Gute Welt, böse Welt. Andie Cloutier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andie Cloutier
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748513667
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in Frage.

      Robert nahm ihr die Absage nicht übel. Er stand auf. „Falls Sie es sich anders überlegen, rufen Sie kurz an. Das gilt auch, wenn Sie in Bezug auf den Selbstschutz Ihre Meinung ändern.“

      4.Kapitel

      Leon schaute durch das Seitenfenster seines Wagens an dem Gebäude hoch, das während seines letzten Dienstes zu einem Tatort geworden war. Das prasselnde Geräusch auf dem Autodach und der Windschutzscheibe zu ignorieren war schwer. Der Regen wollte einfach nicht aufhören. In der Ferne hörte er ein Martinshorn. Die Feuerwehr. Das klang nach vollgelaufenen Kellern. Was bei den Sturzfluten, die seit Tagen vom Himmel fielen, nicht weiter überraschend war. Leon hatte keine Ahnung, warum er auf seinem viel zu frühen Weg zur Wache ausgerechnet hier vorbeigefahren war und sein Auto am Straßenrand direkt vor diesem Gebäude geparkt hatte. Die Praxis lag so gar nicht auf seiner normalen Route. Aber doch, er wusste es nur zu genau. Es machte keinen Sinn sich selbst zu belügen. Er machte sich Sorgen. Sie hatte ihn nicht angerufen. Dabei hatte er wirklich darauf gehofft. Warum er sich ausgerechnet über eine Psychotherapeutin, die wohl von Natur aus alles besser wussten, sorgte, das war das eigentliche Rätsel. Genauso rätselhaft wie die Tatsache, dass er viel zu oft an sie dachte. Denn er dachte ständig an sie und das setzte ihm ziemlich zu. Sie war eine Ablenkung, die er nicht gebrauchen konnte. Nun gut, aber da er schon mal vor Ort war, konnte er kurz nach ihr sehen. Und sobald er wusste, dass es ihr gut ging, konnte er das Thema endgültig abhaken. Oder er lud sie zum Mittagessen ein. Immerhin war es jetzt gerade Mittagszeit. Von daher wäre es ein durchaus nachvollziehbarer Vorschlag. Schließlich musste jeder mal etwas essen. Ja, das war keine schlechte Idee. Ein gemeinsames Essen mit ihr gab ihm die Zeit sicher zu gehen, dass es ihr tatsächlich auch gut ging. Und er hätte nebenbei die Möglichkeit sie besser kennen zu lernen. Was selbstverständlich nicht der Grund war, sie einzuladen. Die Angestellte an der Anmeldung sah ihn erwartungsvoll an, als er die Praxis wenig später betrat. "Kann ich Ihnen helfen?"

      Leon blieb an der Anmeldung stehen. „Oberkommissar Leon Zimmermann, ist Dr. Brandt zu sprechen?"

      Die Angestellte schenkte ihm einen sehr auffälligen Augenaufschlag. "Haben Sie einen Termin, Le-on?"

      Sie zog seinen Vornamen auf ungewohnte Art in die Länge. Das klang merkwürdig. Entweder litt sie unter einem Sprachfehler oder sie flirtete mit ihm. Was stimmte mit den Frauen in dieser Praxis bloß nicht? Gestern diese komische Frau Sommer und jetzt die Sprechstundenhilfe. "Nein, das habe ich nicht."

      "Nun, dann schauen wir mal, was ich für Sie tun kann, Le-on." Die Angestellte beugte sich unnötig weit über den Terminkalender und bot ihm damit einen tiefen Einblick in ihr Dekolletee. Leon nahm das nur sehr flüchtig zur Kenntnis bevor er sich auf das Landschaftsbild an der Wand hinter der Anmeldung konzentrierte.

      "Nun, Dr. Brandt ist gerade außer Haus. In ungefähr einer Stunde wird sie zurück sein, wenn Sie solange warten möchten." Leon dachte über den Vorschlag nach. Er hätte mehr als genug Zeit, bevor sein Dienst begann. Aber eine Stunde lang hier warten, obwohl es durchaus im Bereich des Möglichen wäre, vielleicht könnten sie sogar noch nach ihrer Rückkehr essen gehen. Im nächsten Moment verwarf er den Gedankengang wieder. Hier eine Stunde lang auf Rebecca Brandt zu warten war schlichtweg absurd. So wichtig war es schließlich nicht. Nein, dazu sollte er keinesfalls bereit sein. Immerhin arbeitete sie anscheinend schon wieder und wenn sie arbeitete ging es ihr offenbar gut. "Nein, danke. Eher nicht", antwortete Leon. Es war höchste Zeit von hier zu verschwinden, bevor er es sich doch noch anders überlegte und sich brav im Wartebereich hockend wiederfand.

      "Einen schönen Tag noch, Le-on", rief die Sprechstundenhilfe ihm nach und er konnte ihren Blick auf dem Weg zur Tür förmlich auf sich ruhen spüren.

      Eric rollte genervt mit den Augen. Alle waren aus dem Haus, Sophia, die anstrengenden Kinder. Endlich könnte er in Ruhe arbeiten, wenn nicht jemand vor der Tür stände und beharrlich die Türklingel betätigen würde. Er stand auf, verließ sein Arbeitszimmer und ging zur Haustür. Eric war nicht überrascht, Thomas Lohbach vor seiner Tür vorzufinden. „Thomas, schön, dass du es so kurzfristig einrichten konntest. Komm doch herein.“ Er führte seinen Gast umgehend in das Arbeitszimmer. Die Tür musste er ausnahmsweise Mal nicht schließen. Außer ihnen war ja niemand im Haus. „Sag mal, gibt es etwas Wertvolleres als gute Schlagzeilen, Thomas?“

      Lohbach zog seinen nassen Schurwollmantel aus, bevor er unaufgefordert Platz nahm. „Es gibt durchaus wertvollere Dinge, aber gegen gute Schlagzeilen habe ich nichts einzuwenden.“

      Eric setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches und schaute auf Thomas herab. „Das, mein Freund, habe ich mir gedacht.“ Er unterdrückte ein Schaudern. Lohbach war ganz sicher nicht sein Freund, aber er war eine nützliche Bekanntschaft und die sollte man sich bekanntlich vorsichtshalber warmhalten. Also fuhr er mit seiner kleinen Ansprache fort: „Gestern Abend hat sich eine schlimme Tragödie in unserer schönen, kleinen Stadt ereignet.“

      „Eine Schießerei in einer Arztpraxis. Davon habe ich gehört.“ Thomas sah ihn neugierig an. „Inwiefern siehst du da gute Nachrichten für mich?“

      „Nun, das Opfer, ein gewisser Manfred Groß, war dort als Gebäudereiniger tätig“, erklärte Eric ihm. Er genoss es auf Thomas herunterzublicken.

      „Ich kann nicht behaupten, dass mich das interessiert“, meinte Thomas irritiert.

      „Das sollte es aber, mein Lieber. Diese Reinigungstätigkeit übte Groß nur als Nebenjob aus. Er hatte bereits einen Vollzeitjob in deiner Fabrik“, teilte Eric ihm mit.

      Thomas zuckte mit den Achseln. „Ich werde die Personalabteilung informieren. Und natürlich die Buchhaltung. Ein Toter braucht schließlich keinen Lohn.“

      Eric sah ihn amüsiert an. Wie dämlich konnte ein Mensch bloß sein? Gab es denn keine Grenzen? „Ich bin noch nicht fertig. Weißt du, Groß war ein armer Mann. Er konnte es sich nur so leisten, die Therapie für seine Frau zu vereinfachen. Seine Frau ist an Krebs erkrankt.“

      Er beobachtete, wie Thomas jetzt nervös im Stuhl hin und her rutschte. „Keine Sorge. Ich mische mich nicht in deine Gehaltspolitik ein. Du zahlst den Leuten eben was du kannst. Das weiß ich doch“, beruhigte Eric ihn und fuhr fort: „Jedenfalls ist es ein Wunder, dass die Frau überhaupt noch lebt. Die Tumore müssten sie längst dahingerafft haben. Der einzige Nachkömmling des Paares ist vor Jahren nach Kanada ausgewandert, hat dort eine Familie gegründet.“

      Thomas Blick glitt nun durch das Arbeitszimmer. „Wirklich tragisch, Eric. Aber was hat das mit mir zu tun?“

      „Ich lasse den Sohn pünktlich zur Beerdigung seines Vaters einfliegen. Eine glückliche Familienzusammenführung unter weniger glücklichen Umständen. Allerdings fehlt der Familie noch eine Kleinigkeit. Und jetzt kommst du ins Spiel. Du wirst die Beerdigung finanzieren. Denn wer wäre dafür besser geeignet, als der von der Tragödie außerordentlich betroffene Chef?“ Eric kam auf den Punkt.

      Thomas wirkte nicht begeistert. „Was kostet so eine Beerdigung denn? Ich weiß nicht, ob…“

      Eric unterbrach ihn. „Erinnerst du dich noch an die Schlagzeilen, die du letzte Woche gemacht hast? Der geplante Fabrikausbau in einem Naturschutzgebiet?“

      Thomas seufzte tief. „Gut, ich komme für die Beerdigung auf. Die Presse wird von unserer Hilfsbereitschaft erfahren?“

      Eric grinste breit. „Selbstverständlich! Vergesse nicht, wir müssen auch an der Beerdigung teilnehmen. Dabei können wir uns im Glanz der Aufmerksamkeit etwas sonnen.“

      Wie jeden Wochentag um die Mittagszeit, saß Rebecca auf ihrem Stammplatz in ihrem Lieblingsrestaurant direkt am Fenster. Auf dem Tisch lag ihr Notebook. Ein fast leerer Teller stand daneben. Sie blickte über die Grünpflanzen auf der Fensterbank hinaus auf die Straße. Das machte sie nun schon seit einigen Wochen. Es war Teil eines Rechercheprojekts. Die auftraggebende Firma würde die Resultate sicherlich für ihre eigenen fragwürdigen Zwecke nutzen. Aber Rebecca fand das Thema interessant und sie erhielt Geld dafür. Anfangs wollte sie die Geschehnisse auf der Straße noch mit Video aufzeichnen, was aber leider verboten war. Mittlerweile hatte sie sich