„Ich weiß, dass Sie allen Grund haben, etwas unzufrieden zu sein, weil ich auf dem heutigen Treffen so hartnäckig bestanden habe. Vielleicht haben Sie es sogar als Befehl verstanden. Es ging aber nicht anders“, sagte sein Gast, „wirklich nicht, Albert! Glauben Sie mir!“ Er lachte plötzlich laut und sagte: „Das war aber lustig, als Sie mich Frau Ferkel nannten, wirklich lustig …“
„Frau Merkel habe ich Sie genannt! So heißt tatsächlich eine der Mitarbeiterinnen hier in Hannover. Sollte ich Sie etwa in Anwesenheit meiner Familie als Oberst Clark ansprechen?“
„Sie haben recht, das hätte man als etwas inopportun bezeichnen müssen“, grinste Clark.
Er stellte den nassen Regenschirm in den Schirmständer, zog seinen Mantel aus, hängte ihn auf und setzte sich mit dem Rücken zum Fenster. Als von Riddagshausen auf die Getränke zeigte, wehrte er erschrocken ab.
„Nein, nein! Um Gottes Willen, Albert! Dafür ist es noch viel zu früh. Ich hätte gerne Wasser. Bringen Sie ruhig etwas mehr …“
„Gerade jetzt“, von Riddagshausen sah auf die Uhr, „in etwa einer Stunde wollte ich meinen Gast aus den USA meinen Mitarbeitern vorstellen. Noch vor der offiziellen Begrüßung am Montag. David Fastman, so heißt er, arbeitet am Institut for Advanced Study in Princeton und ist zur Zeit einer der bedeutendsten Physiker. Er beschäftigt sich … oh, Pardon, ich will Sie nicht mit fachlichen Details belästigen, von denen Sie mit Sicherheit keine Ahnung haben.“ Er genoss es, Clark gegenüber seine Überlegenheit herausstreichen zu können. „Aber ich nehme an, dass das nicht unser heutiges Gesprächsthema sein wird.“
„Alles kann Gesprächsthema zwischen zwei alten Freunden sein, lieber Herr Professor. Wir haben uns ja schon immer sehr gut verstanden.“
Diese Bösartigkeit war typisch für ihn.
Clark goss Wasser ins Glas und nahm einen kräftigen Schluck. Das Glas behielt er in der Hand und drehte es ständig im Kreis.
Er war mittelgroß und Mitte fünfzig. Von Riddagshausen hatte ihn trotz ihrer langjährigen Bekanntschaft nie nach dem Alter gefragt. Sein kurzes graues Haar trug er immer elegant und sorgfältig zurückgestrichen. Eine kurze Weile saßen sie sich schweigend gegenüber, bis schließlich von Riddagshausen ungeduldig fragte: „Haben Sie mich nach Hannover eingeladen, um mir höflich mitzuteilen, dass Sie mir eigentlich nichts zu sagen haben, Mister Clark? Gerade heute, wo ich …“
„Ich weiß schon, Sie brauchen es nicht zu wiederholen. Sie haben einen Gast aus den USA, und ich verstehe Sie auch, Albert. Ich musste aber schnellstens etwas Wichtiges mit Ihnen besprechen. Gerade zum Thema USA …“
Clark schaute wie gebannt auf das zwischen seinen Fingern kreisende Wasserglas, als könne ihm gleich ein Sturm entsteigen. Dann hob er blitzschnell den Kopf und sah von Riddagshausen direkt in die Augen. Er hatte Falkenaugen.
„USA! Das riesige Land der unbegrenzten Möglichkeiten! Wir Europäer sollten doch ab und zu von den Amis etwas lernen. Das sage ich, obwohl ich in Wirklichkeit diese primitiven Cowboys verachte.“
„Bleiben Sie bitte beim Thema, Mister Clark“, unterbrach ihn von Riddagshausen. „Ich glaube, die Primitivität der Cowboys, die Sie festzustellen meinen, hat mit uns sehr wenig, um nicht zu sagen überhaupt nichts zu tun.“
Clark nahm noch einen Schluck, stellte bedrohlich langsam das Glas auf den Couchtisch und erhob sich. Er schob die Hände in die Hosentaschen und ging zum Fenster. Wie ein Tiger, der die Gitterstäbe seines Käfigs fixiert. Nach einer Weile sagte er aufreizend gedehnt: „Ich hasse es. Ich meine, wenn es regnet. Es macht mich traurig.“
Von Riddagshausen sah ihn fragend an. „Mister Clark, würden Sie mir bitte erklären, warum wir uns unbedingt heute treffen mussten? Zum ersten Mal ungeplant …“
„Ich bin ja gerade dabei.“ Clark lachte. „Nur Sie, lieber Herr Professor, wollen mich leider nicht ausreden lassen. Als ob Sie nicht erfahren möchten, dass heute Ihr großer Tag gekommen ist. Endlich kann oder sogar muss unsere vierundzwanzig Jahre dauernde Vorbereitung Früchte tragen. Unsere Geduld wird sich jetzt endlich auszahlen!“ Er zog seine rechte Hand aus der Hosentasche und strich sich über die Stirn. Noch immer stand er mit dem Rücken zum Zimmer und schien aus dem Fenster hinauszusehen.
„Sie haben aber über die Cowboys geredet, Mister Clark.“ Von Riddagshausen war sich sicher, dass dies wieder nur ein Versuch Clarks war, seine Geduld und seine Bereitschaft zu überprüfen. Durch Erniedrigung, versteht sich. Aber musste es gerade heute sein?
„Ja, ja, ich sagte, dass ich die Cowboys verachte. Man kann aber trotzdem von ihnen etwas lernen. Besonders ihr Deutschen. Ihr habt jetzt riesigen Erfolg, unter anderem, weil es bei euch nach dem Kriege viel zu reparieren gab. Wenn aber eines Tages all das erledigt sein wird, werdet ihr große Probleme haben, euch von der alten Form eures Denkens zu befreien.“ Clark kehrte zum Tisch zurück und füllte das Glas mit Wasser. „Und übrigens, könnten Sie bitte diese primitive Musik abschalten oder zumindest den Sender wechseln?“
Von Riddagshausen zögerte zunächst. Er hasste es, von Clark herumkommandiert zu werden. Langsam erhob er sich, ging zum Radio und schaltete es aus, bevor er wieder an den Tisch zurückkehrte. In die sofort eintretende Stille hinein sagte er: „Ich möchte nicht unhöflich sein, Mister Clark, aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie jetzt wirklich zur Sache kämen. Ich glaube nicht, dass wir gerade jetzt über die verschiedenen Formen des Denkens reden müssen.“
„Einspruch, euer Ehren“, sagte Clark, „Eure Art des Denkens war nämlich einer der wichtigsten Gründe, warum Deutschland den Krieg verloren hat. Verlieren musste! Ihr hättet es damals mit uns zusammen machen sollen!“
Von Riddagshausen erstarrte. „Was sagten Sie da gerade? Wie soll ich das, bitte schön, verstehen?“
„Keine Nation ist fähig, allein auf dieser Welt zu herrschen, von uns Briten unter gewissen Bedingungen einmal abgesehen. Unser früheres Imperium darf doch als kleiner Beweis dafür gelten.“
Von Riddagshausen sah Clark skeptisch an. Auf so ein Gespräch war er nicht vorbereitet.
„Mister Clark, seit etwa vierundzwanzig Jahren treffen wir uns regelmäßig, und bis heute haben wir uns, so glaube ich zumindest, sehr gut verstanden. Ich weiß es und ich akzeptiere es ja auch, dass ich Ihnen etwas schulde. Ich weiß sehr wohl, wofür. Und ich tue ja etwas für Sie. Wie damals abgemacht! Auch wenn mir im Laufe der Zeit immer klarer wurde, dass es eigentlich nichts anderes als Schaumschlägerei gewesen ist.“
Clark grinste. „Harte Worte, Professor: Schaumschlägerei!“
„Ja, Mister Clark! Schaumschlägerei! Spielen wir endlich mit offenen Karten. Wir beide wissen, dass ich für Sie nur Scheinarbeit geleistet habe. Heute ist ja das allererste Treffen, wo wir uns über solche Sachen unterhalten.“
Statt einer Antwort trank Clark einen Schluck Wasser.
“Mister Clark! Ich habe Sie gefragt, ob …“
„Ja, ich weiß, Albert. Es ist diesmal aber viel komplizierter. In einem Punkt haben Sie Recht! Wir haben Ihre Geduld und Ihre Bereitschaft wirklich hart geprüft. Es war aber keine Schaumschlägerei. Unser Job ist Warten! Sehr oft weiß man nicht einmal, worauf man wartet! Aber manchmal hat man Glück! Wie jetzt! Und auf so einen Tag wie heute mussten wir sehr lange warten. Vierundzwanzig Jahre, Herr Professor! Vierundzwanzig Jahre! Aber es hat sich gelohnt! Dabei hätte es wirklich anders aussehen können. – Hören Sie, Albert, vor Ihnen kann ich ja mit offenen Karten spielen …“
„Dann tun Sie es und sagen Sie endlich, was Sie heute zu sagen haben.“ Von Riddagshausen leerte sein Glas und stand auf. Er ging unschlüssig im Raum auf und ab, bis er neben Clark zu stehen kam. Er blickte müde zu ihm hinunter. „Worauf haben wir so lange gewartet, Mister Clark? Was ist unser Erfolg?“
„Setzen Sie sich wieder,