Gute Welt, böse Welt. Andie Cloutier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andie Cloutier
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748513667
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wie das Gemäuer des Hauses.

      Julia räusperte sich. „Also, das ist bei weitem das hässlichste Haus, das mir je untergekommen ist.“

      Zweifelnd schaute Rebecca auf den Haustürschlüssel in ihrer Hand. Der Schlüssel hatte mit den heutigen Exemplaren seiner Art nicht viel gemein. Er war zu klobig, zu schwarz und mit einer Vielzahl von Gebrauchsspuren in Form von Kratzern gezeichnet. Julia beobachtete, wie Rebecca erst tief durchatmete, dann vorsichtig das wackelige Gartentor öffnete und langsam einen Fuß vor den anderen setzte, um nicht mit ihren Absätzen in einer der Steinritzen hängen zu bleiben.

      „Ich habe keine Hausnummer gesehen. Vielleicht ist es ja das falsche Haus“, meinte Julia erzwungen optimistisch. Etwas strich durch ihr Haar. Erschrocken schrie sie auf.

      „Was ist los?“ wollte Rebecca wissen.

      Wütend funkelte Julia die Äste der Trauerweide über sich an. „Der gruselige Baum hat meine Haare durchwühlt!“

      Rebecca wandte sich wieder der Haustür zu. Sie steckte den Schlüssel in das Schloss der dunklen, massiven Holztür und drehte ihn um. Die Frauen hörten den Entriegelungsvorgang klar und deutlich.

      Julia hielt den Atem an. Der Vorgarten war ein Chaos, doch ein anständiger Gärtner konnte daran schnell etwas ändern. Als erstes müssten natürlich die beiden unheimlichen Bäume gefällt werden, dann fiel auch mehr Licht in den Garten. Aber das Haus, erbaut aus dem Gestein des direkt angrenzenden Felsen, war eine ganz andere Nummer. Das sollte man am besten abreißen, um Platz für etwas Neues, etwas Schönes zu schaffen. Julia starrte auf die hässliche Figur, die als Türklopfer diente, während Rebecca das Ungetüm aus Holz öffnete. Erleichtert stellte Julia fest, dass nichts geschah. Nichts krachte über ihren Köpfen zusammen und niemand stürzte sich ihnen aus dem Inneren des Hauses entgegen. Die letzte Befürchtung schallt sie als albern und folgte Rebecca in das Haus.

      Wo Rebecca sofort wie angewurzelt stehen blieb.

      „Oh. Mein. Gott“, brachte Julia mühsam hervor. Es gab keinen besseren Kommentar für den Anblick, der sich ihnen bot.

      Die von schweren Vorhängen gesäumten bodenlangen Gardinen der Fenster ließen nicht viel Tageslicht herein und doch reichte es in diesem Moment vollkommen aus. Der Boden bestand aus dunkelbraunem Parkett, zweifellos viele Jahre alt. Die cremeweißen Wände zierten endlose, goldene Rocaille Motive, die einen förmlich zu erschlagen drohten. Aufgelockert wurde das bizarre Muster nur durch ein paar Messingwandlampen, deren s-förmige Arme aufwendig verziert waren. Die Kerzen waren dank des technischen Fortschritts wohl durch kerzenförmige Glühbirnen ersetzt worden. Unter einem geschwungenen, goldlackierten Dielenspiegel stand ein dreitüriges Sideboard aus Palisander mit Wurzelholzfurnier. Hinter den beiden seitlich gewölbten Glastüren konnte man auf Spiegelflächen sehen. Die Anrichte des Sideboards bestand aus rotem Marmor. Eine kleine Statue aus weißem Marmor stand nicht ganz mittig auf der Anrichte, schien die beiden Neuankömmlinge neugierig anzusehen. Nur ein paar Meter neben dem Sideboard stand ein breiter Hocker. Das goldene Grundgestell war mit geschnitzten Voluten versehen. Der leicht verschlissene, cremefarbene Bezug passte sich farblich der Wand im Hintergrund an.

      Rebecca fehlten offenbar die Worte.

      „Nicht ganz dein Stil“, stellte Julia trocken fest und traf damit den Nagel, wenn auch stark untertrieben, auf den Kopf.

      Nur zögerlich ging Rebecca weiter den Flur bis zu einer geschlossenen Zimmertür entlang. Es war still, als sie die Tür öffnete und in den Raum blickte. Es handelte sich eindeutig um ein Schlafzimmer. Ein goldfarbenes Himmelbett dominierte den Raum. Die Verzierungen, der Baustil des Bettes stammten ebenso wie der handbemalte Wäscheschrank aus einem anderen Jahrhundert. Auch vor den Schlafzimmerfenstern hingen bodenlange Gardinen, gesäumt von schweren, goldenen Vorhängen. Neben den beiden riesigen, alten Möbelstücken vereinnahmte nur noch ein großer, offener Kamin dieses Zimmer.

      Das zweite Schlafzimmer war nicht viel besser als das Erste. Es war deutlich kleiner, das Bett wirkte geradezu winzig im Vergleich zu dem gewaltigen Himmelbett des Hauptschlafzimmers. Der Raum war in einem sehr gewöhnungsbedürftigen Grün gehalten.

      Das Badezimmer erschien Julia schon fast modern. Allerdings ließ sich schwer einschätzen aus welchem Jahrzehnt die sanitären Anlagen stammten. Wenigstens schien es sich um die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu handeln und im Vergleich zu dem, was sie bisher gesehen hatte, war es tatsächlich modern.

      Das gleiche galt für die Küche. Obwohl die Farbzusammenstellung der Schränke und Arbeitsplatten hart an Körperverletzung grenzte. Selbst der große Kühlschrank war grell orange.

      „Sieh es positiv: du hast es geschenkt bekommen und musstest keinen Cent dafür ausgeben“, murmelte Julia und vergrub ihre Hände tief in den Taschen ihres Mantels. Im Haus war es kalt.

      „Ich kann mir beim besten Willen auch nicht vorstellen, dass irgendjemand hierfür Geld ausgeben würde“, fand Rebecca und öffnete die letzte geschlossene Tür.

      Das Wohnzimmer war ein Albtraum aus lila. Die Wände ganz in Flieder gestrichen, nur unterbrochen nur von einem weiteren großen Kamin, der von einer mächtigen Bücherwand eingerahmt wurde, die bis unter die Decke reichte. Die Couch war dunkellila, bedeckt mit vielen weißen Kissen in unterschiedlichen Größen.

      „Es erinnert mich ein klein wenig an ein Barockschloss. Ohne die Größe eines Schlosses, natürlich“, sagte Julia.

      Da an diesem Abend auf der Wache nicht viel los war, entschloss sich Leon während seiner Pause dazu eine alte Bekannte zu besuchen. Wenig später schaute er unschlüssig auf eine Eingangstür. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, ob er das Lokal betreten oder es lieber seinlassen sollte. Seit Jahren machte er nun schon einen großen Bogen um dieses Gebäude. Aber irgendwann musste er sich mal überwinden. Warum also nicht heute? Da Dr. Brandt ihm nicht aus dem Kopf ging war es vermutlich keine schlechte Idee in Erfahrung zu bringen warum genau seine letzte Beziehung scheiterte. Leon atmete tief durch und betrat das Restaurant. Die freundliche Einrichtung des Speiseraums überraschte ihn nicht. Janine hatte schon immer einen ausgezeichneten Geschmack besessen. Zumindest was diese Dinge betraf. Die Möbel waren aus hellem Holz, farblich abgestimmte Decken lagen auf den Tischen. Neben neuen Kerzen standen kleine Blumenvasen auf den Tischen. Überhaupt waren im Speiseraum zahlreiche Pflanzen vorhanden. Leon wusste, dass es sich dabei um echte Blumen und Pflanzen handelte. Janine konnte die pflegeleichten Imitate nicht leiden und sie besaß einen grünen Daumen. Er konnte sich noch daran erinnern, wie Janine damals aus anfänglich langweiligen Blumenkästen wahre Blütenmeere zauberte. Die Kästen hingen noch immer an Ort und Stelle. Allerdings hatten die Blumen seine mangelnde Zuwendung nicht lange überlebt. Hätte Trude sich nicht ihrer angenommen würde dort nur noch getrocknetes, unansehnliches Geäst herumhängen. Hinter dem Tresen polierte eine junge Frau, wahrscheinlich eine Auszubildende dem Alter nach geschätzt, Gläser mit einem Tuch.

      Sie erblickte ihn, legte Glas und Tuch aus ihren Händen und kam auf ihn zu: „Guten Abend. Möchten Sie einen Tisch für eine Person?“

      „Nein, danke. Ich möchte bitte mit Janine sprechen. Ist sie da?“

      Kaum hatte Leon ausgesprochen, öffnete sich eine Tür hinter dem Tresen und Janine betrat den Raum. Sie war immer noch wunderschön. Selbst mit dem unachtsam zusammengebundenen Zopf und ihrem anscheinend weiterhin fehlendem Interesse an dekorativer Kosmetik. Sein Blick glitt an ihrem Körper hinab und blieb an ihrem sehr gewölbten Bauch hängen.

      „Na, sieh mal einer an, wen der Wind hereingeweht hat. Oder ist die andere Straßenseite wegen Bauarbeiten gesperrt?“ Trotz des Sarkasmus klang Janine erfreut.

      Leon schaute wieder in ihr Gesicht.

      Sie lächelte, ihre Augen strahlten. „Du siehst aus als könntest du etwas zu Essen vertragen.“

      Er fühlte sich sehr unbehaglich, als er ihr durch die Tür in die Küche folgte. „Dein Restaurant ist großartig. Es freut mich, dass du deine Pläne umgesetzt hast. Läuft es gut?“ Als sie noch ein Paar waren, hatte sie von ihrem eigenen Restaurant geträumt und nun besaß sie tatsächlich eines.

      Janine