Floria Tochter der Diva. Ursula Tintelnot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Tintelnot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745039689
Скачать книгу
dunkle kurze Haar ließ sie tatsächlich wie einen hübschen Jungen aussehen.

      »Bis nachher.«

      Floria kann sich glücklich schätzen, eine solche Freundin zu haben, dachte Emma.

      Susan war eine gefragte Mezzosopranistin. Ihr fehlte der Ehrgeiz, der Floria antrieb, aber sicher auch erschöpfte. Floria war stark und begabt mit einer wunderbaren Stimme. Aber aus dem Schatten einer Diva, wie ihrer glamourösen Mutter, herauszutreten war eine besondere Herausforderung.

      Sie selbst war so unmusikalisch wie eine Nacktschnecke. Ihre Lippen verzogen sich zu einem wehmütigen Lächeln. Plötzlich fühlte sie sich von denen, die sie einst geliebt hatte, umgeben.

      Damien, du hattest Musik im Blut. Sie sah ihren dunklen Franzosen auf der Tischkante hocken, mit der Gitarre vor dem Bauch. Sie hörte noch seinen schönen hellen Tenor. Er hätte es verdient, länger zu leben. Nur jeweils ein Schuss hatte genügt, um sein Leben und das ihres Bruders auszulöschen.

      Nein, sie war nicht musisch begabt. Sie konnte keine Musik machen, wie Damien, nicht malen, wie ihr Bruder Theo.

      Sie wurde zeitlebens von ihrem geliebten Garten herausgefordert. Sie kämpfte gegen Schnecken und verfluchte Wühlmäuse und Maulwürfe. Emma zog den Stapel mit den Gartenzeitschriften zu sich heran. Ihr Leben drehte sich um Pflanzen und Ernten. Was sie der Erde gab, bekam sie zurück. Jahr um Jahr. Eine andere Form der Kreativität. Und eine sehr befriedigende, dachte sie.

      Ines

      Julian fand Emma schlafend vor, als er ihre Bestellungen brachte. Sie lehnte, eine aufgeschlagene Zeitschrift im Schoß, in einer Ecke des Sofas. Die Brille war ihr von der Nase gerutscht. Leise hob er sie auf und legte die mitgebrachten Lebensmittel in den Kühlschrank. Die Küche war sauber aufgeräumt.

      »Dad?«

      Er hob den Finger an die Lippen. »Leise«, flüsterte er.

      Katja verzog enttäuscht das Gesicht. Zum ersten Mal durfte sie wieder mitkommen. Endlich war Floria wieder gesund. Und nun schlief Emma und würde ihr nichts vorlesen oder mit ihr spielen.

      »Ist Floria auch nicht da?«, flüsterte sie zurück.

      Julian nahm seine Tochter an die Hand. »Nein, mein Schatz, Floria ist auch nicht da.«

      Sachte schloss er die Haustür hinter sich. Ramses wedelte freundlich, als er seine kleine Herrin kommen sah.

      »Ist Floria traurig, Dad?«

      »Ich weiß es nicht. Wie kommst du darauf?«

      »Ihre Augen weinen, wenn sie lacht.«

      »Tatsächlich?«

      »Du bist auch manchmal traurig.«

      »Ja, meine Süße. Alle Menschen sind mal traurig. Zum Beispiel, wenn sie einen Menschen, den sie lieb haben, verlieren.«

      »So, wie wir Mamá?«

      »Ja.«

      »Aber was man verliert, kann man auch wiederfinden. Wir wissen, wo Mamá ist.«

      »Ja, Katja, das wissen wir.«

      »Meinst du, Floria hat jemanden verloren?«

      »Ich glaube, ihr Freund ist gestorben.«

      »Das ist …, muss Ramses auch sterben?«

      »Irgendwann muss auch Ramses sterben.«

      »Dann ist er bei Mamá. Wir sollten Floria sagen, wo sie ihren Freund finden kann.«

      »Wo?«

      »Na, bei Mamá natürlich.«

      »Du bist ein sehr kluges Mädchen.«

      Du hast eine wunderbare Fantasie, meine Kleine. Vielleicht, dachte er, wirst du eines Tages auch schreiben.

      Katja war ihrer Mutter sehr ähnlich, nicht nur äußerlich. Sie schien das glückliche Temperament seiner Frau geerbt zu haben.

      Meine Frau, dachte er, wie merkwürdig sich das anfühlte. Ines, die es schon seit bald fünf Jahren nicht mehr gab. Du wirst immer jung bleiben, meine Liebste.

      Ines war bei Katjas Geburt gestorben und er fühlte sich schuldig. Sie hatte sich dieses Kind so sehr gewünscht, auch wenn die Ärzte dringend abgeraten hatten. Neun Monate Glück und Vorfreude. Nach einem Blick auf ihre winzige Tochter war Ines gestorben. Sie hatte glücklich ausgesehen.

      Seine Gefühle allerdings waren in Aufruhr. Von Glück weit entfernt. Was sollte er mit einem Säugling? Er fühlte sich völlig unfähig, alleine ein Kind aufzuziehen. Julian haderte mit seinem Schicksal. Er war erfüllt von Trauer und Wut. Als er mit dem Baby auf dem Arm aus dem Taxi stieg, stand Emma bepackt mit Windeln, Milchpulver und einer Puppe, vor seinem Haus.

      Emma, davon war er zutiefst überzeugt, hatte ihnen beiden das Leben gerettet. Er wollte sich lieber nicht ausmalen, was er ohne sie getan hätte. Ja, er hatte ihr viel zu verdanken. Vor ihr durfte er zornige Tränen weinen, konnte sich gehen lassen. Sie machte ihm keine Vorwürfe, wenn er zu viel trank.

      Aber als die Zeit gekommen war, sprach sie mit ihm.

      »Ines hätte nicht gewollt, dass ihre Tochter bei einem Trinker aufwächst, Julian. Du musst wieder schreiben.« Deutliche Worte.

      »Ich kann nicht.«

      Drei Monate später war er mitten in der Nacht vom Gebrüll des Babys aufgewacht. Er nahm Katja auf den Arm, legte eine CD, die Ines besonders geliebt hatte, in den Player und bewegte sich langsam mit ihr zur Musik. Mit großen Augen sah seine Tochter ihn an, stellte ihr Gebrüll ein und lächelte.

      Als Emma am nächsten Morgen kam, saß Julian rasiert und angezogen an seinem Arbeitstisch und schrieb. Katja lag im Stubenwagen neben ihm und verfolgte jede seiner Bewegungen. Vier Wochen danach hatte er Konstanze gefunden. Für ein paar Monate war sie Katjas Kindermädchen gewesen.

      Der Roman, den er damals begonnen hatte, war ein großer Erfolg geworden.

      Er spürte Katjas Hand vertrauensvoll in seiner.

      »Wollen wir ein Eis essen, Katie?«

      »Oh, ja! Kriegt Ramses auch eines?«

      Julian nickte. Dieser Riesenhund hatte eine Vorliebe für Schokoladeneis. Seit er Katja und Ramses gemeinsam an einem Eis hatte lecken sehen, bekam Ramses sein eigenes.

      »Natürlich, mein Schatz.«

      Am Kanal

      »Du wirst wieder singen, Floria.«

      Endlich hatte Floria mit ihrer Freundin über ihre Ängste gesprochen.

      »Ach, Susan, ich weiß nicht mal, ob ich es überhaupt will.«

      Sie blickte auf den Kanal, der langsam im Dunst versank. Die nächste Brücke war schon nicht mehr zu sehen. Der Schotterweg war grau, nur noch von wenigen weißen Flecken bedeckt.

      »Wir sollten umkehren, es ist schon fast dunkel.«

      Susan schwieg. Wenn Floria nicht mehr singen wollte, war das eine Entscheidung, die sie nur alleine fällen konnte.

      Wir sind, dachte sie, nicht nur von unseren Begabungen, sondern vor allem auch von unseren Entscheidungen abhängig.

      Tatsächlich begann auch sie zu frösteln. Feuchte Kälte kroch ihr unter die Kleider. Es taute bereits wieder. Dieser erste Schnee blieb noch nicht liegen. Sie gingen schweigend den sanft geschwungenen Weg zurück zu Emmas Haus. Plötzlich blieb Susan stehen.

      »Was ist denn das?« Sie deutete auf ein kleines verlottertes Gebäude, in einem, um diese Jahreszeit, blattlosen Birkenhain. Das Gebiet war ungepflegt, von kahlen Büschen und braunem mannshohem Farn bedeckt. Im Sommer war es so undurchdringlich, dass die Hütte im Gestrüpp versank.