Floria Tochter der Diva. Ursula Tintelnot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Tintelnot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745039689
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      Floria schwebte zwischen Scham und Wut. Sie fühlte sich Unrecht angegriffen. Emma hätte sie bitten können, die Briketts zu holen.

      Aber ihr Gewissen sagte ihr: Du hättest besser auf sie achten müssen. Das hättest du freiwillig übernehmen können.

      Da sie nicht gefragt war, beschloss sie Kaffee zu machen.

      Sie überwand sich und fragte Katja: »Möchtest du einen Kakao?«

      »Oh ja, bitte.«

      »Emma, du musst deine Hand in den nächsten Tagen schonen. Ich gebe dir eine Schlinge, damit du sie hochhalten kannst. Du hast großes Glück gehabt.«

      »Deine Enkelin …«, er sah Floria ziemlich unfreundlich an, »… kann sich um dich kümmern.«

      Floria schwieg und ignorierte ihn.

      »Jemand Kaffee?«

      »Ja, bitte, Floria.«

      »Nein, du nicht, Emma. Dein Blutdruck ist zu hoch. Da hast doch bestimmt einen Tee, der ihn ein wenig senkt?«

      »Weißdorn, Melisse, Mistel«, kam es prompt von Floria. Vier Köpfe fuhren zu ihr herum.

      »Bist du auch eine Heilerin, Floria?« Katja saß am Tisch und hielt ihren Kakaobecher mit beiden Händen fest.

      »Nein, Katja.«

      »Aber du bist auf dem besten Wege, Flo.«

      Oh nein, Emma. Ich bin Sängerin. Floria wusste in diesem Augenblick, dass sie zumindest versuchen würde, wieder eine zu werden. Eine Begabung ist auch ein Verpflichtung, Floria Mura.

      Alex kam, kurz nachdem Thomas gegangen war.

      »Warum musstest du denn Briketts holen? Du heizt doch den Herd mit Holz?« Seine Sorge um Emma verbarg er hinter seinem Gepolter.

      »Weihnachten wollte ich, wie jedes Jahr, im Esszimmer einheizen. Und der Ofen braucht nun mal beides«, fügte sie widerspenstig hinzu.

      »Du rührst bis Weihnachten keinen Finger mehr, Emma. Die Vorbereitungen treffen Floria und ich. Ist das klar?«

      »Aber …«

      »Schweig und gehorche.« Er küsste Emma auf die Stirn und streichelte ihre Hand.

      Alex hatte Floria keinen Vorwurf gemacht, weder mit einem Blick, noch mit Worten. Aber er hatte klargestellt, was in den nächsten Tagen zu geschehen hatte.

      »Wen hast du denn dieses Jahr eingeladen?«

      »Wie jedes Jahr, Alex. Julian und Katja, Thomas und dieses Jahr ist unsere Flo endlich wieder mal dabei.«

      Ja, dachte Floria, in den letzten Jahren hatte sie an allen Festtagen des Jahres auf der Bühne gestanden. Das wäre mit einer Familie nicht zu vereinbaren. Familie, wünschte sie sich eine?

      »Außerdem kommt Gisbert nach seiner Predigt. Diesmal lässt er den jungen Pastor die Mitternachtsmesse halten.«

      Alex lachte. »Lässt er den Armen auch mal ran?«

      »Ja, und mit Gisbert, dir und mir sind wir sieben.«

      Floria zog einen Stuhl zum Sofa und setzte sich zu Emma und Alex.

      »Ich habe noch nie eine Gans gebraten, Emma.«

      »Dann wird es ja Zeit, Kind.«

      Alex war für den Rest des Jahres in Emmas Haus gezogen. Er wollte bei ihr sein.

      Seiner Meinung nach wäre diese unvernünftige Frau imstande, Dahlien und Gladiolenknollen aus der Erde zu ziehen und im Keller zu lagern.

      »Das habe ich längst getan, Alex. Damit wartet man nicht bis Weihnachten.«

      Auch wenn sie so tat, als sei es nicht nötig, dass er blieb, spürte Floria, wie sehr Emma sich über Alex Anwesenheit freute.

      Nun saßen sie abends zu dritt oder zu viert in der Küche. Emma beschäftigte sich mit ihren Katalogen und bat Floria aufzuschreiben, welche Pflanzen sie für das nächste Jahr bestellen wollte. Die rechte Hand trug sie unter Alex strengen Blicken brav in der Schlinge. Thomas kam täglich, um nach Emma zu sehen und mit Alex Schach zu spielen.

      Floria dachte: Du kommst auch, um nachzusehen, ob ich mich genügend um Emma kümmere.

      Doktor Müller beobachtete, wie sehr sich Floria veränderte. Jetzt saß sie neben ihrer Großmutter und schrieb auf, was Emma ihr diktierte.

      Von der hocheleganten, erfolgreichen Sängerin aus dem Hochglanzmagazin, das ihm Doktor Mendel gegeben hatte, war nur noch selten etwas zu sehen.

      Wenn sie nicht gerade in karierten Männerhemden steckte, trug sie dicke Pullover über bequemen Hosen. Die wattierten Jacken aus der Gartenkammer, die sie für ihre langen Spaziergänge oder im Garten überzog, mussten uralt sein. Um den Kopf hatte sie ein buntes Tuch geschlungen, das ihre Haare bändigte. Ihr Gesicht bekam wieder Farbe. Er fragte sich, ob sie sich vernachlässigte oder einfach auf das ländliche Leben ohne Glamour einließ. Der Arzt in ihm sah jedenfalls mit Genugtuung, dass sie sich erholte. Nur die Melancholie in ihren Augen war nicht verschwunden.

      »Wenn du dich mal auf unser Spiel konzentrieren könntest?«

      Alex sah vom Schachbrett hoch.

      »Oder willst du mich gewinnen lassen?«

      »Entschuldige. Ich war in Gedanken.«

      »Welche Richtung deine Gedanken nehmen, ist ziemlich leicht zu erkennen.«

      Alex nickte. »Mir gefällt sie so auch besser.«

      Eine leichte Röte überzog Thomas Gesicht.

      Silvester

      Es war kurz nach zehn Uhr am Silvestermorgen. Über Nacht war die Welt weiß geworden. Floria deckte den Frühstückstisch für Emma und Alex. Es war einer ihrer schlechten Tage. Sie war wieder aus diesem Traum erwacht, der sie nicht losließ. Der Traum, der die Erinnerung an ihren Zusammenbruch am Leben erhielt, den sie an besseren Tagen für Stunden vergessen konnte.

      Sie fragte sich, warum der Jahreswechsel sie so schwermütig machte. War das so, weil sie das alte vertraute Jahr loslassen musste? Furcht vor dem, was auf sie zukam?

      Floria nahm den Korb, um hinter dem Haus Holz zu holen. Sie hatte inzwischen gelernt, wie sie es anstellen musste, das Feuer über Nacht nicht ausgehen zu lassen.

      In der Gerätekammer zog sie Stiefel und eine Winterjacke an. Als sie die Tür zum Hof öffnete, nahm ihr die Kälte den Atem. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, die Stille, die sie umgab, war so vollständig, als sei sie der letzte Mensch in diesem blendenden Weiß.

      Diesmal, dachte sie, würde der Schnee liegenbleiben.

      Als Floria mit dem gefüllten Korb zurückkam, saß Ramses im Hof und bewachte Katjas Schlitten. Er begrüßte sie zurückhaltend mit einem leisen Wuff.

      »Wo hast du denn Katja gelassen?«

      Ramses sah zur Haustür.

      »Aha, sie ist schon drin, meinst du?«

      Katja hatte zu Weihnachten einen Schlitten bekommen. Ihr erster Blick am Morgen galt dem Wetter. Hatte es endlich geschneit? Jedesmal, wenn sie feststellte, dass es wieder keinen Schnee gegeben hatte, war sie tief enttäuscht.

      »Dad, wir könnten den Schlitten tauschen.«

      »Aber wenn es doch noch schneit, Katie, was machen wir dann?«

      »Hm, bei diesem Wetter wäre ein Pony besser.«

      Julian verkniff sich ein Lächeln.

      Ein Pony war Katjas größter Wunsch.

      Als Floria die Küchentür aufdrückte, stand Julian am