Lodernder Hass. Horst Warnatsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Horst Warnatsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847605270
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aus.

      Auf der gegenüber liegenden Straßenseite stand seit einigen Minuten ein Kamerateam und hielt sich mit je einer freien Hand eine Plastikplane über den Kopf. Eine Reporterin mit dunkler Kurzhaarfrisur sprach ins Mikro: „Das Feuer ist in den Räumen eines asiatischen Supermarktes ausgebrochen. Wie man sehen kann, brennt das Geschäft in voller Ausdehnung. Da es sich um alte Bausubstanz handelt, sei laut Feuerwehr damit zu rechnen, dass die Zwischendecke der Flammeneinwirkung nicht lange standhält und Rauch und Flammen in die darüber liegende Wohnung vordringen können.

      Es heißt, dass in der ersten Etage eine alte Dame eingeschlossen ist. Ihre Wohnung liegt etwas zurück versetzt, so dass die Leiter leicht an der Balustrade angelehnt werden kann. Der Mauervorsprung würde die Rettung der alten Dame erleichtern. Durch das Fenster wird’s also hoffentlich schneller gehen.

      Bedenklich ist, dass dort drinnen noch niemand Licht eingeschaltet hat, keine Hilferufe oder Geräusche zu vernehmen sind. Daraus könnte man schließen, dass die Bewohnerin im Schlaf überrascht wurde und es nun auf jede Sekunde ankommt.“

      Sie drängte den Kameramann näher an das Geschehen. „Schwenk hinüber zu der geretteten Familie.“

      Er folgte der Anweisung und nahm Unfall- und Notarztwagen ins Bild, wo durch die Milchglasfenster schemenhaft Erste-Hilfe-Maßnahmen zu verfolgen waren.

      „Eine Familie mit drei Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren konnte soeben aus der zum Hinterhof liegenden oberen Wohnung über das Treppenhaus gerettet werden. Von der Feuerwehr war zu erfahren, dass alle fünf für einen kurzen Moment dem Qualm ausgesetzt waren und man mit einer Rauchgasvergiftung rechnen müsse. Sie werden vorsorglich in das Universitätsklinikum Eppendorf gefahren.“

      Die Leiter lehnte an. Zwei Feuerwehrbeamte mit Gesichtsmaske und Sauerstoffflaschen auf dem Rücken hasteten hinauf und kletterten auf das schmale Vordach. Scheinwerfer warfen ihre Lichtkegel auf die Fenster, hinter denen sich noch immer nichts regte.

      Derweil waren zwei weitere Rettungswagen vorgefahren. Das Stakkato der Blaulichter hatte dadurch eine noch aggressivere Arrhythmie entwickelt und schien die Dunkelheit zerfetzen zu wollen. Rufe ertönten, das Ehepaar und die Kinder wurden auf zwei Wagen verteilt, die kurz darauf wendeten und stadtauswärts davon fuhren.

      Ein Feuerwehrmann hieb mit der Axt auf die Fensterscheibe ein und säuberte den Rahmen von den Splittern. Das Schwarz hinter den Fenstern sog die beiden Retter in die Wohnung, während der Angriffstrupp im Laden darunter erste Erfolge erzielte. Die Flammen loderten lang schon nicht mehr so ausgedehnt.

      Die weiße Mütze tief in die Stirn gezogen, den Kragen der Lederjacke bis an die Ohren trat der Polizist an den Mann an der Bushaltestelle heran. Dessen Gesicht lag im Schatten einer übergroßen Kapuze. Er musste schon über fünfzig sein. Seine grau melierten Haare ringelten sich dünn über die hohe Stirn, und der Vollbart war mehr grau als dunkelblond.

      „Haben Sie’s nicht mitbekommen? Der Nachtbus….“ der Uniformierte musste gegen Wind und Regen anschreien, „er ist auf die andere Fahrbahn umgeleitet. Dort drüben hält er jetzt!“

      „Ich hatte nicht vor, mit dem Bus zu fahren.“

      „Aha – dann ist es also das Feuer, an dem Sie Gefallen finden?“ Der Polizist provozierte ihn, weil er Schaulustige nicht ausstehen konnte. „Ich hoffe nicht, am Leid der Opfer, junger Mann.“

      „Ich schaue nur dem Ablauf der Rettungsmaßnahmen zu.“

      „Bei dem Sauwetter!“ Er legte seine Armbanduhr frei, ohne auf das Ziffernblatt zu gucken. „Um zwei Uhr liegen die vernünftigen Menschen alle im Bett. Wo zu dieser Zeit die Passanten plötzlich herkommen, ist mir einfach ein Rätsel!“ Der Polizist zog ein Notizheft aus der Brusttasche. Es hatte unter der Nässe schon arg gelitten. „Ich muss mir Ihre Personalien notieren.“

      „Ich habe nichts Verdächtiges beobachtet.“

      „Trotzdem. Haben Sie einen Personalausweis zur Hand?“

      „Einen Reisepass.“ Der Bärtige griff in die Jackentasche, zog das Dokument hervor und händigte es aus.

      „Daniel Friedländer – mit ‚a-e‘“, las er, notierte den Namen und musste mehrmals ansetzen, weil der Kugelschreiber auf dem feuchten Papier seinen Dienst versagte. „Wo wohnen Sie, Herr Friedlaender?“

      „Im Falkenried. Nummer 74.“

      „Das ist ja hier in der Nähe“

      „Ich sagte ja, es war nicht meine Absicht, mit dem Bus zu fahren.“

      Einfach nur ein Spätheimkehrer, der von den vielen Blaulichtern angezogen wurde? Der Beamte wischte sich Regentropfen von seinen Augenbrauen und gab über Funk Friedlaenders Namen zur Überprüfung an das Kommissariat durch. Im selben Moment lenkten aufgeregte Stimmen beider Aufmerksamkeit auf den Brandort. Sie konnten sehen, wie über die Leiter eine Trage auf das Vordach gebracht wurde. Gleichzeitig hoben die zwei Feuerwehrleute unter Pressluftatmung eine kleine weißhaarige Gestalt wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe aus dem Fenster. Sie legten sie in kontrollierter Eile auf die Trage, arretierten diese an der Leiter und ließen sie vorsichtig zu Boden gleiten. Notarzt und Rettungssanitäter eilten mit großen Schritten herbei, besprachen sich kurz und wiesen die Kräfte an, die Trage in den Rettungswagen zu schieben. Die Türen wurden zu gezogen. Nur schemenhaft war zu erkennen, wie sie unverzüglich mit Reanimation und Sauerstoffversorgung begannen .

      „Mit der alten Dame sieht es ernst aus“, bemerkte der Polizeibeamte wie beiläufig. Dabei beobachtete er die Reaktion des Mannes sehr genau. Friedlaender sah, die Hände in den Taschen, zum Brandort hin. Sein Gesicht verriet nicht die geringste Regung.

      Nach endlos erscheinenden Minuten der Notbehandlung wurde endlich der Motor angelassen.

      Über Funk wurde der Polizist angesprochen. Er trat ein paar Schritte beiseite, ohne die Zivilperson aus den Augen zu lassen. Er lauschte gespannt, bestätigte die Meldung und steckte das Funkgerät in die Brusttasche zurück.

      „Der Regen scheint nachzulassen“, tat Friedlaender kund, als sich der Uniformierte wieder näherte. Dieser sah ihn widerstrebend an. Ihm missfiel der Plauderton. Um ihn zu reizen und ihn besser einschätzen zu können, blätterte er bedächtig den Reisepass noch einmal durch. Viele bunte Stempel, kaum noch eine freie Seite.

      „Falkenried ist ja nur ihr Nebenwohnsitz“, bemerkte er schließlich.

      „Richtig. Ich wohne in Frankfurt und Frau und Kinder in Hamburg.“

      Der Beamte gab ihm das Ausweisdokument zurück. „Eben kam die Meldung durch, dass sie die alte Frau stabilisiert haben. Aber sie ist mehr tot als lebendig. Der Arzt meint, es bestehe Lebensgefahr. Vor allem, weil sie so alt ist.“ Friedländer sah die Straße hinunter zum Brandort, während er den Pass achtlos in seine Jackentasche steckte. Interessiert aber emotionslos verfolgte er, wie der Rettungswagen vorsichtig wendete und mit träger Beschleunigung der Richtung der anderen folgte. Von einer Sekunde zur anderen wandte er sich zum Gehen.

      „Einen Moment, Herr Friedlaender. Ihre Telefonnummer brauch‘ ich noch. Sicher wird sich die Kripo mit Ihnen in Verbindung setzen wollen.“

      2

      Die Leuchtziffern des Radioweckers zeigten 02.59 Uhr an, als ein Anrufsignal des Telefons die Stille und das Halbdunkel zerschnitt. Die Tonfrequenz garantierte dem Schlafenden eine Wochendosis Adrenalin. Während der Rufbereitschaft war es für Stefan Henningsen zwar ohnehin nur ein Dahindösen, aber der frühe Morgen war eine Zeit, in der sein Körper sich schon gern einem Tiefschlaf hingab. Stefan zwang sich ungeachtet des unerbittlichen Signals, noch ein paar Sekunden liegen zu bleiben und ruhig zu atmen, als sich ein nackter Arm zum Telefon schlängelte, das Mobilteil anhob und wieder fallen ließ. Das Signal erstarb und Stefan war vollends wach.

      „Scheiße, Iris, das war bestimmt eine Alarmierung.“ Er schlug die Bettdecke zurück unter der Iris‘ bloßer Rücken auftauchte.

      „Na und?“ kam ihre Antwort,