David Fastman … dieser Mensch machte ihm Kopfzerbrechen und weckte dunkle Erinnerungen, die ihn keinen klaren Gedanken fassen ließen. Für einen kurzen Moment zuckte in ihm die Vorstellung auf, sich ihm einfach anzuvertrauen. Doch wie würde Fastman reagieren, wenn er die Hintergründe seiner Auftraggeber erfuhr? Er hielt ihn für sehr sensibel. Das machte ihn nicht nur sympathisch, sondern auch schwer einschätzbar. Das war eben das Risiko bei sensiblen Menschen, dass sie nicht wie ein Schweizer Uhrwerk funktionierten. Deshalb wäre es auch nicht vorhersehbar, wie Fastman das Schicksal der Familie Grundman aufnehmen würde und ob er für seine damalige Handlungsweise Verständnis aufbrächte. Aber eines wusste er: Er würde Clarks Auftrag sabotieren.
Kapitel 5
David Fastman saß auf dem Doppelbett und starrte den lindgrünen großen Schrank an. Der konnte ihm aber auch keine Antwort darauf geben, wo die Träume der letzten Nacht hingegangen waren. Ein Traum war noch unbelichtet in der Dunkelkammer seines Bewusstseins zurückgeblieben und drängte danach, belichtet zu werden.
Er rieb sich die Augen und konzentrierte sich darauf, sich an den Traum zu erinnern. Noch einmal rieb er sich die Augen und warf einen vergewissernden Blick auf den lindgrünen Schrank. Er stutzte: Waberte nicht vor ihm eine weiße Nebelwand, die ihn einzuhüllen drohte? Und unterhielten sich dahinter nicht Stimmen?
Plötzlich riss der Nebel auf, und er erkannte seine Eltern und die Mädchen. Es klingelte. Seine Mutter ging zur Tür, um zu öffnen. Es war … Sara. Sie bat seine Mutter um etwas Salz. Seine Mutter fragte Sara, wer sie sei, und Sara wunderte sich, dass seine Mutter sie nicht erkannte. Dann kam Schulze und zog die Waffe. Er wollte alle erschießen. Doch bevor er abdrücken konnte, wurde er selbst erschossen. Aus dem Hintergrund trat eine Frau mit einem Maschinengewehr. Es war Monika von Riddagshausen … Er wollte ihr etwas zurufen, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst, aus seinem Kehlkopf kam nur ein hässlich–krötiger Laut, der den Nebelschleier wie eine Seifenblase zerplatzen ließ.
Er schaute auf die Uhr. Es war kurz vor fünf Uhr morgens. Sein Versuch, wieder einzuschlafen, blieb ohne Erfolg. Er machte die kleine Bettlampe an, nahm eine der letzten Ausgaben des Spiegels vom Nachttisch und begann, lustlos zu lesen. Nach wenigen Minuten merkte er, dass er sich auf kein anderes Problem würde konzentrieren können als auf sein eigenes.
Erst kurz vor zwölf erwachte er wieder. Zwanzig Minuten brauchte er für Zähneputzen, Duschen und Anziehen, dann nahm er erneut die Spiegel–Lektüre auf. Er wunderte sich, wie schlecht die Studenten in der Öffentlichkeit wegkamen, obwohl sie mutig genug waren, gegen den Springer Verlag oder gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren, und dadurch mit der Polizei aneinander gerieten. Besonders zutreffend erschien ihm der Kommentar eines Münchner Anwalts: Für diesen Tarif könnte man im volltrunkenen Zustand einen Menschen totfahren und dann Fahrerflucht begehen. Überall das Gleiche, dachte er, Querdenker werden nirgends geduldet.
Er schaute auf die Uhr. Es war kurz vor eins. Er stand auf, zog seinen Sakko an und verließ das Gästehaus. Um dreizehn Uhr klingelte er wie verabredet an der mächtigen Haustür der Villa.
Sara öffnete die Tür und begrüßte ihn.
„Hallo, David! Komm rein. Hast du gut geschlafen?“
„Eigentlich ja. An eine neue Umgebung muss man sich ja immer erst gewöhnen, aber ich habe mich gut erholt.“
Sie führte ihn in den großen Salon. Die Landschaftsbilder an den Wänden stifteten bei ihm erneut große Unruhe, denn sie riefen die Bilder seiner Kindheit wieder hervor. Wieso gerade diese Bilder? Die sprechen ja kein Deutsch, durch das sie mir bekannt vorkommen würden, dachte er. Aus den Lautsprechern lief klassische Musik, die David sofort erkannte, das 3. Klavierkonzert d–Moll von Rachmaninow. Die pathetischen und traurigen Klänge berührten ihn immer wieder.
„Hallo, Mister Fastman. Schön, Sie zu sehen“, begrüßte ihn Monika lächelnd.
David war so in seine Gedanken vertieft, dass er einen kurzen Moment brauchte, um zu sich zu kommen.
„Guten Morgen, Frau von Riddagshausen. Na ja, guten Morgen ist leicht übertrieben.“
„Oh, machen Sie sich keine Gedanken. Aber wie ich sehe, wirken Sie recht munter, und das trotz der Zeitverschiebung.“
Sie drehte sich zu Sara um.
„Ihr beide habt wohl gut gefeiert. Bis halb zwei war ich selber noch wach. Wann seid ihr eigentlich zurückgekommen?“
Sara blickte David fragend an.
„Um ehrlich zu sein …“
„Ich glaube, es war ungefähr drei Uhr morgens“, unterbrach David sie.
„Ja, Moni. Es war fantastisch. Wir wollten uns die Altstadt anschauen, anschließend trafen wir noch Bekannte von mir, die spontan auf die Idee kamen, mit uns zu feiern. Zwar musste ich David noch ein wenig überreden, aber schließlich hat er dann doch nachgegeben.“
David war immer wieder über das lockere Verhältnis zwischen Sara und ihrer Mutter erstaunt. Sie wirkten wie zwei alte Schulfreundinnen, wenn sie sich miteinander unterhielten.
„Es freut mich, dass ihr euch so gut amüsiert habt. Die Besichtigung der Altstadt könnt ihr ja später noch nachholen.“
„Es war wirklich sehr angenehm, Frau von Riddagshausen. Und das ist ganz ohne Zweifel der Gesellschaft Ihrer Tochter zu verdanken.“
Fastman war sich nicht sicher, ob er mit seiner Höflichkeit nicht übertrieb, und wechselte schnell das Thema.
„Das ist eine der schönsten Ausführungen des dritten Klavierkonzertes d–Moll von Rachmaninow, die ich kenne. Wenn ich mich nicht irre, muss es Vladimir Ashkenazy mit den Londoner Philharmonikern sein, vom Sommer vorigen Jahres, glaube ich.“
Monika zeigte sich überrascht.
„Ja, stimmt tatsächlich! Gefällt Ihnen diese Aufnahme?“
„Allerdings. Musik ist mein zweites Hobby. Fast eine Sucht.“
„Zweites? Und wie heißt dein erstes Hobby?“ wollte Sara wissen.
Fastman lachte.
„Kunst!“
„Nicht Physik?“ fragte Monika etwas verwundert.
„Das ist Pflicht.“
„Aha. Nun gut, das versteh’ ich“, sagte Monika schmunzelnd.
Hinter Monika tauchte die Haushälterin in der Tür zum Esszimmer auf, sichtlich besorgt, nicht zu stören.
„Entschuldigung, Frau von Riddagshausen.“
Monika drehte sich schnell um.
„Oh ja, vielen Dank, Inga. Darf ich Sie zum Essen bitten, Mister Fastman?“ sagte sie und machte eine einladende Handbewegung in Richtung Esszimmer.
Sie nahmen an dem großen Esstisch Platz. Als Vorspeise gab es Kaviar gemischt mit Eiersalat.
„Zum ersten Mal esse ich eine solche Mischung und ich muss sagen, es wird bei mir ab sofort ins Programm aufgenommen. Es schmeckt vorzüglich“, sagte David.
„Diese Mischung hat einen komischen Ursprung. Falls es Sie nicht langweilt …“, sagte Monika von Riddagshausen.
„Nein, bitte erzählen Sie“, forderte David sie auf.
„Während einer Geburtstagsparty für meine Mutter, ich war damals etwa fünf Jahre alt, gab es am Büfett unter anderem Kaviar. Während die Gäste sich