Floria Tochter der Diva. Ursula Tintelnot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Tintelnot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745039689
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die sie konzentriert studierte. Als Thomas die Küche betrat, nahm sie die Brille von der Nase und legte ein großes rundes Vergrößerungsglas zur Seite.

      »Ich mach mir Sorgen um deine Enkelin. Mir scheint, sie will nicht gesund werden.«

      Er nahm den Kaffee, den Emma ihm reichte.

      »Danke.«

      »Aber das Fieber ist runter?«

      »Ja. Eben deswegen verstehe ich ihre Apathie nicht. Sie könnte wieder für ein paar Stunden aufstehen. Sie schläft zu viel.«

      »Ich weiß«, sagte Emma. »Aber ich habe keine Ahnung, wie ich daran etwas ändern kann.«

      »Gibt es etwas, das ich wissen müsste?«

      Emma zögerte. Sollte sie über etwas reden, worüber Floria sich weigerte zu sprechen?

      »Keine Antwort ist auch eine.«

      »Thomas, du musst verstehen, dass ich nicht …«

      »Emma, ich verstehe. Ich werde versuchen, sie zum Reden zu bringen. Mach dir keine Gedanken.«

      Schach

      »Wie geht es Floria?« Der alte Arzt sah vom Schachbrett auf und fixierte seinen jungen Kollegen.

      »Was weißt du über sie, Alex?«

      »Viel. Ich kenne sie schließlich, seit sie geboren ist.«

      »Neigt sie zu Depressionen?«

      »Nein. Aber in der letzten Zeit ist viel passiert in ihrem Leben.«

      »Was?«

      »Schachmatt!« Alex warf den König des jungen Arztes um und

      lehnte sich zufrieden zurück.

      »Verdammt.«

      »Liest du eigentlich keine der Zeitschriften, die in deiner Praxis rumliegen?«

      »Nie.«

      »Ich wette, du weißt nicht wer Floria Mura ist.«

      »Emmas Enkelin?«

      Alex Mendel stand auf, suchte eine Weile in einem Zeitungsständer herum und reichte Thomas eine Hochglanzzeitschrift. Auf dem Cover posierte eine bildschöne elegante Frau: Floria Mura.

      »Lies das! Das beantwortet wenigstens zum Teil deine Fragen. Noch einen Brandy?«

      »Nein danke.« Thomas verschwand erstaunlich schnell im unteren Teil des Hauses. Das Heft nahm er mit.

      »Wenn das mal nur ärztliches Interesse ist.«

      Doktor Mendel goss sich noch ein Glas ein.

      Sein Interesse an Emma war niemals nur ärztlicher Natur gewesen. Sie hatte ihn vor zirka sechzig Jahre gerufen. Damals war er ein junger Arzt. Neu in einem gemütlichen Städtchen mit roten Backsteinhäusern, an deren Mauern Rosen blühten, engen Straßen mit Kopfsteinpflaster und einem weiß verputzten Rathaus. Der Marktplatz in der Mitte des Ortes wurde eingerahmt vom Haus des Bürgermeisters, zwei alten Hotels und einem grässlichen Neubau. Ein schmales Gewässer zog sich durch die ganze Stadt. Aber Alex Mendel wollte mehr. Sein Ziel war es, in einer Großstadt, vielleicht sogar im Ausland zu arbeiten. Als die Frau des Bürgermeisters ihm zum ersten Mal die Tür öffnete, wusste er, dass er seinem Schicksal gegenüberstand. Er hatte sich auf den ersten Blick in diese Frau verliebt, die ihn mit einem kräftigen Händedruck begrüßte. Schönen kräftigen Händen, denen man ansah, dass sie zupacken konnten.

      Doktor Mendel trank seinen Brandy aus, löschte die Lichter und begab sich zur Ruhe. Er hatte nie bereut, geblieben zu sein. Sein Zuhause war da, wo Emma war.

      Sauerkrautauflauf

      Emma hatte die Pflanzenkataloge zur Seite gelegt und den Tisch gedeckt. Vielleicht würde der Sauerkrautauflauf mit Kartoffelbrei, der praktisch aus Butter bestand, Floria aus ihrem Zimmer locken. Das Sauerkraut, in Sekt und Honig gekocht, gehörte zu den Lieblingsspeisen ihrer Enkelin.

      Auch Alex liebte diesen Auflauf. Sie hatte ihn eingeladen. Er steckte so voller wunderbarer Geschichten. Sie hoffte, dass er Flo damit ein wenig aufheitern konnte.

      Alex hatte ihr die Lust am Leben und der Liebe wiedergegeben. Sie sah ihn als jungen Arzt bei ihrer ersten Begegnung. Emma hatte am Morgen, an dem sie den Bürgermeister tot in seinem Bett fand, darum gebeten, Doktor Mendel zu schicken, nicht den alten Arzt, der ein Freund ihres Mannes gewesen war. Dieser Bitte war die Arzthelferin nachgekommen. Es wäre zu bitter gewesen, hatte Emma argumentiert, wenn ein Freund seinen Tod bescheinigen müsse.

      »Selbstverständlich, Frau Bürgermeister.«

      Nach der Feuerbestattung ihres Mannes war Emma mit ihrer Tochter in das geräumige alte Bauernhaus ihrer Eltern am Kanal gezogen. Im Haus am Markt zog der neue Bürgermeister ein. Seit beinahe sechzig Jahren waren sie und Alex nun ein Paar.

      Als sie ihn kommen hörte, griff sie sich ordnend in ihr weißes Haar. Ihr Gesicht war gerötet von der Hitze, des Herdes. Emma nahm die Schürze ab und wandte sich zur Tür, als Alex eintrat. Sie war immer noch eitel.

      »Mein Schöne.« Er nahm sie in den Arm. »Hier duftet es paradiesisch.«

      »Lass mich los, alter Zausel. Flo könnte…« Er drückte sie fester. »Weißt du noch, wie sie am Sonntagmorgen immer in unser Bett gekrochen kam? Floria hat sicher schon bemerkt, dass du mich liebst.«

      »Tu ich das?«

      Er lachte. »Ja, das weiß ich, auch wenn du es zu verbergen suchst.«

      Er sah sich um. »Wo ist das Kind?«

      »Oben. Du könntest sie herunterlocken.«

      »Bin schon unterwegs.«

      Als Emma die Treppenstufe knarzen hörte, nahm sie den Korkenzieher aus der Schublade und legte ihn neben die Weinflasche, die er mitgebracht hatte.

      Wie lange werden wir uns noch haben, mein Lieber. Emma wischte sich eine Träne aus dem Auge.

      Reiß dich zusammen, du dumme alte Frau.

      Sie öffnete die Herdklappe und stellte den Auflauf auf den Tisch.

      Floria war totenbleich. Die Grippe hatte ihr mehr zugesetzt, als sie sich eingestand. Doktor Mendel erschrak. Dass sein junger Kollege sich Sorgen machte, konnte er bei ihrem Anblick verstehen.

      »Na, Kleine. Emma hat dein Lieblingsgericht gekocht.«

      »Sauerkrautauflauf? Ich kann es riechen. Und deines, wenn ich mich recht erinnere?«

      »Genau. Deshalb gehen wir zwei jetzt in die Küche und essen. Wir können sie nicht enttäuschen.«

      Nein, das konnten sie nicht. Wenn sich in ihr auch alles sträubte, sie würde sich zum Essen zwingen. »Ich zieh mir was über, Alex, bin gleich da.«

      Flora trug einen uralten Kapuzenpullover und viel zu weite Jogginghosen. Elegant ist anders, dachte sie, als sie die warme Küche betrat.

      »Da bist du ja, Flo. Das Essen ist fertig, wir können gleich anfangen.«

      Floria biss in die braune knusprige Kruste, die den Auflauf bedeckte. Mit dem Geschmack kamen ihre Erinnerungen wieder, an die Zeit, die sie hier verbracht hatte.

      Sorglos, so würde sie ihre Kindheit und Jugend beschreiben. Alex und Emma waren immer für sie da gewesen. Ihre Mutter hatte ihr nicht gefehlt. Dianes seltene Besuche waren eher störend gewesen, um nicht zu sagen, desaströs. Von ihrem Vater hatte sie nichts gewusst und nichts gewollt. Die Kerzen auf der Fensterbank flackerten. Florias Wangen bekamen im Lauf des Abends Farbe. Ihre Gespräche drehten sich um die gemeinsame Vergangenheit.

      Tim

      Am nächsten Morgen weckte Katjas helle