Dagegen ist die zivilisierte Welt trotz mühsam erforschten Wissens ziemlich schlecht mit der Natur zurechtgekommen. Wenn also die Kunst der Kriegsführung und die Erfindung von Massenvernichtungswaffen das Hauptanliegen der Zivilisation darstellen sollte, dann würde Don José lieber unter den Steinzeitmenschen leben.
Eine kleine Gruppe der weißen Rasse, die in der spirituellen und materiellen Welt herumforscht, ein temporär geltendes Wissen zu Tage bringt, welches nur bruchstückhaft an die Allgemeinheit weiter vermittelt wird, nennt sich dann arroganterweise „Die zivilisierte Welt“.
Er erkannte auch die Tragödie, die sich seit einigen Jahrhunderten aus diesen so konträren Welten wie ein sich ausbreitendes Lauffeuer ergab. Wo die weißen Seefahrer ihre nationalen Flaggen aufstellten und das Land unter dem Motto „Macht euch die Erde untertan“ besetzten, wurden Jahrtausende lang erprobtes Wissen und damit verbundene Lebensweisheiten wie durch eine Toilettenspülung in unwiderrufliche Vergessenheit weggespült.
So scheint sich genau dieselbe Tragödie, die am Ende des antiken Zeitalters von zerstörungswütigen Barbarenvölkern in Europa und im Mittleren Osten angerichtet wurde, zu wiederholen. Was sich aus diesem Trümmerhaufen herauskristallisierte, war eine heillose Unordnung von Restwissen des Orients, verquickt mit der Raffgier der Barbaren.
Don José machte in seinem Tagebuch einige Notizen, damit er später mit seinen klugen Freunden über diesen Themenkreis diskutieren konnte. Er erinnerte sich auch an ein Buch, das er in Deutschland gelesen hatte. In diesem Buch bemühte sich ein Historiker dem dunklen Mittelalter und insbesondere dem sagenumwobenen Kaiser Karl dem Großen, die historische Existenz streitig zu machen. Von irgendwo her befiel ihn ein intensives Bedürfnis, über dieses Zeitalter viel mehr wissen zu wollen. Er hatte einiges über antike Kunst und Geschichte gelesen, einige Abhandlungen über die Entstehung des Christentums und die Zeit der Renaissance. Überhaupt war er für einen Bergbauingenieur recht gut belesen, aber weit davon entfernt, kompetent einen Vergleich der westlichen Kulturen mit der Geisterwelt der Aborigines in einem akzeptablen Werk zu veröffentlichen.
Sein Interesse an der australischen Welt ergab sich einfach zwangsläufig, weil er in ihren Lebensraum eingedrungen war, um nach Erzen zu suchen, aber keineswegs um Völkerkunde zu betreiben. Es erging ihm so, wie es oft im Leben interessierter Menschen vorkommt, dass nämlich die zunächst beabsichtigten Lebenspläne durch neue Erkenntnisse zu Nebensächlichkeiten degradieren und sich daraus ein völlig neuer Lebensweg und eine Mission entwickelt. Nach fast drei Jahren seiner Wanderschaft quer durch den ganzen Kontinent konnte er mit Stolz darauf verweisen, dass er dieses Land und seine Bewohner wie kaum ein anderer Neueinwanderer erlebt und lieb gewonnen hatte. Seine Tagebücher schleppte er überall in einem Köfferchen aus eloxiertem Aluminium mit sich, damit er jederzeit nachschlagen konnte, wenn es von Nöten war. Es handelte sich hierbei um in Leder eingefasste Schiffslogbücher, die in der kommerziellen Schifffahrt allgemeine Verwendung fanden. Mit den Eintragungen machte er es genauso, als würde er mit einer Yacht unterwegs sein. Koordinaten, Wetterdaten, Skizzen von Erzvorkommen, Trinkwasserstellen, Flüsse und Nachtlagerquartiere trug er in feiner, kaum lesbarer Schrift akkurat ein. Über die Menschen, die er unterwegs traf und zu deren Geschichten machte er auf der Rückseite ausführliche Notizen.
Über einen einzigen Fund und die Umstände, unter welchen er diesen machte, konnte er aber unter keinen Umständen Notizen machen. Diese Entdeckung, die er später seinen engsten Freunden als „Begegnung der dritten Art“ anvertraute, brachte seine ganze Lebensplanung durcheinander und beeinflusste die Schicksale von Millionen anderer Menschen rund um den ganzen Globus. Darüber und über die damit zusammenhängenden Erlebnisse konnte und durfte Don José keine Eintragungen machen.
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2. DIE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART
Don José war schon zwölf Tage unterwegs. Er benötigte frisches Wasser, Proviant und Diesel für seinen Land Rover. Auf dem Weg nach Mount Isa passierte er die Ortschaft Winton. Weil er in Winton in den letzten Jahren schon öfters gerastet hatte, träumte er unterwegs von einer heißen Badewanne und saftigen T-Bone-Steaks. Vielleicht konnte er auch ein paar Nächte mit alten Bekannten verbringen und dann in Richtung Mount Isa weiter fahren. Als er am frühen Nachmittag die Tankstelle mit dem Lebensmittelladen ansteuerte, wusste er schon, dass die heiße Badewanne im Motel an der Hauptstraße belegt war und er wahrscheinlich kein Quartier bekommen würde.
Der kleine Ort, der erfahrungsgemäß zu dieser Tageszeit wie ausgestorben wirkte, war an diesem Tag von Menschen und Fahrzeugen aller Art belagert. Der Tankwart berichtete von einem großen Volksfest und der alljährlichen Versammlung der Siedler, von verschiedenen Wettrennen, einer Menge Bier und Steaks und von zu erwartenden Schlägereien der jungen alkoholisierten Burschen. Don José kannte solche Veranstaltungen, die einen durchaus typischen Outback Charme vorzuweisen hatten. Aber für einen einsamen Reisenden, der jung und attraktiv auf die Siedlertöchter wirkte, empfahl es sich doch das Weite zu suchen.
Weil der Tag noch jung war, er die Route gut kannte, verstaute er den Proviant gut verpackt im Wagen und fuhr weiter Richtung Westen. Die Weiterfahrt entwickelte sich ziemlich unangenehm, weil ihm die Sonne direkt ins Gesicht strahlte und er andauernd vom Straßenstaub der entgegenkommenden Fahrzeuge eingenebelt wurde. Wie es schien, war die ganze Gegend in Richtung Winton unterwegs. Ihn ärgerten die unangenehmen Begleiterscheinungen was ihn dazu bewegte, die nächstmögliche Abzweigung zu nehmen. Inzwischen lag Winton schon zwanzig Meilen hinter ihm und die Sonne stand tief am Horizont. Er musste also die nächste halbe Stunde sein Nachtlager finden, denn abseits der asphaltierten Straßen zu fahren war nur bei Tageslicht ratsam.
Knapp eine Meile später erblickte er in nördlicher Richtung eine Felsformation. Die Felsen waren dank der Erosion über Jahrtausende hinweg so kunstvoll abgeschliffen, dass sie an eine schlafende Elefantenherde erinnerten. Die Felsformation mit ihrer spärlichen Vegetation wirkte in der untergehenden Sonne so bizarr schön, dass er kurzerhand entschied, dort zu übernachten. Ein trockenes Flussbett machte die Zufahrt zu dem Felsen möglich und es dauerte keine zwanzig Minuten, ehe er einen geeigneten Rastplatz fand. Er parkte seinen Wagen zwischen zwei Elefanten, deren runder Rücken aus dem sandigen Boden hervortrat. Ein ganzer Schwarm von schneeweißen Kakadus landete auf einem Eukalyptusbaum und Don José wusste sofort, dass er unweit eine lauwarme Badewanne finden werde.
Er beobachtete die Kakadus eine Weile und wartete darauf, dass die Vögel die Wasserstelle anflogen. Als die Mutigsten von den Ästen im Gleitflug hinter dem nächsten Felsen verschwanden, wusste er auch, wo sein Badezimmer zu finden war. Er ließ den Kakadus ausgiebig Zeit zu baden und zu trinken, schaltete die Scheinwerfer ein und fuhr langsam zwischen den Felsen noch zweihundert Meter weiter. Unmittelbar vor ihm ragte ein zahnförmiger Stein empor und gleich dahinter ein großer, lang gestreckter Felsenkoloss, der sich im kristallklaren Wasser einer kleinen Schlucht spiegelte.
Don José stieg aus dem Auto, betrachtete das Wasserloch und die felsige Umgebung aufmerksam. Dann umrundete er die Wasserstelle bis zum Felsen um nach Spuren im Sand zu suchen. Das Loch war kaum einen Meter tief bei einem Durchmesser von maximal acht Metern. Der rötlich sandige Boden war frei von Bewuchs, er zeigte auch keine menschlichen Spuren. Soweit sein Blick in der Dämmerung reichte, konnte er nur die kleinen weißen Federchen der Kakadus entdecken. Er fand zu seiner Beruhigung auch keine Spuren von Schlangen. Obwohl diese verlockende Badewanne ziemlich groß war, war sie dennoch frei von Kleintierchen, mit denen er sich das Bad hätte teilen müssen.
„Juchhu, so eine herrliche Badewanne habe ich längst nötig“, jubelte er überglücklich, sodass sich das Echo seiner Worte mehrmals wiederholte, ehe es sich in der Felslandschaft verlor.
Unterwegs zum Wagen entschied er, nur das Nötigste auszupacken und die Kerosinlaternen so zu verteilen, dass sie den Weg zum Wasserloch und das Wasserloch selbst gut beleuchteten. Seine Kochutensilien bestanden aus einem Zweiliterkochtopf und einer gusseisernen Bratpfanne. Zum Holzsammeln war es schon zu spät, aber er konnte den Gaskocher mit einer im Kastenwagen befestigten Gasflasche, mittels