In der Schlinge. Victor Ast. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Victor Ast
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844284539
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das gleiche Lied?“ Von Riddagshausen kehrte wieder an seinen Platz zurück. „Wie soll ich das, verdammt noch mal, verstehen?“

      „Genau so, wie Sie es hören. Dafür braucht man unsere Intelligenz und echte Führungsfähigkeit, aber auch eure manchmal sogar ziemlich blinde Ordnung. Diese Ordnung hätte uns zum Beispiel helfen können, das ganze unnötige und in der Welt überflüssige Gesindel zu beseitigen. Meinetwegen auch in Auschwitz. Aber um Gottes willen nicht die Juden, deren Intelligenz wir mit Sicherheit notwendig brauchen.“

      Von Riddagshausen wurde übel. Die arme gequälte Kreatur trat vor seine Augen, und die entsetzlichen Bilder kehrten zurück. Als er langsam wieder zu sich kam, hörte er Clark weiterreden.

      „… die Juden muss man ja nicht gleich lieben. Die Welt braucht sie aber. Mehr, als sich die meisten Menschen vorstellen können. Sie sind schließlich für alle Zweige der Wissenschaft unersetzlich. Ob es uns gefällt oder nicht. Bevor die Bauern Traktoren bekamen, wurden keine Zugpferde abgeschlachtet … Was ist mit Ihnen, Herr Professor?“

      „Ach, nichts. Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen.“

      „Ich dachte schon, Sie fühlten sich nicht wohl …“

      „Könnten Sie nicht endlich sachlicher werden und verraten, um was es heute eigentlich geht, Mister Clark?“ Seine Stimme klang gequält.

      „Jawohl, Herr Professor, das werde ich jetzt tun. Es geht um Ihren Gast, Mister David Fastman. Sie brauchen mir nichts über ihn zu erzählen. Überhaupt nichts, Albert! Wir wissen es schon. Alles, möchte ich sagen! Wir wissen auch, dass Sie seinen Mitarbeiter vor vier Wochen in Frankfurt kennen gelernt haben. Und wenn Sie nur die geringste Möglichkeit sehen, mit Fastman zusammenzuarbeiten, dann werden Sie natürlich zugreifen. Dass Sie ihm auch Ihr Gästehaus zur Verfügung gestellt haben, freut uns um so mehr. Es kann der kleine Anfang einer großen Männerfreundschaft werden. Das würde uns natürlich überglücklich machen.“

      Von Riddagshausen kniff die Augen zusammen. „Sagen Sie Clark, was wird hier gespielt? Geht es Ihnen um meinen Gast? Was hat er, verdammt noch mal, mit uns und dem großen Tag zu tun?“

      Clark schien die Aufregung des Professors zu ignorieren.

      „Ja, Albert! Es geht um Ihren Gast! Um Ihren Gast aus den Staaten! Um den berühmten Doktor David Fastman, den Professor vom Institute for Advanced Study, dem renommiertesten Forschungsinstitut der Welt. Womit er sich beschäftigt und was der gute Fastman als Physiker in der Welt bedeutet, wissen wir selbstverständlich bis ins Detail. Seit Jahren! Schon vor zwei Wochen haben wir von unserem Mann aus Chicago Nachricht erhalten, dass Fastman nach Deutschland kommen würde, aber erst gestern, Gott sei Dank noch rechtzeitig, erfuhren wir, dass Sie, Albert, sein Gastgeber sind. Da das Gebiet seiner revolutionären Forschung uns sehr am Herzen liegt, war es meine Pflicht, Sie hierher zu bitten. Und da Sie ein sehr begabter Physiker sind, werden Sie das sicher gut verstehen, lieber Herr Professor von Riddagshausen. Es wäre natürlich viel besser gewesen, wenn es uns gelungen wäre, dieses Gespräch vor Fastmans Besuch bei Ihnen zu führen … Na ja, Ihre reizende Tochter wird bestimmt nicht allzu traurig darüber sein, dass sie sich während Ihrer Abwesenheit um einen so attraktiven jungen Mann kümmern muss … Oder irre ich mich, wenn ich glaube, dass Sie sie darum gebeten haben?“

      „Sie irren sich nicht. Aber jetzt lassen Sie die Katze aus dem Sack: Was hat unser heutiges Treffen mit meinem Gast zu tun? Dass er ein sehr sympathischer junger Mann ist, der schon viel auf seinem Forschungsgebiet geleistet hat, ist meiner Aufmerksamkeit freilich nicht entgangen.“

      „Schon viel auf seinem Forschungsgebiet geleistet hat!“ äffte ihn Clark nach. „Mehr als die meisten in Jahrzehnten. Das ist aber jetzt unwichtig. Wichtig ist, dass die Gunst des Schicksals es einem echten Briten und einem aufrichtigen Deutschen ermöglicht hat, der ganzen Welt zu zeigen, wo es langgeht. Und diese Gunst werden wir sofort beim Schopf packen. Wir werden einen kleinen Weltkrieg machen, wenn Sie verstehen, was ich meine …“

      Sein kreisendes Wasserglas stand plötzlich still.

      „Stellen Sie sich vor, Albert, wir werden den modernsten Weltkrieg aller Zeiten führen. Einen Krieg, in dem es keinen einzigen Schuss gegen unbeteiligte Menschen geben und in dem keine einzige Bombe fallen wird. Diese einmalige Chance müssen wir doch nutzen! Wir werden beide in die Geschichtsbücher kommen. Noch Generationen nach uns wird man von uns als den Vätern eines revolutionären Zeitalters des Fortschritts und des Friedens sprechen.“

      Von Riddagshausen sprang aus seinem Sessel auf und ging zum Fenster. Dieser Mann war irr! Ruckartig drehte er sich um und fixierte ihn.

      „Meinen Sie nicht, Mister Clark, dass …“

      „Langsam werde ich ungeduldig, Herr Professor von Riddagshausen. Vergessen Sie bitte nicht, dass ich hier das Sagen habe! Nicht Sie! Verstanden? Das Sagen habe ich! Deshalb möchte ich Sie bitten, mich wenigstens so lange nicht zu unterbrechen, bis ich fertig bin. Ich lasse Sie dann schon wissen, wann das sein wird!“

      Er erhob sich, fasste von Riddagshausen am Arm und führte ihn zu seinem Sessel zurück.

      „Nehmen Sie jetzt bitte wieder Platz, sonst kann ich mich nicht konzentrieren. Und wahrscheinlich auch nicht beherrschen! Noch ist es eine Bitte! Verstanden?“

      In diesem Augenblick wurde von Riddagshausen klar, dass er seine mühsam aufgebaute Loyalität den Briten gegenüber verloren hatte. Er wusste, dass es zur Zeit keine Möglichkeit gab, sich von Clark zu befreien. Aber in Zukunft würde es für ihn einen stetigen Begleiter zu den Treffen geben: Angst. Mit diesem Gedanken ließ er sich in den Sessel fallen.

      „Reden Sie weiter, Clark“, sagte er leise.

      „Wir müssen also unbedingt den ersten Schritt in diese einzig richtige Richtung tun …“

      Clarks Zunge fuhr kurz über seine Lippen. Es sah irgendwie lächerlich aus.

      „Im Übrigen: Sagen Sie bitte nie wieder Clark zu mir. Nie mehr! Haben Sie gehört? Wenn schon, dann Mister Clark oder Oberst Clark. Haben Sie mich verstanden, Riddagshausen?“

      Von Riddagshausen sah ihn entgeistert an. Was war in ihn gefahren? Rastete er jetzt aus?

      „Ihre Aufgabe ist eigentlich ganz einfach!“ fuhr Clark fort. „Sie müssen aus Fastman so viel Informationen wie nur möglich herausholen. Entscheidend ist, dass wir mit Ihrem Material in die Lage versetzt werden, die Ergebnisse vollständig zu rekonstruieren. Mit anderen Worten: Wir müssen sie nutzen können!“ Er hob sein Kinn. „Das war es eigentlich, was ich Ihnen sagen wollte. Den Rest werden Sie in wenigen Tagen, vielleicht schon am Montag, mit Professor Banx aus London besprechen. Punkt für Punkt! Ich meine natürlich das Fachliche.“

      Von Riddagshausen kniff die Augen zusammen. Er spürte einen Stich im Kopf. Entweder war es der Alkohol oder die blitzartige Erkenntnis, dass sein Hals in der Schlinge steckte.

      Clark wurde auf einmal ganz offiziell.

      „Den heutigen Abend habe ich bereits für uns geplant. Ich habe Konzertkarten besorgt. Peter Tschaikowsky mögen Sie doch, oder? Die finanzielle Seite Ihres Besuches, Hotelrechnung und alles andere, haben wir schon geregelt. Wie immer sind Sie Gast der Royal Society.“

      „Einen Augenblick bitte, Mister Clark“, sagte von Riddagshausen schnell. „Was soll das eigentlich bedeuten? Dass ich für Sie oder, um genauer zu sein, für Ihre Regierung etwas tue, war 1945 eindeutig abgesprochen. Damit bezahle ich schließlich Ihr Schweigen über meine wahre Identität. Bis jetzt konnte ich es auch mehr oder weniger mit meinem Gewissen vereinbaren. Bis vor wenigen Augenblicken war ich ja letztendlich davon überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen. Jetzt verlangen Sie aber von mir, so habe ich es jedenfalls verstanden, etwas zu tun, das gegen die Amerikaner gerichtet ist, die ja immer noch als unsere Verbündeten gelten. Nein, Mister Clark! Vergessen Sie es! Ich will keinen Krieg ohne Bomben führen! Ich will auch keinen Krieg ohne Schüsse führen! Ich will überhaupt keinen Krieg führen! Von Kriegen haben wir alle schon mehr als genug, verstehen Sie? Ich will nur anständig und