„Sie meinen Mizra. Er ist etwa Mitte vierzig und sehr sportlich. Aber irgendwie sieht er aus wie ein Muttersöhnchen, fast feminin. Deswegen meine Bemerkung, piekfein.“
„Hatte er eine Narbe an der Stirn, als hätte er sich bei einem Autounfall verletzt?“, fragte Alida mit gespitztem Mund.
„Für mein Empfinden sieht es mehr nach einem Burschenschmiss aus, aber wenn Sie Autounfall erwähnen, könnte sie auch so entstanden sein.“
„Alida“, sprang Erol ein. „Sag bloß, du kennst den Mann?“
„Ja und nein“, antwortete sie ruhig. „Der wohnte ein oder zwei Wochen in diesem Hotel. Wie ich gelegentlich mitbekommen habe, war er von Anfang an mit Alois eng befreundet. Beide scheinen schwul zu sein.“
„Das erklärt schon Einiges, meine Freunde.“
„Was machen wir jetzt? Hier herum sitzen und Däumchen drehen? Wir sollten den Rabbi sofort in Sicherheit hierher bringen. Komm Edy, wir haben zu tun.“ Ehe Don reagieren konnte, waren seine zwei Freunde schon weg.
„Alida, schnell lauf ihnen hinterher. Du kennst den Mann.“ Sie folgte Edy und Erol, ehe Don seinen Satz zu Ende gesprochen hatte. Don ging ans Telefon, rief den Zimmerservice an und verlangte Alois zu sprechen.
„Alois, großer Meister. Hat sich jemand bei dir nach meinem Wohlergehen erkundigt, oder war dein Anruf von vorhin reine Nächstenliebe?“
Alois schwieg und schluckte womöglich einen Kloß herunter, der ihm in diesem Moment im Hals steckte.
„Oder hat dir meine Frage die Sprache verschlagen, mein Freund?“
„Na ja, was soll’s? Ich habe da eine neue Liebschaft der sich nach meiner Ansicht zu sehr für Alida interessiert hat. Ich bin richtig eifersüchtig geworden. Du verstehst was ich meine?“
„Das kann ich nicht ganz nachvollziehen, aber du wirst es mir eines Tages erklären.“
„Nicht, dass er sich richtig wie ein Mann für sie interessierte, aber er stellte ungewöhnliche Fragen, weist du? Und das hat unsere Beziehung kolossal gestört.“
„Lange Rede, kurzer Sinn, Alois. Hat er dich heute Abend angerufen?“
„Ja, kurz bevor ich dich angerufen habe. Er wollte wissen, wo Alida steckt.“
„Deshalb die Tausend-Dollar-Hummer-Frage, nicht wahr, großer Meister?“
„Zum Teil, Don. Ich habe heute tatsächlich frische Ware bekommen und gleich an dich gedacht. Als er mich bat bei dir nachzufragen, nahm ich das als Vorwand. Ich bin untröstlich.“
„Und du hast ihm dann von mir erzählt, nicht wahr?“
„Konnte ich nicht, weil er nicht am Telefon war, sondern irgendein anderer. Der stellte zu viele Fragen und ich legte auf. Was ist das für eine Fragerei? Ich bin ganz durcheinander, Mann.“
„Reg dich nicht auf! Jemand war ziemlich unhöflich zu Alida, sicherlich eine Verwechslung. Alois, wie in den guten alten Kinofilmen. Mach uns zwei Hummer fertig und bring sie in einer Stunde in meine Suite.“
„Das wird ein bisschen länger dauern, aber die Kundschaft wird warten müssen.“
„So ist es richtig Alois, bis später.“ Don legte den Hörer auf.
Samuel verstand von alledem kein Wort. Er sprach zwar Deutsch, konnte aber den Sachverhalt nicht einordnen. Das genau erkannte Don an seinem Gesichtsausdruck und sagte:
„Samuel, du hast Fragen und ich habe die Antworten. Gedulde dich bis der Rabbi da ist, damit ich mich nicht wiederholen muss. Jetzt räumen wir die Bierflaschen weg und servieren uns einen frischen Kaffee. Ich denke der Rabbi wird ihn nötig haben.“
„Mehr als nur einen Kaffee, mein Freund. Hoffentlich hat er seine Herztabletten mitgenommen.“
Beide saßen am Tisch und warteten, dass die Kaffeemaschine ihr Werk vollendete, als sie Stimmen im Wohnzimmer hörten.
„Don, du wirst es nicht glauben, der Piekfeine war dabei den Kastenwagen aufzubrechen, der wusste genau, wo der Wagen parkte. Erol und Alida gingen zur Lobby und ich fuhr in die Tiefgarage. Ich schlich mich von der Seite heran und sah den Kerl wie er mit seinen Schuhen gegen die Scheiben des Wagens trampelte. Er war so in Rage, dass er mich nicht bemerkte und ich dem Gewaltausbruch ein Ende setzte. Jetzt liegt er mit den anderen zusammen und atmet Chloroform.“
Vor lauter Aufregung blieb der fremde Gast in der Tür stehen. Samuel ging auf ihn zu, begrüßte ihn freundlich und bat ihn ins Zimmer zu kommen.
„Don, darf ich dir meinen besten Freund, Rabbi Benjamin, vorstellen?“
„Sehr erfreut, Herr Benjamin, möchten Sie einen Kaffee?“
Samuel fiel es auf, dass Don die Anrede „Rabbi“ absichtlich mied, er wollte einschreiten, aber der Rabbi kam ihm zuvor:
„Muchas gracias, Senor Don José, un Café sin leche, por favor“, was auf gut Deutsch heißt: Danke, Herr Don José, ein Kaffee ohne Milch, bitte. Samuel schaute den Rabbi verwundert an.
„Ich weiß, Samuel mein Guter, mein Spanisch ist ziemlich eingerostet. Es sind schließlich vierzig Jahre her, als ich diese Sprache zum letzten Mal gesprochen habe. Die Geschichte erzähle ich dir später!“
„Sie waren im spanischen Bürgerkrieg als Roter Rabbi bekannt, nicht wahr?“, fragte Alida, denn sie kannte sich in dieser Geschichte gut aus.
„Es ist an der Zeit die Ereignisse heute ins Reine zu bringen. Setzt euch und beantwortet dem Roten Rabbi Benjamin die Fragen. Er muss Handeln und zwar schnell“, meinte Don.
Alida brachte den Kaffee schenkte jedem noch einmal ein und setzte sich schweigend mit an den Tisch.
„Ich habe die Ereignisse im Groben erfasst, trotzdem bleibt noch einiges was ich vorab wissen möchte“, eröffnete der Rabbi das Gespräch.
„Samuel, hast du in die Mappe geschaut?“
Alle Augen suchten nach der Tasche, doch niemand sah sie. Don stand auf ging ins Wohnzimmer, kam schnell wieder zurück und überreichte Samuel die Tasche.
„Schau nach, was du mitgebracht hast!“ befahl der Rabbi schroff.
Samuel kramte in der kleinen Westentasche nach dem Schlüssel für die Tasche. Seine Hände zitterten, deshalb dauerte es etwas länger das Schloss zu öffnen. Schließlich machte es Klick und das Schloss ging auf. Eine uralte braune Mappe aus hartem Karton mit einer verplombten Kordel verschnürt kam zum Vorschein. Samuel übergab sie dem Rabbi. Es fiel ihm schwer, den Knoten mit den von Gicht befallenen Fingern zu öffnen. Edy sprang ihm zur Hilfe. Der Rabbi schlug den Deckel auf und schaute erstaunt in die Mappe. Er schüttelte grinsend mit dem Kopf. Dann zog er das Papierbündel heraus und alle lachten auf, nur Samuel nicht.
„Was haben wir hier, Samuel? Herr Don José ist doch nicht an der Financial Times oder der Washington Post interessiert. Alle Achtung, der Mizra hat Phantasie. Es fehlen nur noch aktuelle Männermagazine.
„Jetzt wissen auch Sie, dass der Mann homophil ist?“, wollte Don von ihm eine Bestätigung.
„Nicht gleich von Anfang an. Erst eine Woche nach seinem Einzug rief der Koch aus diesem Hotel immer häufiger an. Es stellte sich bald heraus, dass die beiden eine Affäre haben. Mit dieser Neigung hatte ich Mizra gar nicht eingeschätzt. Unsere Leute in New York wussten nichts über seine homophile Leidenschaft. Er ist nicht verheiratet, aber angeblich sehr fromm. Als wir ihn zur Rede stellten, spielte er die beleidigte Leberwurst. Der fette Koch habe sich ohne sein Zutun in ihn verliebt, er mache sich nur lustig über die Affäre. Der Koch soll jeden anhimmeln, der ihm über den Weg läuft.“
„Dieser Sachverhalt ist soweit geklärt, verehrter Herr Benjamin. Was uns hier unter den Nägeln brennt ist die Tatsache, dass sich der Mann in unsere geschäftliche Angelegenheit bewusst oder unbewusst,