Floria Tochter der Diva. Ursula Tintelnot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Tintelnot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745039689
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geschneit«, verkündete sie.

      »Guten Morgen, Katja. Hallo Julian.«

      Sie stellte den Korb umständlich neben dem Herd ab und wusch sich die Hände.

      Floria bemühte sich, Julian nicht anzusehen.

      Was hatte sie gestern Nacht dazu gebracht, seinen Kuss zu erwidern? Als die Glocken läuteten und die ersten Feuerwerkskörper in den Himmel schossen, hatte er sie in den Arm genommen und geküsst.

      »Ein schönes neues Jahr, Floria.« »Dad, mach die Raketen an!«

      Der Augenblick war vorüber.

      Julian hatte seine Tochter hochgenommen und war mit ihr durch den Hof gewirbelt. »Ein fröhliches neues Jahr, mein Liebling. Schau, es beginnt zu schneien.«

      Dann waren die Feuerkegel entzündet worden, die vorbereitet in Flaschenhälsen steckten.

      »Und jetzt die Raketen!«

      Katja hatte darauf bestanden, dass für jeden von ihnen eine Rakete abgeschossen wurde. Später hatten sie Blei gegossen. Katja hatte begeistert ihr Bleistückchen aus dem Wasser gefischt und behauptet: »Das sieht aus wie ein Pferdchen, Dad.« Sie strahlte. »Und was das Blei sagt, geht in Erfüllung.«

      Irgendwann in der Nacht war Julian mit seiner schlafenden Tochter auf dem Arm nach Hause gegangen.

      »Wir wollen Schlitten fahren. Kommst du mit?«

      Floria betrachtete die Vierjährige. Katja war ein zauberhaftes Kind. Sie fragte sich, woher ihre anfängliche Ablehnung gekommen sein mochte. War es Eifersucht auf dieses kleine mutterlose Mädchen?

      Katja, dachte sie, hat dich umworben. Sie hat ihren ganzen Charme eingesetzt, um dich für sich zu gewinnen. Und es war ihr tatsächlich gelungen. Sie hatte sich in ihr Herz geschlichen.

      Floria blickte zu Julian hinüber.

      »Wir wären sehr enttäuscht, wenn du nicht mitkommen würdest.«

      Er duzte sie ganz selbstverständlich. Also hatte er den Kuss nicht vergessen?

      »Habt ihr noch Zeit für einen Kakao?«

      Floria hatte sich lange nicht mehr so amüsiert. Stundenlang waren sie den kleinen Hügel am Kanal hinaufgelaufen und hinuntergefahren. Sie hatten Engel im Schnee gespielt, Schneeballschlachten gemacht und sich gekugelt vor Lachen. Selbst Ramses hatte sich anstecken lassen, sich im Schnee gewälzt und versucht die Schneebälle zu fangen. Er war um sie herumgetollt wie ein zu groß geratener Welpe.

      Lachend und erschöpft waren sie mit eisigen Fingern und hochroten kalten Wangen in Emmas Küche gelandet. Ramses durfte sich im Flur niederlegen.

      Laura Sontheim

      Anfang März hatte es noch einmal geschneit. Der Schnee lag schwer über der Landschaft. Aus den Schornsteinen stieg weißer Rauch in den hellen winterblauen Himmel. Auf verschneiten Äckern landeten Schwärme schwarzer kreischender Krähen. Schneeglöckchen verschwanden unterm Schnee und die ersten sprießenden Knospen von Seidelbast und Haselstrauch trugen weiße Mützen. Weihnachten und Silvester waren nur noch eine ferne Erinnerung. Die Luft roch nach Eisen.

      Floria sah ihr ungeschminktes Gesicht im Fenster des Zugabteils. Sie wusste nicht so recht, ob ihr gefiel, was sie sah. Wie würde die Therapeutin auf eine Frau reagieren, die Floria Mura, der prominenten Sängerin so wenig ähnelte, dass sie sich selbst nicht mehr erkannte? Ihre Wangen hatten Farbe bekommen. Die blonden Haare waren zu einem unordentlichen Knoten geschlungen. Ihren Händen sah man die Gartenarbeit an.

      Sie blickte auf ihre im Schoß verschlungenen Finger mit den kurzen Nägeln. Eine Maniküre wäre nicht verkehrt, dachte sie. Auch Kosmetik würde ihr jetzt gut tun. Gesicht und Hände wie ein Reibeisen. Kein Wunder.

      Drei Tage vor Weihnachten erst war neues Holz angeliefert worden. Keine Sekunde zu früh. Der Holzvorrat vom letzten Jahr war fast aufgebraucht. Jetzt hatten sie zwar Holz, aber es lag, dem Wetter ausgesetzt, als riesiger Haufen mitten im Hof. Floria hatte den ganzen Tag gebraucht, um es an einer Wand unter einem Dachüberhang zu stapeln.

      Einen ganzen Tag, an dem sie nicht an ihre verlorene Stimme, ja nicht einmal an Christof Corman gedacht hatte.

      Du hast keine Zeit mehr, nur an dich zu denken, erkannte sie verwundert.

      Emma war für Wochen ausgefallen, ihre Hand dick angeschwollen. Alex hatte sich um sie gekümmert, Schach oder Halma mit ihr gespielt. Sie hatten sich gegenseitig vorgelesen oder ferngesehen.

      Emma und Alex zusammen zu sehen, rührte und ängstigte sie. Ein altes liebevolles Paar. Durch diese beiden wundervollen Menschen war sie zu der Frau geworden, die sie heute war. Sie hatten ihr die Liebe und Geborgenheit gegeben, die ihre Mutter ihr nicht hatte geben können. Sie würde ohne Emma und Alex unendlich einsam sein.

      Floria stellte mit Erstaunen fest, wie anstrengend es war, einen Haushalt zu führen. Etwas, das sie nie hatte tun müssen. In den letzten Jahren hatte sie mehr in Hotels als in ihrer kleinen Wohnung in New York gelebt.

      In vieler Hinsicht war sie ein Luxusweib geworden. Sie wurde von Designern angezogen, von Frisören gestylt.

      Wenn sie essen wollte, bestellte sie sich etwas aus einem der angesagtesten Restaurants oder aß in dem Hotel, in dem sie gerade abgestiegen war. Aber sie musste hart arbeiten für all diese Annehmlichkeiten.

      Jahrelang war sie von einem Termin zum anderen gejagt. Zwischen den Terminen waren neue Rollen zu erarbeiten. Sie sprach vier Sprachen, aber singen musste sie in zwei weiteren, die sie nicht verstand.

      Für ihr Privatleben war wenig Zeit geblieben.

      Sie und Christof hatten sich selten gesehen, zu selten. Seinen Tod hatte sie noch nicht wirklich begriffen. Dieses ‚nie wieder’ überfiel sie schmerzhaft jedesmal neu, wenn sie an ihn dachte.

      Floria fürchtete sich vor dem Gespräch mit der Therapeutin.

      Noch als sie vor deren Tür aus dem Taxi stieg, war die Versuchung groß, nicht hineinzugehen.

      Reiß dich zusammen.

      Floria gab sich einen Ruck und läutete. Laura Sontheim Therapeutin, stand auf dem Schild unter der Klingel. Ein entferntes Läuten innen war zu hören, dann Schritte. Die Tür wurde ihr von einer gepflegten Frau geöffnet. Sie mochte Mitte bis Ende vierzig sein. Das Lächeln, mit dem sie Floria begrüßte, war einladend und beruhigend zugleich.

      »Kommen Sie herein, Frau Mura.«

      Der Raum, in den die Therapeutin sie führte, war hell und übersichtlich möbliert.

      Ein großer Flügel stand zwischen zwei Fenstertüren, die einen Blick in den Garten erlaubten. Zwei bequeme Sessel und ein kleiner Tisch vervollständigten das Ensemble. Floria schwieg.

      »Es wäre hilfreich, wenn ich etwas über Ihre Verfassung vor Ihrem letzten Auftritt wüsste.«

      Floria registrierte, dass sie nicht von ›ihrem Zusammenbruch‹ sprach.

      Laura Sontheim war ihr sympathisch. Sie hatte erstaunlich wenig Mühe, zu berichten, was geschehen war. Auch wenn sie ihre Gefühle herunterspielte, blieb sie zumindest in der Nähe der Wahrheit.

      »Sie haben lange gewartet«, meinte Laura am Ende des Gesprächs.

      »Womit?« Floria sah Laura erstaunt an.

      »Seit diesem Auftritt sind sechs Monate vergangen.«

      »Ich …, ich brauchte Zeit.«

      »Wofür?«

      »Ich war nicht sicher, ob ich überhaupt wieder auf die Bühne wollte.«

      »Und, sind Sie jetzt sicher?«

      »Nein, aber ich weiß, dass ich meine Stimme wiederhaben möchte.«

      Laura