Floria Tochter der Diva. Ursula Tintelnot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Tintelnot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745039689
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sie diesen Teil verkommen?

      Susan sah noch einmal hinüber.

      »Wir sollten dort mal auf Schatzsuche gehen.«

      »Emma hat mir verboten, dort zu spielen, weil sie meinte, die Hütte könnte jederzeit einstürzen.«

      »Und hast du dich daran gehalten?«

      »Einmal bin ich dort gewesen. Emma war so außer sich, dass ich es nie wieder gewagt habe.«

      »Und, hast du die Hütte betreten?«

      »Nein, die Tür war abgeschlossen, die Fenster zu. Ich glaube nicht, dass das Gebäude vom Einsturz bedroht ist.«

      »Was sollte Emma sonst für einen Grund haben, dich davon fern zu halten?«

      »Keine Ahnung. Ich habe, als ich klein war, ein Gespräch zwischen ihr und Alex belauscht. Es ging um einen französischen Kriegsgefangenen, der dort versteckt worden sein soll. Ich habe nichts davon verstanden.«

      »Vielleicht gibt es Dinge, an die sie nicht erinnert werden will.«

      »Möglich.«

      Pastor Wiedemann

      Sie hörten das Gelächter schon im Hof. Den tiefen Bass eines Mannes, begleitet von dem viel helleren Lachen einer Frau, Emma. »Emma hat Besuch.«

      »Das kann nur der Pastor sein. Vermutlich hat sie ihn ans Fenster geschickt, damit er rauchen kann.« Floria lachte. »Die beiden zanken sich, seit der Pastor seine Stelle hier an der Kirche angetreten hat.«

      »Er besitzt einen wunderbaren Bass. Allein wegen der Stimme würde ich ihn gerne predigen hören.«

      »Wenn Emma das einmal zu ihm sagen würde, würde der arme Mann glücklich sterben. Er versucht seit Jahren, sie zu bekehren.«

      Pastor Wiedemann schloss das Küchenfenster.

      »Ich sehe zwei dunkle Gestalten, Emma.«

      »Endlich. Das werden die Mädchen sein. Sie waren unvernünftig lange weg. Floria hat eine schwere Grippe hinter sich.«

      Schon im Flur konnten die Freundinnen die beiden Streithähne hören. »Gott hat seine Hand …« »Reden Sie keinen Unsinn Pastor«, unterbrach Emma ihn schroff. »Thomas und ich hatten alle Hände voll zu tun. Eine andere Hand konnte ich da nicht entdecken.«

      »Am Ende des Lebens beginnen sogar Ungläubige nach Gott zu rufen.«

      »Ich bin am Ende meines Lebens. Ich habe nicht vor, zu rufen.«

      Emma füllte drei Becher mit dampfendem Tee. Sie drehte sich zur Tür, als Floria und Susan eintraten.

      »Ah, ihr beiden, trinkt zuerst euren Tee, bevor er kalt wird. Ihr wart viel zu lange unterwegs.«

      »Wer ist hier am Ende seines Lebens?« Floria begrüßte Pastor Wiedemann und stellte ihm Susan vor.

      »Der Pastor glaubt, ich würde ihn rufen, wenn es ans Sterben geht.«

      »Das kann ich mir allerdings nicht vorstellen«, meinte Floria. »Aber Sie haben einen Fan. Meine Freundin würde Sie gerne predigen hören.«

      »Tee?« Emma reicht dem verblüfften Mann einen Becher.

      Susan amüsierte sich köstlich. Emma und der Pastor zickten sich an wie ein altes Ehepaar, ohne einander böse zu sein. Sie schienen ihren Disput zu genießen und sicher war die Auseinandersetzung nicht die erste dieser Art. Der Pastor mochte etwas über sechzig sein, ein grauhaariger Riese mit lachenden Augen, umgeben von tausend Lachfältchen.

      »Danke für den Tee. Ich werde jetzt gehen, Emma. Aber ich komme wieder.«

      »Das habe ich befürchtet. Bis bald, Pastor.«

      An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Am Sonntag um zehn Uhr, Susan. Und bringen Sie doch Emma und Floria mit.« Er verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen und zog die Tür schnell hinter sich zu.

      »Er kann es nicht lassen«, sagte Emma.

      »Gib es zu …«, Floria umarmte ihre Großmutter, »… es macht dir genauso viel Spaß wie ihm.«

      »Er ist ein reizender Mann«, meinte Emma.

      »Lass das nicht Alex hören.«

      Susan prustete los. »Das würde Mord und Totschlag geben.«

      Susan war tatsächlich in die Kirche gegangen. Weder Emma noch Floria hatten sie begleitet.

      »Der Mann hätte einen wunderbaren Othello abgegeben mit diesem Bass.«

      »Was hat er denn gepredigt?«

      »Keine Ahnung, ich war damit beschäftigt, seiner Stimme zu lauschen.«

      Emma schmunzelte. »Er wird nicht glücklich sein, wenn ich ihm das erzähle.«

      Am Tag darauf war Susan gefahren. Floria vermisste ihre Freundin. Ihre Lebensfreude hatte sie angesteckt. Sie würden sich lange nicht wiedersehen. Susan hatte Engagements für den Rest des Jahres und ein Silvesterkonzert in Dresden. Erst danach würde sie Emma und Floria wieder besuchen können.

      »Überleg es dir«, hatte sie Floria beim Abschied zugeflüstert.

      Sie hatte ihr die Adresse einer Therapeutin und Gesangspädagogin gegeben.

      »Geh hin Flo, sie wird dir helfen. Die Wartezeiten sind lang.«

      Nur ein Sturz

      Floria hatte sich bei der Therapeutin angemeldet, nachdem sie festgestellt hatte, dass ihre gewohnten Stimmübungen ihr nicht weiterhalfen. Ihr fielen die Worte der Callas ein: ‚Nur ein glücklicher Vogel kann singen.’

      Nein, sie war nicht glücklich. Sie machte lange einsame Spaziergänge über Stoppelfelder, vorbei an Feldern, die sich schon wieder grün von der Wintersaat färbten. Ganz selten ging sie in Stadt, wenn Emma sie bat, etwas zu besorgen. Oft saß sie in ihrem Zimmer und las oder hörte alte Aufnahmen. Sie schlief lange und ließ sich von Emma verwöhnen.

      Das Haus roch vertraut nach Weihnachtsgebäck, Zimt und Vanille, Bienenwachs und dem Feuer im Herd.

      Floria war so mit sich beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkte, wie schwer Emma manches fiel.

      Eine Woche vor Weihnachten stürzte die alte Frau.

      Floria hörte ihren Schrei und den blechernen Lärm des Eimers, mit dem sie Briketts aus dem Schuppen geschleppt hatte.

      Sie sprang auf und hastete die Treppen in den Hof hinunter.

      »Emma!« Julian und Katja waren noch vor ihr bei Emma. Ramses umrundete sie nervös.

      »Sitz!« Der Hund gehorchte Katja sofort.

      Der Blick, mit dem Julian ihr entgegensah, war ein einziger Vorwurf. Katja fing an zu weinen.

      »Ist nicht schlimm, Katie, nur ein Sturz.« Emma lächelte mühsam.

      Julian blaffte: »Stehen Sie nicht rum, rufen Sie einen Krankenwagen.«

      »Keinen Krankenwagen, Julian, bitte!«

      Julian betastete Emma vorsichtig, bevor er seinen Mantel über sie legte. »Wo tut es weh?«

      »Nur die Hand. Ich glaube nicht, dass etwas gebrochen ist.«

      »Das werden wir sehen.« Er hob Emma auf die Arme und trug sie ins Haus.

      »Nein, Julian, nicht ins Bett. Bring mich in die Küche«, befahl Emma. Ihre Stimme klang schon wieder fester.

      »Ich komme sofort«, hatte Thomas Floria versprochen und seinen Worten Taten folgen lassen. Zehn Minuten später stand er in der Tür. Das Stethoskop baumelte über der dicken offenen Winterjacke, den Arztkoffer stellte er neben dem Sofa ab.

      Der