»Das ist meine Enkelin!«, rief Gloria durch die Tür.
»Entschuldigen Sie, ich habe versäumt mich vorzustellen: Scarlett Södermann«, sagte sie und öffnete die Tür zum Zimmer ihrer Grandma.
»Angenehm, Dr. George Miller. Es ist alles Bestens«, sagte er. »Lady Gloria erholt sich erstaunlich schnell. In wenigen Wochen wird sie die Alte sein.« Er lachte.
»Da bin ich beruhigt. Ich kann bis September bleiben«, bekundete sie.
»Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit. Wenn irgendwas sein sollte mit ihrer Grandma, rufen Sie mich an.« Er reichte ihr verabschiedend die Hand. Sie fühlte sich warm und zärtlich an. Ein Blick in seine strahlend blauen Augen sagten ihr, dass er ein gefühlvoller Mensch sein musste. Außerdem sah er gut aus.
Später fragte sie ihre Grandma, wie lange Dr. Miller ihr Hausarzt sei.
»Er hat vor zwei Jahren die Praxis seines Vaters übernommen. Er ist mit seinen zweiunddreißig Jahren absolut kompetent. Ich bin äußert zufrieden mit ihm. Gefällt er dir?« Gloria lachte schelmisch.
»Er hat einen guten Eindruck auf mich gemacht«, erwiderte Scarlett. »Ich freue mich über deine Fortschritte.«
Der Gong ertönte.
»Lass uns zum Essen gehen. Jenny wartet nicht gerne«, verriet Grandma.
Scarlett lachte herzhaft. »Das wollen wir ihr nicht antun.«
»Was gibt es heute zu essen, Jenny?«, fragte sie.
Stolz servierte sie ein Special Cottage Pie.
»Hmm … lecker. Im Restaurant meiner Eltern steht es auf der Speisekarte.«
»Das freut mich«, lobte Gloria.
»Guten Appetit«, wünschte Scarlett.
»Danke, ebenso. Da fällt mir was ein«, sagte Gloria, »ich habe heute eine Einladung, für Samstag, an Lord Sinclair versendet. Da hast du zwei Tage Zeit, dich darauf einzustellen.«
»Ach, Grandma, ich brauche mich nicht einzustellen. Ich bin wie ich bin.«
»Und so bist du richtig.«
Am nächsten Tag regnete es. Scarlett saß bei Ihrer Grandma und las ihr aus einem deutschen Krimi vor. Manchmal konnte sie die Spannung nicht ertragen, was Scarlett amüsiert zum Lachen brachte.
»Lach nicht, ich bin nicht mehr die Jüngste. Das ist eine aufregende Lektüre.«
»Du bist zweiundsiebzig und nicht alt«, widersprach Scarlett.
»Ich hoffe, dass mir noch ein paar Jährchen vergönnt sind.«
»Davon kannst du ausgehen, liebe Grandma, das spüre ich.«
Nach dem Mittagessen hielt Gloria ihren Mittagsschlaf und Scarlett streifte durch das Haus. Es gab eine Kammer auf dem Dachboden, in der sich altes Gerümpel befand. Sie war neugierig und begab sich dorthin. Enttäuscht blickte sie auf alte, verstaubte Möbelstücke. Hinter einem Schrank lugte ein Bilderrahmen hervor. Sie zog ihn heraus. Es war das Portrait eines Mannes, mittleren Alters, der gut aussah. Volle braune Haare, einen Schnauzbart, wache blaue Augen und einen sinnlichen Mund, um den ein melancholischer Ausdruck lag. Wer mag das sein? Scarlett würde Grandma fragen. Als sie das Bild zurückschob, fiel hinten ein Blatt Papier aus dem Rahmen. Erstaunt hob sie es auf, faltete es auseinander und las.
Geliebte G. Wir werden uns nicht mehr sehen. Unsere Liebe hat keine Zukunft. Unsere Familien dulden es nicht. Es war schön mit dir. Du wirst ewig in meinem Herzen bleiben.
In Liebe, Dein F.
Grandma hatte ein Verhältnis, sieh an, ging es Scarlett durch den Kopf. Aber wer war dieser F …? Sie stieg vom Dachboden herunter und suchte ihr Zimmer auf. Was war hier einst vorgefallen? Hatte Großvater davon gewusst? Diese Fragen konnte ihr Grandma beantworten. Ob sie den Mut hatte sie zu fragen, wusste sie im Moment nicht. Sie brauchte frische Luft. Ein kleiner Spaziergang wäre jetzt das Richtige. Mit einem Schirm bewaffnet, verließ Scarlett das Haus. Zum Glück hatte es aufgehört zu regnen.
Kapitel 2
Am Samstag schien die Sonne. Scarlett stand in ihrem Zimmer vor dem Spiegel und begutachtete sich. Sie hatte eine weiße Jeans und die neue Bluse mit den Blümchen angezogen. Sie ging hinunter in den Salon. Gloria hatte ihren Mittagsschlaf um eine halbe Stunde verkürzt. Der Tisch war mit dem Sonntagsporzellan gedeckt. Kuchen und kleine Törtchen standen bereit. Den Tee brühte Jenny frisch auf, wenn der Gast eingetroffen war.
Die Türglocke läutete. Scarlett war nervös. Jeden Moment würde der Lord vor ihr stehen. Sie bat Jenny zu öffnen und setzte sich mit Grandma auf das Sofa. Stimmen kamen näher. Die Tür ging auf. »Treten Sie ein, Lord Sinclair«, forderte Jenny den Mann auf. Er stand vor Ihnen, groß, muskulös, braungebrannt, mit grauer Hose und dunkelblauem Hemd, die Ärmel leicht hochgekrempelt. Seine dunklen Augen ruhten für Sekunden auf Scarlett.
»Philipp, wie schön, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Das ist meine Enkelin, Scarlett Södermann.«
»Ich habe zu danken, meine liebe Gloria. Wie geht es Ihnen?« Er griff nach ihrer Hand und hauchte einen Kuss darauf.
»Danke, Philipp, erstaunlich gut.«
Scarlett begrüßte er, indem er ihr zunickte. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, brachte er charmant hervor, mit angenehm tiefer Stimme.
Ein bisschen zu theatralisch, aber ein erotischer Mann, fand Scarlett und antwortete: »Wir hätten uns früher kennengelernt, wenn Sie nicht mit geschlossenen Augen herumspazierten.«
»Ich verstehe nicht?«, sagte er und runzelte die Stirn.
»Das erste Mal sind Sie mit Ihrem Pferd an mir vorbeigeritten, als wäre ich durchsichtig. Das zweite Mal konnte ich verhindern, dass sie mich auf der Treppe zur Stadt umgerannt hätten.«
»Ach, das waren Sie? Das konnte ich nicht ahnen. Tut mir leid. Im Allgemeinen pflege ich keine Kommunikation mit Fremden.« Er lachte, aber es klang künstlich.
»Nehmen Sie meiner Enkelin den Angriff nicht übel. »Sie sagt, ohne Umschweife, was sie denkt«, ließ sich ihre Grandma vernehmen.
»So bin ich. Ich gedenke nicht, mich zu ändern«, gab Scarlett trotzig von sich. Sie sah, dass er grinste.
Jenny brachte den Tee.
»Gehen wir zum gemütlichen Teil über. »Scarlett, gießt du bitte Tee ein.«
Scarlett lächelte, füllte die Tassen und reichte Gebäck. »Kann ich mir bei Ihnen ein Pferd leihen, zum Ausreiten?«
»Können Sie mit Pferden umgehen?«, fragte der Lord.
»Wer ausreitet, kennt sich auch mit Pferden aus.«
»Das stimmt. Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte er. »Wir unternehmen einen gemeinsamen Ausritt. Ich zeige Ihnen die schönsten Reitwege, mit fantastischen Ausblicken. Was halten Sie davon?«
»Wären Sie beleidigt, wenn ich alleine ausreite?«, fragte Scarlett.
»Wie es Ihnen beliebt, Miss Södermann.«
»Der erste Ausritt gehört dem Pferd und mir«, sagte sie.
»Verstehe«, entgegnete der Lord. »Das schafft Vertrauen zwischen Ihnen und dem Tier.«
Scarlett nickte. »Das wäre schön. Es soll nicht der einzige Ausritt bleiben.«
»Warum tragen Sie nicht den Namen von Lady Gloria?« Fragend zog er die linke Braue nach oben.
Bevor Scarlett antworten konnte, schaltete sich ihre Grandma ein.
»Meine Enkelin ist eine echte Montgomery, das kann ich Ihnen versichern, Philipp. Als mein Sohn vor siebenundzwanzig