Lodernder Hass. Horst Warnatsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Horst Warnatsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847605270
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Schlafshorts über, die er am Fußende unter der Bettdecke fand. Als das Telefon ein weiteres Mal anschlug, hatte er das Mobilteil schon in der Hand. Rasch drückte er den Knopf.

      „Wer wagt es - ?“

      „Überraschung!“ kam es mit befremdender Heiterkeit aus dem Hörer. Gregor Pergande, sein Mitstreiter am LKA.

      „Gib mir einfach nur den Einsatzort durch, Gregor“, bat Stefan ihn, während er bei Dunkelheit ins Badezimmer schlich und sich an der Garderobenablage die Wade schrammte. „Scheiße, verdammt!“ fluchte er und knipste die Badbeleuchtung an.

      „Ich glaub‘ Dir ja, dass Du nicht gerade begeistert bist“, kam Gregors trockener Kommentar.

      „Ich habe mich gerade zum tausendsten Mal an dem kleinen beschissenen Schrank gestoßen.“

      „Hm“, war die Reaktion am anderen Ende. Stefan hatte irgend einen spöttischen Kommentar erwartet, er blieb aber aus. „Soll ich dir jetzt mal erzählen, weswegen ich anrufe?“

      „Bitte, Gregor.“ Stefan klemmte sich das Mobilteil zwischen Ohr und Schulter und nahm die Zahnpastatube in die Hand. Dass Iris bei ihm übernachtete, konnte er immer genau an der Tube erkennen: Sie wies gleich hinter der Öffnung tiefe Dellen auf und lag auf dem Waschtisch, statt dass sie sie hinstellte. „Fang ruhig an. Ich kann es mir so merken.“

      „In der Hoheluftchaussee hat ein Asiatischer Supermarkt gebrannt.“

      „Ein Supermarkt“, konstatierte Stefan und drückte sich Zahncreme auf die Bürste. „Und weswegen ist das für uns interessant? Noch dazu um diese Zeit.“

      „Das Opfer ist eine 89jährige Hausbewohnerin. Inhalationstrauma – du verstehst? Die Ärzte vermuten, dass sie’s vielleicht nicht überlebt.“

      „Das ist tragisch.“ In Stefans Ohren summte es; der Schlaf schien ihn raunend zurück zu locken. „Aber wenn sie überlebt, was ich ihr von Herzen gönne, dann sind wir nicht zuständig.“

      Gregor schwieg einen Moment. Dann sagte er: „Glaub mir, Stefan, ich habe im Gefühl, dass unser Erscheinen wichtig sein wird.“

      „Deine Gefühle kenn‘ ich.“ Stefan lagen noch weitere Einwände auf der Zunge und wollte noch weitere Fragen stellen, beließ es dann aber dabei. Er würde sich in kürze selbst überzeugen können.

      „Bist du etwa wieder eingeschlafen?“

      „Beim Zähneputzen – ja…..“

      „Bianca habe ich auch angerufen. Kann nicht schaden, wenn sie dabei ist.“

      „Die Ärmste. Sie kommt ja ganz aus Harburg.“ Stefan schrubbte sich die Zähne, hielt aber sofort wieder inne. „Und hat sie nicht Freitag davon gesprochen, dass sie mit ihrer Band gestern Abend einen Auftritt haben würde?“

      „Sie hat extra betont, wir sollen sie anrufen, wenn was ist.“

      „Ich hab ihr mal gesagt, dass es selten vorkommt, dass man nachts aus dem Bett geklingelt wird.“ Er putzte weiter und beobachtete dabei im Spiegel, wie die Zahncreme aus dem Mundwinkel tropfte.

      „Das hast du dann zu verantworten“, erwiderte Gregor belustigt. „Wir treffen uns am Supermarkt .“ Er unterbrach die Verbindung.

      Stefan stellte sich unter die Dusche und ließ ein paar Minuten lang reglos das Wasser über seinen Körper laufen. Als seine dienstlichen Gehirnzellen langsam ihre Arbeit aufnahmen, fragte er sich, ob Gregor den Fall nicht zu voreilig angenommen hatte. Immerhin war es fast zwei Monate her, dass die Rufbereitschaft, die ohnehin nur das Wochenende umfasste, auch tatsächlich seinen Einsatz erforderte. Damals brannte auf St.Pauli ein Stundenhotel aus alter Bausubstanz mit eng gewundenem Treppenraum. Zwei Prostituierte und ein Freier konnten sich nicht mehr rechtzeitig retten und fielen den Flammen zum Opfer. Der Racheakt eines Zuhälters. Da war es natürlich keine Frage, dass sie unter dem Einsatz aller vorhandenen Technik schon nachts die Brandortarbeit begannen, die Fahndung veranlassten und Vernehmungen und Wohnungsdurchsuchungen durchführten. An diesem Wochenende war jedoch Gregor Teamchef und Erster Sachbearbeiter und so war auch er es, der die Maßnahmen bestimmte. Seine Entscheidung begründete sich auf den Informationen, die er vom Kriminaldauerdienst und den Kollegen der Schutzpolizei erhielt. Verschwieg Gregor ihm etwas oder war es wirklich nur wegen der alten Dame?

      Was ihn aber bei aller entgangenen Nachtruhe ein wenig mit Freude erfüllte, war, dass Bianca mit ihnen die Rufbereitschaft teilte. Das würde ihre Arbeit etwas angenehmer gestalten.

      Bianca Jochens war in einer unbestimmten Weise anders, als alle männlichen und weiblichen Kollegen, die er bisher kennen gelernt hat. Sie war etwas Besonderes, auch wenn Stefan nicht genau definieren konnte, warum, und sich auch nicht vorstellen konnte, mit einer solchen Frau liiert zu sein. Sie arbeitete erst seit zwei Wochen beim LKA 45 und musste sich nach einem Brandermittlerlehrgang in Wiesbaden erst noch praktische Erfahrung aneignen. Man würde nicht vermuten, dass eine so schlanke und zerbrechlich wirkende Frau an Brandorten großen Ausmaßes körperliche Arbeit verrichten und verbrannte menschliche Körper ertragen konnte. So wie Maike, die sich davon überhaupt nicht aus der Ruhe bringen ließ.

      Stefan trocknete sich ab und schlüpfte ohne jede Hast in die Winterunterwäsche. Darüber Blue Jeans und schwarzer Strickpulli. Seine Hand zuckte schon zum Eau de Toilette, er fand dann aber, dass das bei dem, was ihn vielleicht erwartete, Verschwendung wäre.

      Er grinste sein Spiegelbild an, zog aber sofort eine Grimasse, weil er fand, dass Iris die Haarschneidemaschine irgendwie zu kurz eingestellt hatte. Wenn er jetzt noch einen Anflug von einfältiger Aggressivität in seinen Blick mischte, würde er prompt in die Liste der Rechtsradikalen aufgenommen werden.

      Nein, das mit dem Blick funktionierte nicht.

      Zwanzig Minuten waren seit Gregors Anruf verstrichen. Keine schlechte Zeit. Er würde als erster am Brandort eintreffen. Deswegen nahm Stefan sich noch einen Moment, um einen Blick ins Schlafzimmer zu werfen und Iris darum zu beneiden, ausschlafen und ein gemütliches Frühstück genießen zu können. Dann schlüpfte er in seine Jack-Wolfskin-Jacke, verließ das Haus und eilte mit langen Schritten durch den Regenschleier hindurch über den Parkplatz. Er sprang in den grauen Ford Mondeo, in dem sofort die Scheiben zu beschlagen begannen, setzte das Blaulicht auf das Armaturenbrett und scherte auf die Vogt-Wells-Straße in Richtung Siemersplatz ein.

      Auf den Hauptstraßen herrschte um diese Zeit wenig Verkehr. Stefan brauchte gerade fünf Minuten bis zum Brandort. Er ließ zur Legitimation kurz das Blaulicht aufblitzen, um die Absperrung zu passieren und hielt hinter der Kolonne an Feuerwehrfahrzeugen.

      Es zeichnete sich ab, dass der Feuerwehreinsatz beendet war. Das Druckbelüftungsgerät lief allerdings noch. Sein Motor übertönte alle anderen Geräusche. Eine Gruppe war dabei, die Schläuche zusammenzurollen, andere Feuerwehrbeamte schafften das übrige Gerät zu den Wagen zurück. Die Leiter war bereits eingefahren, nur die seitlichen Stabilisatoren noch nicht.

      Stefan Henningsen war wirklich als erster seines Teams angekommen. Das war es aber nicht, was ihn zögern ließ. Grimmigen Blickes verfolgte er, wie rasch der Regen die Windschutzscheibe undurchsichtig machte. Um ein umfassendes Bild zu bekommen, musste er sich schon hinaus bequemen. Vielleicht hätte er zusätzlich einen Regenschirm mitnehmen sollen, selbst wenn Kriminalbeamte mit einem Regenschirm lächerlich aussahen.

      Schließlich zog er die Kapuze über den Kopf, stieg aus und gab sich den Uniformierten zu erkennen. Stefan registrierte, dass die seitliche Durchfahrt auf den Hinterhof und der Gehweg beidseitig durch rot-weißes Plastikband versperrt waren. Er machte sich ein Bild von den Schaulustigen und vermied es, in die Nähe der Pressevertreter zu kommen. Auch die vollschlanke, gedrungene Gestalt des Brandsanierers war schon zu entdecken. Fred Berger, der immer die Verwirrung der Brandopfer ausnutzt und ihnen angesichts ihrer verbrannten Wohnung gleich einen perfekten Sanierungsplan vorlegt. Einmal soll der Mann sogar schon vor den Rettungskräften an einem Brandort gewesen sein. Merkwürdig.

      Im Schutze des Gerätewagens entdeckte Stefan den Einsatzleiter der Feuerwehr. Dieser stellte sich als Uwe Petersen vor. Unter dem Helm ein kantiges, grobporiges