Lodernder Hass. Horst Warnatsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Horst Warnatsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847605270
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einer Lagerecke und zwei nachträglich installierten Kühlräumen. Im hinteren Bereich Büro, Küche und sanitäre Anlagen. Für so einen exotischen Markt recht imposant eingerichtet.“

      „Ist denn ein Brandschwerpunkt zu erkennen?“

      „Der Markt ist komplett hinüber. Ein Schwerpunkt zeichnet sich zwischen Büro und Verkaufsraum ab. Dort riecht’s auch nach Benzin.“

      „Aha.“ Dieser Hinweis machte die Sache brisant. Henningsen warf einen flüchtigen Blick auf die geborstenen Schaufenster und die Schwärze dahinter, in der mit hellen Schwaden das Wasser verdampfte. „Die Brandursache also definitiv kein technischer Defekt. Damit lässt sich ja was anfangen. Und ist schon bekannt, wie es der alten Dame geht?“

      „Sie ist 89 Jahre alt. In dem Fall bedeutet ein schwerer Rauchgas-Intox akute Lebensgefahr. Dem Ehepaar mit den drei Kindern geht es gut, sie bleiben aber zur Beobachtung in der Klinik.“

      Stefan nickte. Seine Regenjacke glänzte vor Nässe, und einige Wassertropfen hatten sich bereits einen Weg seinen Hals hinunter gebahnt. „Danke für die Info.“

      „Nicht dafür.“

      Wilfried Wagner, der Einsatzleiter der Polizeikräfte, war einen halben Kopf kleiner als Stefan und von rundlicher Statur. Seinen schmal und akkurat geschnittenen Vollbart assoziierte Stefan mit Gewissenhaftigkeit und Pflichtbewusstsein.

      „Wir haben die meiste Arbeit schon für euch erledigt“, begrüßte er Stefan, die Stimmlage ebenso provokant wie sein Blick hinter der getönten Brille.

      Er entlockte ihm damit nur ein müdes „Na ja…“ Henningsen warf einen Blick zu der kleinen Menschenansammlung. „Ist schon erstaunlich, wie viele Bürger sich zu dieser Stunde auf der Straße rumtreiben. Noch dazu bei diesem Sauwetter.“

      „Wir haben von allen Schaulustigen die Personalien. Vier von ihnen wohnen nicht hier, zwei haben wir festgenommen.“

      „Tatverdächtige?“

      „Kann man nicht sagen. Einer von ihnen wird per Haftbefehl gesucht, der andere ist sein Kumpel.“

      „Und deswegen habt ihr ihn gleich mit festgenommen“, konstatierte Henningsen. Seine Augen funkelten den Uniformierten belustigt an.

      Wagner lächelte sparsam. „Natürlich nicht.“

      „Ein Haftbefehl… für was?“

      „Na ja, das ist es eben: wegen Einbruchdiebstahls.“

      „Aha…“

      „Und als meine Leute mit der Feuerwehr auf dem Innenhof waren, stellten sie fest, dass von der Tür zum Hintereingang das Zylinderschloss gezogen ist.“

      Henningsen nickte bedächtig. „Das hört sich nicht schlecht an. Habt ihr zufällig das Schloss gefunden?“

      „Auf den ersten Blick nicht. Die Lichtverhältnisse sind ungeeignet. Da müsst ihr schon bei Tageslicht noch mal suchen.“

      „Wenn wir überhaupt nochmal Tageslicht kriegen“, entgegnete Henningsen skeptisch und wischte sich die Nässe aus dem Gesicht. „Scheiß Wetter! Habt ihr sonst noch was Besonderes?

      „Ein komischer Kauz, der etwas abseits stand und die Rettungsarbeiten verfolgte. Daniel Friedlaender heißt er und kommt aus Frankfurt. Hat aber hier ganz in der Nähe bei seiner Familie einen Zweitwohnsitz.“

      Von diesen Feststellungen hingen die späteren Recherchen oft ab. Je mehr Namen notiert wurden, desto eher konnte man erkennen, ob jemand immer mal wieder und an völlig verschiedenen Orten als „Schaulustiger“ auftritt. Oder er kann seine Anwesenheit überhaupt nicht plausibel erklären.

      Stefan nahm während des Gesprächs beiläufig wahr, dass es schräg gegenüber eine Tankstelle gab. Sie war geschlossen, die Zapfsäulen und der Verkaufsraum lagen im Dunkeln.

      „Von dort werden die Täter sich das Benzin nicht besorgt haben können. Sie werden hier also mit dem Wagen vorgefahren sein, weil niemand nachts mit einem Benzinkanister durch die Straßen läuft.“ Er sah Wagner wieder an. „Ist der Brandentdecker noch anwesend?“

      „Nein. Brandentdecker war ein junger Mann, der von der U-Bahnstation kam und auf dem Weg nach Hause war. In Höhe des Supermarktes nahm er Brandgeruch wahr und will da auch schon im Inneren Feuerschein gesehen haben. Er habe die ganze Zeit, während er auf die Rettungskräfte wartete, keine verdächtige Personen bemerkt. Er sagte, es sei auch niemand vom Hinterhof herunter gekommen.“

      In diesem Moment zuckte ein weiteres Blaulicht auf. Ihre Köpfe ruckten synchron herum. Ein großer silbergrauer Ford Transit rollte heran. Beiläufig fiel es Stefan auf, dass der Regen allmählich nachzulassen schien. Er fluchte still in sich hinein. Gregor Pergande nahm sich des Falles an und fand aufklarende Witterungsbedingungen vor, fast so, als hätte er während der gesamten Anfahrt eine Beschwörungsformel gesprochen.

      Pergande rutschte vom Fahrersitz herunter und kam, mit dunkelbraunen Lederhosen, dunkelblauem Troyer und schwarzem Parka bekleidet, auf Sebastian zu. Er sah zunächst nur flüchtig zum Brandort hinüber. In seinem ovalen Gesicht mit dunklem Dreitagebart und dem Millimeter kurzen, dunklen Haarkranz fielen markante, dicht gewachsene Augenbrauen auf, die sich über seinen Brillengläsern wölbten. In seinen Augen saß der Schalk und wenn sie einen trafen, musste man jeden Moment mit einer spaßigen oder ironischen Bemerkung rechnen oder damit, in ein endloses Gespräch verwickelt zu werden.

      Pergande nahm seine Brille ab und verwischte mit bloßen Fingern die Tropfen. „Ich hätte nicht gewusst, was ich sonst mit dem Wochenende anfangen soll.“

      Stefan grinste ergeben. Richtig gewöhnen konnte er sich an manche Bemerkungen nicht. Natürlich waren sie nicht ernst gemeint, aber er empfand sie als unangenehm, wenn über Opfer nachzudenken war und ihre Brandortarbeit eine Menge kritischer Beobachter hatte. Er setzte seinen Kollegen ohne überflüssige Worte über die wichtigsten Fakten in Kenntnis und schloss mit der Bemerkung: „Sieht auf den ersten Blick gar nicht so großartig aus, das Problem ist die alte Dame.“

      „Und das Benzin.“ Gregor wandte sich um und näherte sich dem ausgebrannten Asia-Markt, wo im Inneren noch immer das Belüftungsgerät dröhnte. Sie standen den Feuerwehrkräften bei den letzten Aufräumarbeiten im Wege. „Lasst aber noch ein paar Sachen drinnen“, rief Pergande dem Einsatzleiter zu.

      „Wir wissen doch, wie ihr es gern haben möchtet“, gab Petersen zurück. „Wir sind gerade mit der Wärmebildkamera durch. Keine Brandnester mehr aufzufinden. Paar Minuten und ihr könnt im Schutt 'rumwühlen.“

      „Prima.“ Und zu Henningsen sagte er: „Komm, Stefan, lass‘ uns die Rückseite ansehen.“

      Ein Schild neben der Einfahrt wies auf das Restaurant Factory hin. Die Zufahrt führte hinter dem Gebäude nach rechts. Im Innenhof erhob sich ein altes, rotbraun geklinkertes Fabrikgebäude. Die verschnörkelten Firmeneingänge und die Fassade des Restaurants waren schwach beleuchtet, sonst lag hier alles in Dunkelheit. Ein Fahrzeug parkte hier: der ockerfarbene Kleinlaster mit roter Aufschrift ASIA-Markt, Import und Lieferservice, darunter die Telefonnummer eines Mobilanschlusses.

      Der Firmenwagen war ein verlängerter FORD Transit mit Zwillingsreifen. Er sah noch sehr neu aus, hatte aber eine tiefe Schramme an der seitlichen Schiebetür zur Ladefläche. Auf dem Fahrersitz lagen eine blaue Base-Cap und eine aufgerissene Tüte, aus der Käsecracker heraus gefallen waren. Der Beifahrersitz war von Papieren übersät, Lieferscheine, Quittungen und Prospekte, wie Stefan im Schein seiner kleinen Taschenlampe erkannte. Fast so, als wäre alles durchwühlt worden. Aber die Türen waren verschlossen.

      Stefan hatte nebenbei die Mobilfunk-Nummer angewählt und hielt das Handy über der dünnen Kapuze an sein Ohr. Sein Gesicht verdüsterte sich unmerklich. „Keine Verbindung. Nur `ne Ansage.“

      Auf der Rückseite des Supermarktes gab es ein kleines Fenster, um das herum sich ein gezackter Kranz an Rauchgasen abzeichnete. Es war verriegelt, schloss aber nicht luftdicht ab. Die graue Eisentür führte wahrscheinlich zum Lager. Dass sich auch darüber eine