Er schaute sie an, als habe sie ihn geohrfeigt. »Herablassend? Sie arbeiten für mich, erhalten ein anständiges Gehalt. Muss ich ihnen in den Hintern kriechen?«, fragte er aufsässig.
»Philipp!«, rief sie empört. »Es sind Menschen und ihnen gebührt der gleiche Respekt, den du von ihnen erwartest.«
»Du traust dich was. Das sind Dinge, die dich nichts angehen.«
»Mag sein, aber ich hasse es, wenn jemand ungerecht behandelt wird.«
»Lass uns nicht streiten, ich werde mich bemühen, freundlicher zu sein. Einverstanden?«
Scarlett nickte. Er schaute sie an. Sie sah das Feuer in seinen Augen und ein Zucken um seinen Mund. Ihre Herzen brannten, sie spürte es.
»Philipp, lass es, bitte.« Sie sagte es, bevor er sich rührte.
»Ich kann und will nicht. Ich denke Tag und Nacht an dich.
Scarlett, darf ich dich küssen? Wenn du nein sagst, wage ich es trotzdem.«
Sie spürte große Lust, sich an ihn zu pressen. Langsam trat sie vor ihn hin und flüsterte: »Küss mich.«
Philipp nahm sie behutsam in den Arm, umschloss mit seinen Händen ihr Gesicht und drückte zärtlich seine Lippen auf ihren Mund. Scarlett schlang ihre Arme um seinen Hals. Wie zwei Ertrinkende küssten sie sich und eine erregende Welle schwemmte über Scarlett hinweg. Als sie sich voneinander lösten, sagte Philipp: »Ich habe mich in dich verliebt. Du bist die erste Frau, nach Marys Tod, die ich anziehend finde.«
»Lass es uns langsam angehen«, erwiderte Scarlett. Sie kuschelte sich in seinen Arm. Schweigend schauten sie hinunter auf das tiefblaue Meer.
»Du bist nicht gebunden?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Mit Micha bin ich seit fünf Jahren befreundet. Wir haben viel miteinander unternommen, können uns alles anvertrauen. Sozusagen, eine platonische Liebe. Zwischendurch hatte ich eine Beziehung. Dauerte sechs Monate, war nicht das Richtige. Bei dir ist es anders. Es erregt mich, wenn du mich berührst. Darf ich dich was fragen, Philipp?«
»Alles, was du willst.«
»Warum ist deine Frau ertrunken? War sie keine gute Schwimmerin?«
Er seufzte. »Scarlett, ich habe bisher mit keinem darüber gesprochen. Du bist die Einzige, der ich die Wahrheit erzähle. Mary ist nach langer Zeit endlich schwanger geworden. Wir waren beide glücklich. Das Schicksal meinte es nicht gut mit uns. Im 3. Monat verlor sie das Baby, kurz bevor wir uns entschlossen hatten, unser Geheimnis preis zu geben. Niemand hat davon erfahren. Mary war ein anderer Mensch geworden. Sie sprach kaum, aß nichts mehr, ging mir aus dem Weg. Stundenlang wanderte sie am Strand entlang, bis sie eines Tages nicht zurückkam. Ich ging sie suchen und fand sie tot im Sand. Sie war nicht weit hinausgegangen. Die Wellen spülten sie zurück ans Ufer. Der Arzt stellte fest, dass sie ertrunken war. Mary war eine hervorragende Schwimmerin. Sie hatte eindeutig Selbstmord begangen. Ich konnte mit meinem Schmerz nicht umgehen und entfernte mich von Freunden und Bekannten.« Philipp hielt inne. »Bitte, Scarlett, das bleibt unter uns.«
»Versprochen. Aber es ist traurig, dass euch so ein Leid geschehen ist.«
Die Pferde schnaubten.
»Komm, Liebes, wir reiten zurück.« Philipp drückte sie liebevoll, bevor sie die Pferde bestiegen.
Kapitel 4
Beim Abendessen spürte Scarlett Grandmas forschenden Blick. Sie tat, als bemerke sie ihn nicht.
»Nun sage, was los ist«, forderte Gloria sie auf. »Ich sehe, dass du dich anders verhältst als bisher. Was ist vorgefallen zwischen euch? Hast du ihn beleidigt?«
»Aber nein, Grandma. Wir sind uns näher gekommen und haben uns geküsst. Philipp sagt, er sei in mich verliebt.«
»Erstaunlich. Das will was heißen. Nach dem Tod seiner Frau hat er andere Frauen gemieden. Er ist kein Casanova. Sagt er, dass er dich mag, meint er das ehrlich.«
»Du kennst ihn gut, Grandma.«
»Ich habe Augen im Kopf, Kind. Mit einundzwanzig hatte er eine Freundin. Ich kannte sie, war ein nettes Mädchen. Bis zu dem Tag, als ein Mann, namens David, hier aufkreuzte. Er war eine frühere Liebe von ihr. Er hat sie ihm weggenommen und sie ist mit ihm gegangen. Philipp hat gelitten. Zwei Jahre später, traf er bei der Segelregatta, Mary. Es hat sofort gefunkt zwischen den beiden. Nach einem Jahr haben sie geheiratet.«
»Ich mag ihn«, sagte Scarlett.
»Das ist gut.«
»Grandma, wer ist F …?« Scarlett hielt die Luft an. Was würde sie sagen?
»Ich verstehe deine Frage nicht.«
»Ich fand in der Bodenkammer ein altes Portrait.«
»Was machst du in der Bodenkammer?«
»Ich hatte Langweile und habe mich dort umgeschaut. Ich liebe altes Gerümpel.«
»Erzähle, was du auf dem Herzen hast.«
»Aus dem Rahmen des Bildes fiel ein beschriebenes Blatt Papier. Ich habe es gelesen, es war ein Liebesbrief.«
»Das ist spannend und was stand in dem Brief?«, fragte Gloria neugierig.
»Mal sehen, ob ich es zusammen kriege.«
Geliebte G. Wir werden uns nicht mehr treffen. Die Gefahr ist zu groß. Unsere Familien sind gegen eine Beziehung. Wir haben keine Zukunft. Es war schön mit dir. Ich werde dich ewig in meinem Herzen tragen. Dein F.
»So lautete der Text.«
Grandma lachte. »Der Mann auf dem Bild ist Finlay, dein Urgroßvater und Geraldine war deine Urgroßmutter. Die Familien duldeten ein Zusammenkommen der beiden nicht. Aber sie waren nicht von einander zu trennen. Als Geraldine schwanger wurde, haben sie klein beigegeben um der Schande zu entgehen. Ihre Ehe war glücklich. Von diesem Brief wusste ich nichts. Bist du zufrieden?«
»Danke, jetzt weiß ich Bescheid, Grandma. Ich dachte G … «
» … wäre ich gewesen. Ich habe deinen Großvater geliebt bis zum Ende, ohne ihn zu betrügen. Lassen wir die alten Familiengeschichten ruhen. Blicken wir nach vorne.«
Nach dem Frühstück beschloss Scarlett, eine Runde zu joggen. Sie zog eine kurze Sporthose an und ein T-Shirt. Gloria hielt sich in ihrem Zimmer auf. Leise verließ sie das Haus. Jenny hatte sie durch das Fenster gesehen und klopfte an die Scheibe. Scarlett blieb stehen und wartete, bis Jenny die Blumentöpfe von der Fensterbank geräumt hatte und es öffnete. »Wo soll es hingehen?«, fragte sie.
»Ich jogge zum Strand hinunter; in einer guten Stunde bin ich zurück. Nach oben werde ich länger brauchen«, entgegnete Scarlett. »Ich muss mich mal richtig verausgaben. Zuhause laufe ich regelmäßig.«
»Machen Sie das, viel Spaß.« Jenny schloss das Fenster. Obwohl die Sonne nicht schien, waren es noch milde 22 Grad. Scarlett rannte die Treppe hinunter, durch die Siedlung, zum Strand. Dort gab es einen kleinen Pfad, den sie entlang lief. Nach zwanzig Minuten brauchte sie eine Pause. Sie ließ sich in den feinen Sand gleiten, streckte alle Viere von sich, und blickte in den bewölkten Himmel. Morgen würde sie zum Gut fahren. Der Gedanke an Philipp, an seine fordernden, heißen Küsse, jagten kleine Schauer über ihren Körper. Sie sehnte sich danach, von ihm umarmt zu werden. Lange genug hatte sie auf körperliche Liebe verzichtet. Ihr Körper forderte sein Recht und sie war bereit, ihm nachzugeben. Ihre Zeit war begrenzt. In fünf Wochen musste sie nach Deutschland. Ein schrecklicher Gedanke. Sie sprang auf und joggte zurück. Dieser Weg war beschwerlicher, da es bergauf ging. Die Treppen nahm sie mit letzter Kraft. Keuchend kam sie zum Haus und sah Dr. Miller davor stehen.
»Schön, dass Sie kommen, ich habe auf Sie gewartet.«
Scarlett