Das 4. Buch George. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844283785
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Von mir aus soll er dich hypnotisieren, oder was weiß ich...«

      »Das ist wirklisch nett von dir. Ma mére wäre fürschterlisch enttäuscht von mir. Sie denkt, isch ´ätte misch wieder in den Griff bekommen. Und sie ist doch so stolz auf misch, weil isch doch diesen Job ´abe, von dem isch ihr natürlisch nischt ausführlisch erzählen konnte, weil es doch ge´eim ist.« Dracon war beinahe den Tränen nahe.

      Er gehörte einst wie ich, der Reha-Gruppe an. Wir haben alle mehr oder weniger, etwas auf dem Kerbholz. Silent Blobb wurde als Spanner auf einem FKK-Strand festgesetzt, Barbiel war ein gefallener Engel; Dracon lief mit einem Flammenwerfer durch Paris und brüllte, er sei ein Drache. Na ja. Und ich war schon allein durch meine Vergangenheit für diese Gruppe prädestiniert. Mein Sündenregister würde der Encyclopædia Britannica zur Ehre gereichen.

      Mir blieb nichts anderes übrig, als einen Termin bei Dr. Dr. Gütiger zu holen. Zwar sagt er immer, ich könne ihn jederzeit anrufen, doch nehme ich diese Leistung nur ungern in Anspruch. Genauer betrachtet, habe ich ihn noch nie außerhalb seiner Geschäftszeiten angerufen. Trotz dieser späten Störung blieb er freundlich und wollte sofort wissen, wo der Schuh drückt. Wohl oder übel musste ich ihm von Dracons Schwierigkeiten erzählen. Er schlug ein gemeinsames Gespräch vor. Offenbar war Dracon noch nie bei ihm in Behandlung gewesen. Da ich ein wenig ausschlafen wollte, verabredeten wir uns morgen um elf Uhr vormittags. Dieser Termin war Dracon ebenfalls recht. Dann war das schon mal geritzt.

      Als ich mein Handy wieder in die Tasche steckte, sah Dracon mich bedrückt an.

      »Isch denke, isch werde ´ier bleiben und nischt mehr mit rüber ge´en.«

      Daraufhin nickte ich: »Ja, das würde ich gutheißen. Solange du deine Finger nicht im Zaum behalten kannst, hast du vorübergehend bei mir Hausverbot. Dann wünsche ich dir eine gute Nacht!«, verabschiedete ich mich und verließ das Zimmer.

      *

      Nur im Schatten verbrauchter Gottheiten kann man frei atmen.

      (Emile Michel Cioran)

      Wieder auf dem Heimweg, überkam mich ein seltsames Gefühl. Gleich so, als könnte mich jederzeit eine Lawine erfassen. Etwas lag in der Luft. Und bei meinem Pech, würde es sich als ausgewachsener Shitstorm herausstellen. Im Grunde hoffte ich bei meiner gestrigen Heimkehr, etwas Ruhe und Frieden zu finden. Doch weit gefehlt. Alles schien eine gewisse Eigendynamik zu entwickeln – ja, fast schon so, als wolle mir alles im rasanten Tempo über den Kopf wachsen. Verärgert musste ich feststellen, diese dämliche Pillendose samt Esther immer noch in der Hosentaschen mit mir herumzutragen. Kurz schoss es mir durch den Sinn, ich könne sie einfach verbrennen. Irgendwie brachte ich das aber doch nicht über mich. Vielleicht werde ich nicht nur ein Spießer, sondern auch ein ausgemachtes Weichei. Dazu bedrückte mich die erlebte Situation mit Dracon. Mir wurde klar, wie wenig ich im Grunde genommen über ihn wusste. Und wie besorgt er war, ich könnte seiner Mutter von diesem Vorfall erzählen. So derart in Gedanken versunken, trabte ich vor mich hin, als ich ein lautes Wiehern vernahm. Zuerst dachte ich an Karl-Heinz, dem depressiven Einhorn, doch hörte ich keinerlei Hufschläge. Selbst wenn er sich die Hufe mit Watte umwickeln würde, mein scharfes Gehör könnte ihn jederzeit lokalisieren. Und dann erklang ein Mark erschütternder Gesang...

      Ehe mir klar wurde, woher dieses Gekreische kam - nämlich aus der Luft - wurde ich gepackt und mit voller Wucht von den Füßen gerissen. Und es stank penetrant nach Pferd! Unsanft wurde ich quer über den Sattel geworfen, oder eher halbwegs auf die Schenkel einer ziemlich drallen Hellrotblonden. Der Aufprall quetschte mir förmlich die Luft aus dem Brustkorb. Jeder Mann würde sich freuen, zwischen, bzw. auf den Schenkeln einer Frau zu landen. Nur war mir das jetzt überhaupt nicht recht! Ihre Zöpfe wehten im Wind, und sie schmetterte so laut ihr Lied - glaubt es oder nicht - ich sah sogar ihr Rachenzäpfen vibrieren.

      »Ha, Krieger! Halt dich mal schön bedeckt!«, schnappte sie zwischendurch, drückte mich wieder unsanft nach unten und klatschte mir lautstark mit der flachen Hand auf den Hintern. Schöne Scheiße! Ich wurde von einer Walküre entführt! Obendrein kitzelte diese blöde, zottelige Satteldecke ganz fürchterlich meine Nase. Schnellstens wieder abzuspringen kam einem Selbstmord gleich, denn wir befanden uns schon in einer Höhe, die mir mit spöttischer Stimme weitere Knochenbrüche versprach, wenn ich es dennoch versuchen sollte.

      »Hey! Lass mich runter! Ich bin noch nicht tot!«, keifte ich aufgebracht.

      »Kommt gar nicht in Frage! Na und? Du bist untot! Wo ist da der Unterschied?«, trällerte sie und brüllte wieder ihre Arie in die uns umwirbelnde Luft.

      »Tote laufen nicht herum! Argh! Kannst du nicht dieses Singen sein lassen? Mir pfeifen schon die Ohren!«, schnappte ich wütend.

      »Nein, ich freue mich schon seit Jahren, meine Ausbildung endlich zu beenden! Und dazu gehört nun mal auch der Gesang!«, tremolierte sie ziemlich schräg.

      … Auch das noch! Odin fand es angebracht, mir seinen Azubi zu schicken. Bin ich ihm nicht genug wert, um eine erfahrene Fachkraft für mich einzusetzen?...

      »Wozu soll das Gesinge gut sein? Falls der Krieger noch nicht tot ist, besorgt dein Gesang wohl den Rest, oder was? Ich kann mir nicht helfen, aber klingt das nicht nach Wagner?«

      »Wer, bei Hel, ist Wagner? Nee, das ist ein altes Arbeitslied! Das singen wir immer, wenn wir unseren Job erledigen. Wir haben schließlich kein eingebautes Anti-Kollisions-System. Die Sicht ist nicht immer so gut. Wir warnen uns gegenseitig mit dem Gesang, damit wir nicht zusammenstoßen. Und jetzt halt die Klappe, sonst stopfe ich dir mein Kettenhemd in die Fresse!«, blaffte sie und stimmte wieder in ihr »Heija haiheja, hi, hei ho, tralali tralala!« ein. Also hat der Gesang die Funktion eines Nebelhorns! Ja, und so klang die Holde auch! Und einen Ton konnte sie ebenfalls nicht richtig halten. Ich äußerte meinen Unmut dadurch, dass ich versuchte eine ordentliche Position einzunehmen.

      »Nun zappel mal nicht so herum! Du tust Fluffy weh!«, maßregelte sie mich.

      »Autsch, der Sattelknauf! Was? Dein Zosse heißt Fluffy? Scheiß die Wand an! Das muss ein verdammter Albtraum sein! Wieso kann Odin nicht selbst kommen, mit seinem achtbeinigen Hengst Sleipnir? Der ist doch gegen deinen Fluffy wie ein Rennwagen mit Zwölfzylindermotor!« Nebenbei hoffte ich die Lehrlings-Walküre in ein Gespräch zu verwickeln, damit sie mit dem fürchterlichen Singen aufhörte. Doch war ich sehr erstaunt, weiterhin dieselbe Melodie vorgesungen zu bekommen, nur mit dem Inhalt eines Gesprächs.

      »Ja, er heißt Fluffy, weil er so schön flauschig ist«, sang sie im schiefen Arpeggio. »Wenn du den armen Raben Hugin nicht in die Botanik gekickt hättest, wüsstest du, dass Odin dich darum bat, ihm einen aufblasbaren Ring mitzubringen. Nun, wie soll ich es formulieren. Ein Problem mit seinem... äh... verlängerten Rücken zwingt ihn dazu, auf das Reiten leider verzichten zu müssen. Aber erzähle das nicht überall herum. Das ist ihm nämlich sehr peinlich, musst du wissen.«

      »Du meine Güte! Wem sollte ich das erzählen, hä? Meinst du, ich will in eine Jacke, bei der die Ärmel auf dem Rücken zusammengebunden werden? Und wenn Odin draußen scheißen geht, und seine Hämorrhoiden dabei Gras fressen, kann mir das nur egal sein! Und soll ich jemandem erzählen, ich wurde von einer Azubi-Walküre zu Odin gebracht? Weißt du was? Ich hänge jetzt noch ein bisschen hier ab und du machst einfach weiter deinen Job!«, knirschte ich beleidigt.

      »Ich singe nicht sehr gut, ist es das?«, fragte sie bedrückt.

      »Sagen wir es mal so: Der Gesang ist nicht schön, aber selten!«

      »Ja, ich weiß, ich kann keinen Ton halten.«

      »Vielleicht solltest du einen zur Brust nehmen, das funktioniert bei mir auch immer.«

      »Nein, don´t drink and ride! Na ja, ich kann eben nicht gut singen. Aber mein Bekannter kann es auch nicht besonders, hat es trotzdem bis an die Pariser Oper gebracht!«

      »Du meinst wohl bis unter die Pariser Oper... Reden wir von Heiko? Du meinst doch Heiko, das Ersatzphantom der Oper, richtig?«, fragte ich nach.

      »Ja, der ›Abgebrochener-Riese-Heiko‹,