Im Adamskostüm mit einem Badetuch, Seife und Machete bewaffnet spazierte er zum Wasserloch. Unter der Kerosinlaterne leuchte „seine Badewanne“ so rein türkisblau, dass er zunächst ein schlechtes Gewissen bekam. Daher ging er zum Wagen zurück, holte die verbeulte Gießkanne heraus und kehrte wieder zurück zur Wasserstelle. Nachdem er ausgiebig mit Hilfe der Gießkanne vorgeduscht, Staub und Schweiß mit Seife abgewaschen hatte, wagte er es in das türkisblaue saubere Wasser zu steigen. Ein herrliches Gefühl von Entspannung überkam ihn, als das kühle Wasser seinen Kopf bedeckte. Er verharrte gut eine Minute regungslos unter Wasser, stemmte sich hoch auf die Beine, breitete seine Arme aus und tauchte auf und ab wie ein Delfin durch das erfrischende Nass. Er schwamm einige male hin und her, bis er tauchend aus dem Wasser hoch schnellte und neben der Kerosinlampe landete. Seinen durchnässten Lockenkopf schüttelte er hin und her, setzte sich und warf seinen Kopf entspannt in den Nacken. So lag er da mit geschlossenen Augen voller Zufriedenheit. Nach einer Weile öffnete er langsam die Augen und es erstreckte sich über ihm ein atemberaubender Sternenhimmel mit unzähligen glitzernden Gestirnen, die sich im Wasserloch widerspiegelten.
„Der Orion“ dachte er, „ist ein Sternbild worauf die Pharaonen ihre ganze Philosophie gestützt haben. Möge das Universum mir die Kraft geben, dieses Sternbild für immer in meinem Herzen zu tragen.“
Seit seiner Kindheit war er vom Sternbild des Orion zutiefst fasziniert gewesen und in dieser Nacht war es das Erste was er erblickte, als sich seine Augen öffneten. Woher diese Faszination kam, wusste er nicht zu erklären. So badete Don José in beidem, im Wasser und in dem leuchtenden Sternenhimmel. Er betrachtete die Sterne, grübelte über die Entfernungen der Galaxien und die Weite des Universums. Welche Energie verbarg sich da oben, wie war das alles entstanden und wozu mochte das alles da sein? Solche Gedanken waren seine Lieblingsbeschäftigung, seit er sich erinnern konnte. Insbesondere seit er in der neuen Heimat angekommen war und oft endlose Nächte in der Einsamkeit der Wüste verbrachte.
Kaum erreichte der Duft der kochenden Bohnensuppe seine Nase, löste er sich aus seiner Träumerei, stieg aus dem Wasser und bemerkte, dass die Kühle der Nacht die Tageshitze abgelöst hatte. Eine Mischung aus Frösteln und Heißhunger überkam ihn und er beeilte sich, seinen Körper abzutrocknen. Er sammelte alle Utensilien zusammen und rannte zurück zum Wagen. Saubere Kleidung hatte er sich vorher auf dem Beifahrersitz zurechtgelegt. Schnell zog er den warmen Trainingsanzug an, der sich auch bestens als bequemer Pyjama für die kalten Nächte eignete.
An der Rückseite des Wagens, an der sein Gaskocher die Suppe garte, vernahm er ein klapperndes Geräusch, als wenn sich jemand an seinem Kochtopf zu schaffen machte. Schnell sprang er in die Trainingshose die er noch hastiger hochzog. Dann ergriff er seine Machete und schlich lautlos zu dem hinteren Teil des Wagens. Die Pritsche des Fahrzeugs hatte ein Verdeck aus Rohrgestell das mit einer Zeltplane bespannt war. Er schaute vorsichtig um die Ecke, dann machte er zwei Schritte weiter und schaute noch einmal hinter der Plane zur Kochstelle. Er sah eine ältere Gestalt über den Topf gebeugt, in einer Hand hielt sie den Deckel, mit der anderen Hand rührte sie mit einem Holzlöffel in der Suppe. Don José sah sich noch einmal prüfend um, bemerkte keine weiteren Gestalten in der Nähe.
„Guten Abend, die Dame“, machte er sich überrascht mit schlagbereiter Machete in der Hand bemerkbar.
„Guten Abend, junger Mann, du hast zu lange gebadet, die Suppe wäre fast angebrannt“, antwortete die alte Frau mit leiser, aber resoluter Stimme.
„Danke, dass Sie sich darum gekümmert haben, gute Frau. Wo sind Ihre Leute?“ wollte Don José wissen. Er wusste dass alte Menschen im Outback, insbesondere Frauen nie alleine unterwegs waren. Die alte Frau jedoch reagierte nicht auf seine Frage.
„Die Suppe riecht gut, was hast du da alles drin?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage.
„Lammfleisch, Kidney Bohnen, Kartoffeln, Zwiebeln und Gewürze natürlich. Wenn Sie hungrig sind dann sind Sie willkommen.“
„Das ist aber sehr gütig von dir, junger Mann, Appetit hätte ich schon, aber du hast nur einen Teller mitgebracht“, erwiderte die alte Frau belustigt und kicherte dabei.
„Das ist weiter kein Problem. Sie essen aus dem Teller und ich aus dem Topf, das Angebrannte kratze ich zum Nachtisch aus“, erwiderte Don José einerseits erleichtert, aber andererseits fragte er sich doch, woher die Frau wusste dass er nur einen Teller besaß? Wiederholt durchdachte er verschiedene Möglichkeiten, blieb zunächst wie angewurzelt stehen, drehte sich dann doch noch einmal prüfend um, ob die alte Frau nicht doch Mitesser dabei hatte.
„Nachdem du zugelassen hast, dass die Suppe anbrennt und du zulässt nur die Hälfte zu bekommen, solltest du dich in Bewegung setzen und den Tisch decken, ehe du auch noch zulässt eine kalte Suppe zu essen“, klang die Aufforderung als Echo zwischen den Felsen.
„Soweit so gut“, dachte Don José. „Die alte Frau ist sehr clever. Wozu das gut sein wird, werde ich wohl bald erfahren.“
Von der Pritsche schob er die Plane zur Seite, entnahm den Deckel der Kühlbox, den er als Tablett zweckentfremdete. Stellte einen Suppenteller, Esslöffel und zwei in Tücher gewickelte tönerne Tassen darauf. Den Klapptisch hängte er wie eine Handtasche an den rechten Arm, griff nach dem zerknitterten Tischtuch, in der linken Hand nahm er das Tablett und ging zur Feuerstelle. Auf einem kleinen Stein stellte er das Tablett ab und den Tisch daneben auf. Mit einigen Handbewegungen versuchte er das Tischtuch zu glätten. Aus dem Auto holte er zwei mit Segeltuch bespannte Klappstühle, die er neben das Klapptischchen stellte. Zum Glück besaß er wenigstens zwei Esslöffel und ein Steakmesser, sonst hätten sie abwechselnd essen müssen.
Noch in Sydney kaufte er sich, bevor er auf Reisen ins Outback ging, eine komplette Campingausrüstung. Im Stadtteil Kings Cross fand er einen Trödelladen, der ausgemusterte Militärutensilien preiswert anbot. Mit der Zeit ging einiges kaputt oder „verloren“, weil manche Leute gar nichts hatten und meinten, fehlende Gegenstände auf diese Weise bei ihm besorgen zu dürfen. Ihm war es recht so, denn je weniger er mitschleppte, desto leichter fiel ihm das aus und einpacken.
Mit dem Esslöffel fischte er ein Paar Lammkoteletts aus dem Topf und kippte die Suppe über dem Teller aus, bis dieser randvoll war. Dann leckte er den Esslöffel sauber ab und legte ihn auf seine Tischseite. Den zweiten Esslöffel und das Messer legte er formell, wie ein eleganter Oberkellner es tun würde, neben den Teller der alten Dame. Er ging um den Tisch, rückte den Klappstuhl zur Seite und mit einer galanten Handbewegung bat er die alte Frau zu Tisch. Sie folgte seiner Einladung sehr würdevoll, stellte sich vor den Stuhl und wartete darauf, dass er, ganz Gentleman, ihr den Stuhl nachrückte. Er vollendete diese Zeremonie sehr höflich und setzte sich ebenfalls zu Tisch.
„Dann lassen Sie es sich gut schmecken, gute Frau“, sagte er, nahm den Topf mit beiden Händen und klemmte ihn zwischen seine Schenkel.
„Danke für die Einladung, junger Mann, ich wünsche meinerseits einen guten Appetit“, erwiderte die alte Dame und griff nach dem Löffel.
Beide aßen schweigend nur Don José merkte schnell, dass der Topf viel zu heiß war, um ihn lange zwischen den Schenkeln zu halten. Er stellte ihn auf den Tisch und schnitt mit dem zu groß geratenen Buschmesser das Fleisch von den Knochen.
Diesmal war er schnell fertig, entschuldigte sich kurz ging zum Wagen zurück um den Teekessel zu holen. Während die alte Dame noch immer schwieg, bereitete er einen Hagebuttentee zu, fand auch noch eine Packung Kekse in der Vorratskiste. So viel Aufwand wollte er heute Abend gar nicht veranstalten, aber er war schließlich nicht alleine, eine unbekannte alte Dame hatte sich als Gast eingeladen.
Als diese endlich fertig gegessen hatte, nahm er Teller und Topf vom Tisch, stellte beide Tassen, Zuckerdose, die Packung mit Keksen dazwischen und setzte sich wieder. Die alte Dame goss den Tee in die Tassen, nahm einen Löffel Zucker und rührte alles sehr langsam, als würde sie nachdenken, wie die Konversation nun weiter gehen sollte.