In der Schlinge. Victor Ast. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Victor Ast
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844284539
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müssen, Ihre Freundschaft nicht mehr genießen zu dürfen!“

      Von Riddagshausen erhob sich und zeigte auf die Tür.

      „Ich möchte Sie bitten, dieses Zimmer jetzt zu verlassen.“, sagte er ruhig.

      „Besinnen Sie sich, Albert! Sie glauben zu wissen, was für Konsequenzen es haben würde? Nein! Sie haben keine Ahnung, mein Lieber!“ Clark lachte auf. „Das würden Sie doch Ihrer Familie nicht antun wollen, die Sie ja so sehr lieben. Nicht wahr? Oder glauben Sie etwa, dass es für Ihre Familie besonders opportun wäre, während des Besuches eines weltberühmten Gastes in Abwesenheit des Gastgebers erfahren zu müssen, was der liebevolle Ehemann und vorbildliche Vater als anständiger Bürger vor sechsundzwanzig Jahren einer jüdischen Familie angetan hat? Wie hieß diese Familie doch gleich? Grundman? Und die anderen? Was glauben Sie, wie Ihre netten Studenten und Kollegen reagieren werden, wenn sie erfahren … Lassen wir das. Lange Rede, kurzer Sinn: Sie werden schnell vor Gericht landen, mein Lieber – als Kriegsverbrecher!“

      Von Riddagshausen hob halb drohend, halb abwehrend die Hand. „Wie lange wollt ihr mich eigentlich noch erpressen!?“ rief er erregt. Er atmete schwer. „Werde ich denn niemals eine Möglichkeit bekommen, selbst meine Vergangenheit offen zu legen? Es gab auch keine anderen Familien, verdammt noch mal! Nein, es gab sie nicht! Das einzige, was ich immer wollte, war, die Menschen zu retten! Und das wissen Sie. Oder haben Sie mir nie geglaubt?“

      Von Riddagshausen sank schwer in den Sessel. Er presste beide Hände gegen seinen Kopf, als ob er das, was er eben erlebt hatte, wieder aus seinem Hirn herauspressen könnte.

      „Mein letztes Wort: nein!“ Wie ein Schuss fiel Clarks Nein. „Eine solche Möglichkeit werden Sie nie bekommen! Haben Sie gehört? Niemals! Begreifen Sie immer noch nicht, dass es keinen Ausweg für Sie gibt? Man muss nun mal für die Fehler, die man begangen hat, ein Leben lang büßen und geradestehen, und übrigens: die Amerikaner waren unsere Verbündeten. Während des Krieges!“

      „Ich habe mich also nicht geirrt?“ fragte von Riddagshausen leise.

      „Was meinen Sie?“

      „Müssen die Machthaber immer so arrogant sein? Müssen sie um jeden Preis ihre Macht zeigen?“

      „Das ist keine Arroganz. Abgesehen davon, dass ich persönlich keine Macht habe. Ich handle lediglich im Namen der Macht. Das ist alles. Die Macht ist …“

      „Sparen Sie sich das, Clark. Meinen Sie, ich wüsste nicht, was Macht bedeutet? Halten Sie mich denn für einen Grünschnabel?“

      „Macht bedeutet, andere zu beherrschen. Über die, die man nicht beherrschen kann, hat man eben keine Macht. Um die Macht muss aber ständig gekämpft werden“, antwortete Clark, und von Riddagshausen meinte, ihn seufzen gehört zu haben. „Zum einen muss man um sie kämpfen, um sie zu erringen, zum anderen, um sie zu behalten.“

      „Was ist mit Ihnen los, Norman?“

      Von Riddagshausen sammelte alle Kräfte, um ruhig zu wirken. Er suchte Clarks Augen. Sie hatten einen fiebrigen Glanz. Die Augen eines Wahnsinnigen.

      „Ich erkenne Sie nicht mehr, Norman. Sie waren nie so, so ... besessen. Was ist mit Ihnen?“

      „Ich werde es Ihnen erklären.“

      Clark drehte sich um und ging zu seinem Sessel. Zuerst sah es aus, als wollte er das Glas wieder in die Hand nehmen, um es zwischen seinen Fingern zu drehen, dann überlegte er es sich und ließ es stehen.

      „Ja, Albert“, begann er. „Es ist nicht leicht, wenn man es mit einem so intelligenten Menschen wie Ihnen zu tun hat. Um sicher zu sein, dass man alle vorstellbaren Missverständnisse vermeidet, muss man alles, aber auch wirklich alles sagen, was man für wichtig hält. Und so einer wie Sie fühlt sich sicherlich gekränkt, wenn er hört, was er schon längst weiß. Sie fühlen sich von mir belehrt! Das war niemals meine Absicht, Albert! Niemals! Mein einziges Ziel ist es, Missverständnisse zu vermeiden! Lassen Sie mich also bitte ausreden! Auch wenn Sie es als Belehrung empfinden sollten! Also noch mal zum Thema Macht. Wenn man die erste Schlacht um die Macht gewonnen hat, verlieren die Mittel des Kampfes im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung. Irgendwann, wenn in Vergessenheit geraten ist, dass die zum Machterwerb eingesetzten Mittel unanständig waren, wird keiner mehr die Anständigkeit des Machtinhabers in Frage stellen. Aus welchem Grunde auch immer. Um die Macht aber weiter zu behalten, muss man auch weiter kämpfen …“

      „Mister Clark …“

      Clark schien es nicht zu hören und redete weiter. „Diesmal sind aber die Mittel nicht mehr so unwichtig. Man darf auch nicht vergessen, dass die Macht nur durch eine winzige Minderheit ausgeübt wird. Und jetzt möchte ich Ihnen etwas über die Formen der Macht sagen und über den Kampf, an der Macht zu bleiben …“

      „Mister Clark, bitte …“

      „ …Totalitarismus, oder sagen wir lieber: das, was die große Mehrheit unserer westlichen Gesellschaft unter diesem Wort zu verstehen glaubt, kann mit Sicherheit nicht ewig halten. Dazu kommt, dass in den totalitären Ländern der Wahn der Ideologie die einfachste Logik besiegt. Und die Folge? Eine miserable Wirtschaft! Und genau das, was diese so genannten totalitären Regierungen mit ihrer Bevölkerung tun, tun die Amerikaner mit der ganzen Welt. Uns inklusive! Wenn Sie das verstanden haben, dann …“

      „Hätten Sie nicht lieber doch Lehrer werden sollen? Also ganz ehrlich, Mister Clark, glauben Sie wirklich, dass ich bisher nichts davon wusste? Halten Sie mich wirklich für so dumm, dass Sie glauben, mir ein Privatissimum in Politik und Wirtschaft halten zu müssen?“

      „Ihr Akademiker habt ja keine Ahnung von Macht.“ Clarks Stimme klang angewidert. „Aber lassen wir das. Machen wir es kurz. Sie haben es ja richtig erkannt: Sie haben keine andere Wahl.“

      Clark machte eine Pause und nahm einen kräftigen Schluck. „Albert, wir kennen uns schon eine ganze Weile, und ich weiß wirklich, dass Sie ein sehr anständiger Mensch sind. Aber glauben Sie mir, dass auch ich keine andere Wahl habe! Wenn wir uns hier und heute nicht einigen, wird diese ganze Angelegenheit ein Nachfolger übernehmen. Mein Nachfolger, verstehen Sie? Und egal, wer es sein wird, er wird Sie nicht so höflich einladen, wie ich es gestern getan habe, sondern Sie einfach rufen, um Ihnen Befehle zu erteilen! Er wird Sie auch nicht belehren, er wird Sie kränken! Und ihm wird es absolut egal sein, ob Sie es verstehen oder nicht. Sie werden sein Untertan sein!“

      „Halten Sie mich etwa für einen Exnazi, den man bis ans Ende seines Lebens erpressen kann?“ Von Riddagshausen biss sich kräftig auf die Unterlippe. Aber er empfand keinen Schmerz. „Ich bin nie ein Nazi gewesen, Mister Clark! Niemals!“

      „Das weiß ich auch, Albert. Es ist aber auch ziemlich egal, ob Sie einer waren oder nicht. Eins jedenfalls ist absolut sicher: Jeder, der einen Hund unbedingt …“

      „… prügeln will, findet auch einen Stock. Ich weiß, Mister Clark.“

      „Sehen Sie? Es ist überhaupt keine große Kunst, aus einem Deutschen, der während des Krieges halbwegs erwachsen war, einen bösen Nazi zu machen. Es ist einfach zur Zeit allein euer Problem. Ob Sie es wollen oder nicht.“

      Clark ging zum Fenster und sagte: „Es regnet nicht mehr.“

      „Gut, reden Sie weiter.“ Albert von Riddagshausen schüttelte den Kopf.

      „Sie sind also einverstanden?“

      „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, lässt sich ihr Angebot ohnehin nicht ablehnen.“

      „Gott sei Dank sind Sie vernünftig geworden, Albert. Danke! Sie können sich nicht vorstellen, wie dankbar ich Ihnen bin!“

      Clark drehte sich um und blieb mit dem Rücken zum Fenster stehen. Er schaute von Riddagshausen nachdenklich an.

      „Ich habe Sie doch wirklich gern, Albert, und ich bin auch mit Sicherheit der letzte, der Ihnen etwas antun möchte. Diesmal hatte ich aber tatsächlich keine andere Möglichkeit. Eine Gelegenheit,