VIRDULA Endlosgeschichten Band 1. Jay H. Twelve. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jay H. Twelve
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844292756
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ich kein Geheimniskrämer bin. Wenn du meine Seele mit etwas belastest, worüber ich nicht einmal mit meiner Frau reden darf, wird meine Beziehung mit ihr daran scheitern. Ein Geheimnisträger wird früher oder später jemandem Fragen beantworten müssen. Dann hat er zwei Möglichkeiten: Die Antwort zu verweigern oder die Frage mit Halbwahrheiten zu zerreden. Es gibt Menschen, die ein Recht darauf haben, eine ehrliche Antwort zu bekommen und ich gehöre nicht zu der Sorte, die kneifen. Darüber hinaus mag ich es nicht, wie ein Blinder in irgendetwas verwickelt zu werden, ohne zu wissen, was die Konsequenzen meines Handelns sind. Also werde ich dir jetzt logischerweise absolut kein Versprechen geben können. Erst schaue ich mir an was du mir zeigen wirst, dann entscheide ich was daraus werden soll.“

      „Das war aber eine lange Rede, mein Sohn. Ich bin absolut der gleichen Meinung. Erst begutachten, dann bewerten wozu das Ganze gut sein soll. Lass uns jetzt fahren.“

      So wie sich die Begegnung der dritten Art für Don José zunächst völlig undramatisch entwickelte, endete sie für ihn in eine unlösbar scheinende Aufgabe, die sein bisheriges Leben gravierend verändern sollte. Nachdem die alte Dame ihr Geheimnis offenbarte, löste sie sich wie zuvor in einem blauen Nebel langsam auf.

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      3. DIE GESCHICHTE DER SCHMUCKSCHACHTEL

      Der Blick vom Balkon des Hauses Woolcotstreet Nummer 21 war atemberaubend. Er umfasste die Sydney Brücke im Osten, die sich von North-Shore über die Bucht bis auf die andere Seite erstreckte. Die gigantischen Stützpfeiler, die das Wunderwerk aus Stahl festhielten, dazwischen das im Bau befindliche Opernhaus, das sich wie eine gestrandete Riesenmuschel zur Schau stellte. Langsam schoben sich die Ozeandampfer und Kreuzfahrtschiffe unter der Brücke durch. Wie in alle Richtungen durcheinander eilende Ameisen, schwammen zahlreiche Passagierfähren auseinander. Große Segelschiffe ankerten in der Bucht, Wochenendsegler und schneeweiße Motorboote mogelten sich dazwischen und machten das scheinbare Verkehrschaos noch undurchschaubarer. Alles das konnte man von diesem Balkon staunend beobachten.

      Wenn man davon genug hatte und die Augen müde in die Tiefe schauten, breitete sich eine, von weißgekleideten Menschen bevölkerte, grüne Wiese unter dem Balkon aus. Nach welchen Regeln die Spieler auf der Wiese ihre glänzenden Kugeln von einer zur anderen Seite des Spielfeldes rollten, vermochte Don José nicht zu erraten. Er wusste nur, dass es weder Bowling noch Kegeln war, weil die Spieler keine Bahnen, sondern fein gemähten Rasen als Spielfeld benutzten. Dafür aber die Kugeln von Hand und mit viel Schwung zur anderen Seite rollen ließen. Dieses kunterbunte wunderschöne Szenario genoss er schon eine ganze Woche, seit er hier in der dritten Etage des Hauses sein vorübergehendes Quartier bezogen hatte.

      Der Besitzer des Apartments hieß Heinz. Er war der Freund eines Freundes, der seinen Job als Designingenieur bei der Firma Nois Brothers in St. Leonards aufgegeben hatte. Er hoffte als bayrischer Schuhplattler und Folkloretänzer in Melbourne das Doppelte zu verdienen, deshalb vermietete er dieses geräumige Apartment für 30 Australische Dollar pro Woche, die nächsten drei Monate an Don. Heinz war einige Jahre zuvor aus Bayern mit seiner hübschen tüchtigen Frau und seinem Kind angekommen. Sie richteten dieses Apartment sehr geschmackvoll ein. Heinz fand bald einen gutbezahlten Job in seinem erlernten Beruf, war bei den Kollegen sehr beliebt, auch die Chefs lobten ihn für seine guten Leistungen.

      Obwohl er alles hatte, wovon viele in Bayern nur träumen konnten, ging Heinz lieber zum Schuhplattlertanzen nach Melbourne, um seinen bayerischen Landsleuten beim Biertrinken und Schunkeln ein bisschen Heimatgefühl zu vermitteln. Das war zu dieser Zeit in Australien keine Ausnahme, sondern viel mehr die Regel, worin junge Einwanderer ihre besten Chancen sahen Land und Leute kennenzulernen.

      Don José war das nur recht so und er genoss all das, was Schuhplattler Heinz vermissen würde. Seit er vor sechs Monaten von Mount Isa weggefahren war, verbrachte er einige Wochen in Brisbane im Hotel Bristol. In diesem Hotel saß er sehr oft auf dem Balkon beobachtete das Treiben vom dreizehnten Stockwerk hinunter auf den Brisbane River und den Verkehr in den Straßen.

      Nach der Begegnung Der dritten Art mit der alten Dame und all dem was er im Outback erlebt und erfahren hatte, brauchte er Einsamkeit und Ruhe, um all diese unbeschreiblich schönen und ungeheuer beeindruckenden Erfahrungen geistig zu verarbeiten. Als er sich von der alten Frau verabschiedete, war er noch immer nicht bereit irgendeinen Schwur des absoluten Schweigens zu leisten. Wie er es auch drehte und wendete, die Konsequenzen dessen, was ihm dort vorgeführt worden war und was er in endlosen Gesprächen von der alten Frau erfahren hatte, gingen weit über sein momentanes Vorstellungsvermögen hinaus. Er brauchte Zeit zum Nachdenken und vor allem Ruhe. Daher wollte er nicht gleich nach Sydney fahren, wo ihn so viele Menschen vermissten.

      Von Brisbane fuhr er zunächst etwas nördlich bis Gladstone, wo eine große Aluminiumhütte und eine Tonerderaffinerie gebaut wurden. Warum er gerade diese, von so vielen Fremden brodelnde, kleine Stadt ansteuerte, konnte er nicht genau erklären. Er verbrachte dort einige Wochen, machte lange Spaziergänge in dem neuen Hafen, in dem so viele Förderbänder, Schiffsentlade- und Beladekräne im Aufbau waren und die Monteure in allen Sprachen durcheinander redeten. Er kehrte zurück nach Brisbane, quartierte sich erneut im Hotel Bristol ein. Diesmal nahm er ein Zimmer, dessen Balkon zur Stadtmitte hin gelegen war. Am Abend ging er in einer benachbarten Kirche Pfannkuchen essen. Die Kirche war von einem Holländer ersteigert und zu einem sehr gemütlichen 24-Stunden-Pfannkuchenrestaurant umgebaut worden. Tagsüber machte er lange Spaziergänge durch die Innenstadt, schlenderte entlang den Schaufenstern der Luxusläden. Aber er kaufte nichts. Seit dem Erlebnis mit der alten Dame entwickelte er ein Interesse für Schmuckgeschäfte, verglich die Preise der Edelsteine. Darüber hinaus beschaffte er sich einschlägige Literatur und verbrachte lange Tage in der städtischen Bibliothek, um sich in das Thema einzuarbeiten.

      So einfach die chemische Zusammensetzung eines Diamanten ist, nämlich 100% Kohlenstoff, umso komplexer wird die Geschichte mit der Wertstellung und dem Mythos, der sich in Jahrtausenden um diesen Edelstein gebildet hatte. Kohlenstoff ist der Grundbaustein allen Lebens auf der Erde und wird überall für vielfältige Zwecke gewonnen.

      Ein Kilogramm reiner Graphit ist in seiner Substanz absolut identisch mit einem Kilogramm Diamanten. Aus einem Kilogramm Graphit könnte man vielleicht 1000 Bleistifte oder 100 Elektroden für Filmprojektoren herstellen. Das würde etwa 500 Australische Dollar auf dem Markt einbringen. Verkauft man dagegen ein Kilogramm Diamanten in einem Juweliergeschäft, würde das bestimmt 50 Millionen Australische Dollar einbringen. Der Diamantenhandel ist so alt wie der Goldhandel. In der Natur kommen Rohdiamanten noch seltener vor, als Gold oder Platin. Die Steine werden in einem sehr kleinen, für Außenstehende nicht erreichbaren Kreis nach strengsten Regeln gehandelt und als geschliffene Ware zu Schmuck verarbeitet oder für Industriezwecke verwendet.

      Don bereitete es wahre Kopfschmerzen, von der alten Dame so eine Menge Diamanten anvertraut bekommen zu haben. Sein erstes Problem bestand darin, einen Weg in den Markt zu finden, um diese Tonnen von geschliffenen Diamanten in sehr kleinen Portionen in den Handel zu bringen, ohne den Markt dabei zu ruinieren. Das zweite Problem lag darin, nicht nur diese Mengen geheim zu halten, sondern auch ihre Quelle. Das dritte Problem war, dass er das Ganze im Alleingang erledigen musste. Das vierte große Problem stellte der Transport in andere Länder dar. Er hatte also einen großen Berg von Schwierigkeiten vor sich, die er mit absoluter Diskretion und Umsicht langfristig lösen musste.

      Er saß vor einem Kaffeehaus in der Innenstadt Brisbanes, trank Kaffee, blätterte in den Tageszeitungen herum und grübelte:

      „Was macht ein 29-jähriger junger Mann mit mehr als 100 Tonnen feinste geschliffene Diamanten?“

      Die 100 Tonnen waren je nach Größe und Schliff fein säuberlich sortiert. Erbsen- bis nussgroße Steine, die noch immer vor seinem geistigen Auge glitzerten. Um sich zu jeder Stunde daran zu erinnern, dass das ganze kein Traum war, rollte er einen nussgroßen Diamanten zwischen seinen Fingern in der Hosentasche. Auch wenn er es irgendwie schaffen würde, 100 Tonnen in Umlauf zu bringen und zu 50% des Marktwertes zu verkaufen, soviel Bargeld gab es gar nicht. Die „Maschine“, die er dort gesehen hatte, konnte jedoch mit Leichtigkeit eine Tonne pro Tag produzieren. Damit es langfristig als massentaugliches System funktionieren könnte, müsste er alle existierenden Rohdiamanten weltweit