Gute Welt, böse Welt. Andie Cloutier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andie Cloutier
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748513667
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er einen Blick auf den Saum ihrer Strümpfe. Seine Hose wurde ihm zu eng. Er hatte eine Schwäche für Frauen, die Strapse trugen. Eric beendete das Gespräch, ließ das Smartphone wieder in seine Tasche gleiten und bedachte sein verführerisches Gegenüber mit einem langen Blick. Dann stand er auf und ging durch die Tür der Patiententoilette.

      Beim Betreten der Praxis hatte Julia gleich die geschlossene Sprechzimmertür wahrgenommen. Großartig! Rebecca hatte also Kundschaft. Es passte Julia ganz und gar nicht wegen eines oder einer Verrückten Wartezeit in Kauf zu nehmen. Genervt setzte sie sich in den Wartebereich. Ihre schlechte Laune verschwand jedoch augenblicklich, als sie den ihr gegenübersitzenden Mann erblickte. Das Schicksal setzte ihr dieses Prachtexemplar direkt vor die Füße! Und er war alles andere als desinteressiert. Er telefonierte in einem sexy gebieterischen Tonfall und zog sie gleichzeitig mit seinen Blicken aus. Julia mochte multitaskingfähige Männer. Er beendete das Gespräch und bedachte sie mit einem sehr langen und eindeutig einladenden Blick, bevor er zur Toilette ging. Konzentriert lauschte Julia den Umgebungsgeräuschen. Sie hörte das leise Brummen von Nataschas Computer, das sanfte Surren der Lüftungsanlage, das Ticken der Standuhr und endlich den Schließmechanismus der Toilettentür. Die Tür wurde aber nicht geöffnet. Der heiße Kerl hatte die Tür zwar entriegelt, doch den Raum verließ er nicht. Wozu sperrte man auf, wenn man den Raum nicht verlassen wollte? Natascha stand auf und verschwand in dem kleinen Aufenthaltsraum hinter der Empfangstheke. Julia nutzte die Chance und eilte zur Toilette. Sie öffnete die Tür, trat ein und sperrte sofort ab. Der Mann lächelte, zog sie fest an sich und schob seine Zunge zwischen ihre Lippen.

      „Ihr Mann ist auf der Toilette“, teilte Natascha Sophia mit, als diese das Sprechzimmer verließ. Sophia nahm in einem der komfortablen Sessel im Wartebereich Platz. Vermutlich nutzte Eric den Aufenthalt auf der Toilette, um in Ruhe zu telefonieren. Er bevorzugte Gespräche in aller Ruhe, fernab von etwaigen Mithörern. So war das auch zu Hause. Sophia war nicht glücklich in dieser Ehe. Eine Scheidung, was wahrscheinlich ganz in Dr. Brandts Sinne wäre, wäre vermutlich für die meisten Frauen sicherlich die beste Wahl. Immerhin waren Scheidungen heutzutage etwas ganz Alltägliches. Für sie kam das jedoch nicht in Frage. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen war sie ohne Eric ein Niemand. Mit siebzehn hatte sie ihn kennengelernt, kurz nachdem sie einen lokalen Schönheitswettbewerb gewonnen hatte. Damals war sie noch voller verträumter Flausen gewesen. So unschuldig und naiv wie sie war, hatte sie von einer Zukunft als berühmtes Modell geträumt und sich dank des Sieges bei dem Wettbewerb große Hoffnungen auf die Verwirklichung ihres Traumes gemacht. Doch kaum gekrönt traf sie auf Eric Richter. Sie hatte dem achtzehn Jahre älteren, wohlhabenden und sehr gutaussehendem Mann seine Schwüre von ewiger Liebe abgekauft. Vielleicht hatte er sie damals auch wirklich geliebt. Immerhin hatte er sich wegen ihr mit seinen Eltern überworfen. Eric war durchaus zu einer ewig währenden Liebe fähig, aber mittlerweile bezog sich diese Liebe ausschließlich auf ihn selbst. Wie stolz sie damals gewesen war, dass er sich ausgerechnet für sie interessierte und sie charmant umwarb. Die Hochzeit fand an ihrem 18. Geburtstag statt. Jener Tag an dem sie ihre Träume begrub. Anstatt über den Laufstegen der Welt für berühmte Designer zu laufen oder ihr Foto auf dem Covern von Hochglanzmagazinen zu sehen, fristete sie seit ihrer Hochzeit ein Leben als Hausfrau und Mutter. Kurz nach der Hochzeit wurde sie schwanger. Aus einer Karriere als Supermodell würde nichts mehr werden, doch Sophia wollte zu gerne einen Beruf erlernen, sich ein wenig Selbstständigkeit erarbeiten. Eine berufstätige Frau passte aber nicht in Erics Weltbild oder zu seinen Karriereplänen. Und natürlich beugte sie sich seinen Wünschen. Das tat sie schließlich immer. Was blieb ihr auch anderes übrig? Eric war ein überaus großzügiger Mann. Wie viel oder wofür sie sein Geld ausgab schien ihn nicht zu interessieren. Was sicherlich auch daran lag, dass Sophia nicht viel ausgab. So lange sie sein Geld nicht sinnlos verprasste, war es ihm völlig egal was sie damit machte. Und das war der springende Punkt: sie gab sein Geld aus. Sie lebte in seinem Haus. Alles, was Sophia wirklich selbst besaß, war ein mittelmäßiger Realschulabschluss. Im Falle einer Scheidung würde Eric um die Kinder kämpfen. Nicht, weil ihm etwas an ihnen lag, für ihn waren sie so uninteressant wie Sophia selbst, sondern weil er sie ihr nicht überlassen würde. Er brauchte seine Familie nur, um sie bei offiziellen Anlässen vorführen zu können. Ansonsten war sie für ihn eher ein Klotz am Bein. Trotzdem würde sie die Kinder im Falle einer Scheidung verlieren. Eric würde damit durchkommen. Er hatte viele gute Freunde in hohen Positionen, die ihn dabei tatkräftig unterstützen würden. Sie hingegen hatte niemanden. Nein, allein deswegen war eine Scheidung schon keine Option für sie. Sie beobachtete, wie ihr Mann gut gelaunt die Toilette verließ. Allem Anschein nach war das Telefonat ganz in seinem Sinne verlaufen und hatte ihn das unangenehme Gespräch mit Dr. Brandt zumindest kurzzeitig vergessen lassen. Sophia stand auf und folgte ihrem Mann zur Tür der Praxis, die er ihr galant aufhielt. Das tat er nicht aus Höflichkeit oder weil er sie mochte. Solche Dinge machte er nur in der Öffentlichkeit. Schließlich wusste man nie, wer gerade dabei zusah.

      „Hast du die Tabletten?“ hörte sie ihn leise fragen, als sie an ihm vorbei durch die Tür ging.

      „Ich muss zur Apotheke. Sie hat mir ein Rezept ausgestellt“, antwortete Sophia ebenso leise.

      „Erledige das sofort.“ Es klang nicht nur wie ein Befehl, es war einer.

      Schweigend fuhren sie mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss, gingen nur wenige Schritte durch den strömenden Regen bis zu seinem BMW 750. Über das Dach des mattschwarz lackierten Wagens hinweg, sah er Sophia kurz an. „Ich muss noch kurz ins Büro. Du nimmst ein Taxi.“

      Sophias Schuhe saugten sich mit den stetig aus den Wolken stürzenden Wassermassen voll. Sie schaute regungslos Erics Wagen nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Sophia blieb allein auf dem Bürgersteig zurück.

      Julia wartete exakt fünf Minuten allein auf der Toilette. Eigentlich wollte sie zehn Minuten lang warten, aber was sollte man inmitten einer Toilette und eines Waschbeckens auf einem behindertengerechten WC schon groß zum Zeitvertreib unternehmen? Abgesehen von dem gerade Erlebten zu Träumen?

      Eric Richter. Er war ihr gleich bekannt vorgekommen, aber den Namen wusste sie erst seitdem er ihr seine Visitenkarte gegeben hatte. Er war ein Mann ganz nach ihrem Geschmack. Gutaussehend, dominant und er kam gleich, ohne die Zeit mit sinnlosem Vorspiel zu vergeuden, zur Sache. Sie freute sich schon jetzt auf ein Wiedersehen mit ihm und das hatte er ihr ganz klar in Aussicht gestellt.

      Eric hatte einen Vorsprung von fünf Minuten, den er hoffentlich genutzt hatte, denn Julia ließ die Toilette hinter sich und ging durch die nun offenstehende Tür in das Sprechzimmer. Sie schlenderte zu dem Sessel vor Rebeccas Schreibtisch und setzte sich zufrieden lächelnd.

      „Du bist heute Morgen ja bestens gelaunt“, stellte Rebecca fest.

      Julia streckte ihre Beine aus. „Es ist ein großartiger Morgen, findest du nicht? Übrigens, es tut mir leid.“

      Rebecca sah sie überrascht an. „Was tut dir leid?“

      „Gestern Abend. Ich hätte wirklich mitfühlender sein können“, fand Julia. Sie empfand es zwar nicht so, wusste aber, dass ihre gestrige Reaktion nicht ganz angemessen gewesen war.

      „Mitfühlend? Du?“ Rebecca betrachtete ihre Freundin argwöhnisch.

      Julia nahm das gelassen hin. „Du hast etwas Schreckliches erlebt und was mache ich? Es tut mir leid.“ Sie verzog reuevoll ihr Gesicht.

      „Entschuldigung angenommen“, meinte Rebecca.

      „Gut. Und da wir das nun geklärt haben...“, Julia seufzte, „hast du die Karte noch?“

      Rebecca schüttelte kaum merklich den Kopf. „Nein.“

      „Reg dich ab. Ich will die Karte nicht“, teilte Julia ihr mit.

      „Warum hast du danach gefragt?“ wollte Rebecca wissen.

      „Ich möchte, dass du ihn anrufst.“

      Rebecca sah sie verblüfft an. „Das werde ich nicht machen.“

      „Ach, komm schon. Seine unglaublich blauen Augen haben dich doch gestern aus deiner Schockstarre gerissen. Das hat ein bisschen was von Dornröschen, findest du nicht?“