mondors Vorschlag zumindest überdenkenswert wäre. Zwar glaube ich nicht, dass Sara für uns eine wirkliche Hilfe darstellen könnte, aber ich bin auch überzeugt davon, dass ihre Anwesenheit nicht schaden würde. Wie ich in Erfahrung bringen konnte, hatte sie sogar Einblick in den Dämonenbann in Sagun. Wer weiß, vielleicht wird ihre Erfahrung uns noch nützen...“

      „Mein lieber Talmir...“ fiel jetzt Mondor wieder ein. „Wenn du dich auch nur annähernd mit den Dingen auseinandersetzen würdest, die eigentlich deine Aufgabe sind, würdest du Saras Teilnahme an der Ratsversammlung mit gewichtigeren Argumenten befürworten als mit bloßer Sympathie. Leider hast du immer noch nicht begriffen, wie bedeutsam die alten Legenden noch heute für uns sind...“

      „Halte deine Zunge im Zaum, Mondor!“ fiel Lennys ihm wieder ins Wort. „Du sprichst mit dem Shaj und auch wenn es dir noch so wenig gefällt, er ist der oberste Priester des Landes und nicht du!“

      „Sobald er bewiesen hat, dass er diesen Titel zu Recht trägt, werde ich mich gerne seinen Anweisungen beugen...“ erwiderte der alte Batí.

      „Das genügt! Noch ein Wort und ich werde dich in den Kerker werfen lassen!“

      „Sogar das würde ich in Kauf nehmen, wenn du im Gegenzug Sara holen lässt.“

      „Also, ich hätte auch nichts dagegen, wenn sie dabei wäre...“ mischte sich jetzt Akosh ein. „Auch wenn du das nicht gern hörst, Lennys, aber sie hat zur Genüge bewiesen, dass sie unser Vertrauen verdient. Und auch, wenn ich nicht genau weiß, was Mondor gemeint hat, so glaube ich, dass es nicht schadet, jemanden in unserer Mitte zu haben, der auch mit den fremdländischen Glaubenslehren vertraut ist. Wer weiß, wie groß der Kreis unserer Feinde bald sein wird und wir sollten möglichst viel über sie wissen.“

      „Ich bin auch dafür!“ rief Rahor zaghaft, allerdings nicht, ohne vorher mit seinem Stuhl aus der Reichweite von Lennys' Sichel herauszurücken.

      „Du solltest dich lieber zurückhalten!“ zischte die Shaj. „Ich erinnere dich daran, dass die Frauen der Dienerschaft tabu für dich sind!“ Sie blickte warnend in die Runde. „Es ist schön, dass ihr euch ausnahmsweise einmal alle einig seid. Ich hoffe, euch allen ist klar, dass unsere Gesetze nicht grundlos bestehen. Der Hohe Rat ist ein Zusammenschluss der führenden Kräfte Cycalas' um gewichtige Entscheidungen für die Sicherheit unseres Landes zu treffen. Dass wir diese Gemeinschaft um Akosh, Menrir, Imra und Mondor erweitert haben, war wohl überlegt und begründet. Das hier ist keine unterhaltsame Feier, bei der man eine Gästeliste nach Sympathien erstellt. Denkt darüber nach, bevor ihr euch entscheidet.“ Sie funkelte jeden einzelnen durchdringend an. „Also,