Jenny Belfordt, die Hauswirtschafterin, war im mittleren Alter, vollschlank, von stattlicher Größe und hübschem Gesicht. Sie trat aus der Tür, als Scarlett den gepflasterten Weg entlang kam, deren Blick bewundernd über die herrlich blühenden Blumen, wie Rhododendron, Glockenblumen, Agaven, Lupinen, wanderte. Hinter ihr her trottete der Taxifahrer, mit ihrem Gepäck.
Jenny, entlohnte den Fahrer. »Schön, dass Sie da sind. Seien Sie gegrüßt, Miss Scarlett. Sie haben sich verändert, sind eine hübsche junge Frau geworden.«
Was meint sie damit?, fragte sich Scarlett. Na schön, das letzte Mal, als Jenny sie gesehen hatte, war sie achtzehn. Ein bisschen flippig, mit zerzausten Haaren.
»Kommen Sie, Ihre Grandma redet seit gestern von nichts anderem, als von Ihnen.«
»Danke, Jenny, das kann ich gut verstehen. Es wäre schön, öfter hier zu sein.«
Jonathan, der Diener, ein älterer, freundlicher Herr, mit leicht gebeugtem Rücken, nahm ihr Gepäck in Empfang. Bei ihrem letzten Besuch ging Jonathan aufrecht. In der oberen Etage war ein Zimmer für sie hergerichtet, neben dem ihrer Grandma. Die wertvollen alten Möbelstücke verbreiteten ein gemütliches Flair. Eine Zwischenwand trennte den Raum zu einem Schlaf- und Wohnraum. Das kleine Bad, mit Dusche und WC, war mit modernsten Armaturen ausgestattet. Auf dem Boden lag in der Mitte ein Perserteppich. Scarlett erfrischte sich und bat Jonathan, sie zur Grandma zu begleiten. Auf dem mit Parkett ausgelegten Flurboden lagen mehrere Teppichbrücken, sodass zwischen den freien Stellen, das Klappern der Schuhe zu hören war.
»Wie darf ich Sie nennen, Miss?«, fragte Jonathan.
»Sagen Sie Scarlett zu mir, wie bisher«, entgegnete sie in perfektem Englisch.
Er verbeugte sich leicht und klopfte, wenige Schritte weiter, an eine Tür. Er öffnete sie, bevor Lady Gloria herein rief.
Im Schlafgemach stand mittig ein Doppelbett mit Goldrahmen. In seidige Bettwäsche gehüllt, lag ihre Grandma und streckte lächelnd einen Arm nach ihr aus.
»Mein liebes Kind, ich freue mich, dass du da bist. Komm her, lass dich drücken.«
Scarlett eilte zu ihr und nahm sie behutsam in den Arm. »Liebe Grandma, ich habe dich lange nicht gesehen und finde dich krank im Bett vor. Wie geht es dir?«
»Viel besser. Wie du siehst, kann ich einen Arm bewegen. Die Beine wollen nicht, wie ich will, aber der Doktor sagt, ich brauche Geduld. Denke nicht, dass ich die ganze Zeit liegen muss. Auf meinen Mittagsschlaf verzichte ich jedoch ungern«, erklärte sie. »Lass uns deutsch miteinander sprechen, damit ich es nicht verlerne.« Sie lachte und wandte sich an Jonathan. »Bitten Sie Jenny den Nachmittagstee zu richten und leckeres Biskuit aufzutragen. Sie weiß, was zu tun ist.«
»Gerne, Lady Gloria.« Jonathan zog sich zurück.
Gloria lächelte. »Sie lassen nicht davon ab, mich Lady zu nennen. Seit dem Tod deines Großvaters, habe ich sie gebeten, es zu lassen.«
»Sie haben sich daran gewöhnt. Gönne ihnen die Freude«, entgegnete Scarlett.
»Unter uns gesagt: ich höre diese Anrede gerne«, verriet sie und lachte. »Hilf mir bitte beim Aufstehen und Ankleiden.«
Scarlett sprang sofort herbei. Auf einen Stock gestützt und von Scarlett unter dem Arm gefasst, gingen sie wenig später, die mit Teppich belegte Treppe hinunter, in den kleinen Salon. Auf einem runden Tisch, vor einer hübsch gemusterten Sesselgruppe, stand eine Glaskanne mit Tee auf einem Stövchen, feine Porzellantassen, Teller und zartes Gebäck, sowie Butter und Orangenmarmelade.
Bevor Scarlett sich setzte, warf sie einen Blick durch das Fenster in den Garten, der gepflegt aussah. Die Blumen standen in voller Blüte.
»Erzähle mir von zu Hause, ich bin neugierig«, sagte Gloria und bat Scarlett, Tee einzugießen und ihr ein Biskuit zu bestreichen.
»Es gibt nicht viel zu berichten, Grandma. Meine Eltern betreiben hingebungsvoll ihr Restaurant und sind mit sich und der Welt zufrieden. Inzwischen haben sie den dritten Stern errungen. Das Einzige, was sie betrübt, ist die Erkenntnis, dass ich nicht in die Gastronomie einsteigen werde. Der Beruf einer Logopädin war mir wichtiger. Ein Arbeitsplatz in einer Schule, für Sprachbehinderte Kinder, kann ich im September antreten.«
»Das ist eine tolle Aufgabe«, stimmte Gloria zu. »Wie geht es meinem Sohn? Ist er mit seiner Wahlheimat Deutschland immer noch zufrieden?«
Scarlett lachte. »Mama und Papa lieben sich und gehen in ihrer Aufgabe auf. Papa spricht perfekt deutsch, keiner merkt ihm den Engländer an. Du lebst ebenso nicht in deinem Heimatland und bist glücklich, Grandma.«
»Du sagst es, Kind. Wo die Liebe hinfällt.«
Sie redeten über viele Dinge, bis Scarlett bemerkte, dass es ihre Großmutter ermüdete.
»Lass uns eine Pause einlegen«, schlug sie vor, »wir haben noch viel Zeit, über alles zu reden.«
»Gute Idee«, stimmte Gloria zu. »Schau dich im Haus und in der Gegend um. Ich bleibe noch ein Weilchen hier sitzen.«
Scarlett gab ihr ein Küsschen und schlüpfte zur Tür hinaus.
»Ist der kleine Pfad zum Meer noch vorhanden?«, fragte sie Jenny, die ihr auf dem Flur begegnete.
Sie nickte eifrig. »Es ist ein schöner Fußweg daraus geworden, der direkt in eine kleine Meeresbucht führt. Wenn Sie normalen Schrittes gehen, brauchen Sie zehn Minuten«, sagte die Hausdame. »Es ist ein erlebnisreicher Spaziergang. Sie werden viele bunte Blumen, Sträucher und herrliche Schmetterlinge zu sehen bekommen. Ich zeige Ihnen die Richtung.« Sie trat mit vor das Haus und erklärte Scarlett den Weg.
»Vielen Dank, Jenny.»
»Sehr gerne, ich freue mich, dass Sie da sind. Ein bisschen Leben im Haus kann nicht schaden.«
Sie konnte das Meer riechen. Möwen flogen über sie hinweg. Sie spazierte an einigen Cottages mit gepflegten Vorgärten vorbei und an einem Pub, aus dem laute Musik drang. Wenig später hatte sie die Meeresbucht erreicht. Sie setzte sich in den feinen, warmen Sand und blickte in den Himmel. Bewundernd betrachtete sie das strahlende Blau, an dem sich feine Wölkchen sammelten. Ein schönes Fleckchen zum Entspannen, fand sie. Scarlett war ein Energiebündel. Hier war sie wie ausgewechselt. Die frische Prise des Meeres und die traumhafte Landschaft, ließen keine negativen Gedanken zu. Ihr Kopf war frei und sie wusste, sie hatte sich richtig entschieden, hierher zu kommen. Sie fühlte sich ihrer Grandma verbunden und schämte sich, dass sie erst kam, nachdem sie einen Schlaganfall erlitten hatte. Sie schloss die Augen, träumte vor sich hin, genoss die Stille. Außer dem Plätschern kleiner Wellen, die den Sand spülten, war nichts zu hören. Gerne wäre sie noch sitzengeblieben, aber es war an der Zeit, den Rückweg anzutreten.
Scarlett wanderte an den Cottages vorbei, da sah sie auf dem Wiesenstück, rechts des Weges, einen Reiter entlang traben. Sie konnte ihn nicht deutlich erkennen, sah, dass es ein Mann war, der zu ihr hinschaute. Sie hob die Hand und winkte. Der Reiter drehte den Kopf zur Seite, ohne sie zu beachten, und gab dem Pferd die Sporen.
Was für ein eingebildeter Pinsel, dachte sie und kicherte.
Jenny hatte sie vom Fenster aus kommen sehen und öffnete die Haustür. »Hat es Ihnen gefallen?«, fragte sie.
»Sehr beeindruckend«, gab Scarlett ehrlich von sich.
»In einer halben Stunde gibt es Abendbrot. Gehen Sie hinauf, Lady Gloria erwartet Sie.« Lächelnd schlüpfte sie in die Küche zurück, Scarlett eilte nach oben. Nach kurzem Klopfen trat sie ein. »Hallo, Grandma, ich konnte mich nicht satt sehen, an dieser traumhaften Gegend.«
»Das freut mich, mein Kind.«
»Da merke ich, dass ich lange nicht hier war. Ich bin einem Reiter begegnet. Groß und stolz. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, ritt er an mir vorbei. Ich habe ihm zugewinkt, aber er hat weggeschaut.«
Gloria lachte. »Das war Lord Sinclair. Nimm es ihm