Dummes Mädchen, schlaues Mädchen - Ein Fall für Harald Steiner. Ansgar Morwood. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ansgar Morwood
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844262780
Скачать книгу
gewesen, irgendwo vor der Anlage auf ausrückende Fahrzeuge zu lauern, um diese dann zu verfolgen, aber es war vollends undenkbar, sich zielbewusst an die richtigen anheften zu können, wenn man nicht vorher schon wusste, wer da in welcher Mission unterwegs war.

      „Sie wollen mir also nicht helfen,“ entrüstete sich Peter Jahn.

      „Das, was Sie da verlangen, grenzt nicht nur an Gesetzeswidrigkeit, sondern ist es auch. Nein, Herr Jahn, es wäre eine Gesetzwidrigkeit, wenn ich in Ihrem Anliegen einwillige.“

      „Wenn Sie mir nicht helfen wollen, dann helfe ich mir eben selber.“

      „Tun Sie das, aber ohne meine Zustimmung,“ erklärte Patricia resigniert. „Was Sie auf jeden Fall jetzt tun werden, ist, Ihre Tochter in der Pathologie zu identifizieren. Ich werde jetzt einen Beamten rufen, der Sie dorthin begleitet.“

      Han Lie, der jüngste Angestellte des chinesischen Restaurants „Formosa“ sollte die Mülltüten vom Mittwoch in den Abfallcontainer werfen. Um den schweren Deckel des Behältnisses zu öffnen, brauchte er einen Schlüssel für das Schloss und beide Hände, um ihn anzuheben. Daher musste er die Mülltüten kurz absetzen. Kaum hatte er den Deckel angehoben, ließ er diesen wieder zufallen und begann zu kreischen.

      Eine Dreiviertelstunde später standen Steiner, Lambrecht, Schmidt und Boomberg vor dem erneut geöffneten Container. Boomberg sagte: „Eigentlich sollte ja laut der Unkel Kurt Remich gerufen werden. Aber als ich den Kerl hier liegen sah, dachte ich mir, der dürfte Sie mehr interessieren, als er Remich interessieren kann.“

      „Da dürften Sie richtig gedacht haben,“ entgegnete Steiner prüde, was dennoch einem Lob gleichkam. Er erläuterte weiter, was sich Boomberg auch schon gedacht hatte. „Der hier sieht verdammt nach dem Typ auf dem Touristenvideo aus.“

      Schmidt glaubte sich indes sicher zu sein. „Das ist der Lump.“

      „Ist seine Identität bekannt?“ fragte Harald den Gerichtsmediziner, der als Erster und bisher Einziger die Leiche berührt hatte.

      „Personalpapiere oder auch nur eine Brieftasche hat das Opfer nicht bei sich. Man könnte also Raubmord in Betracht ziehen. Aber in der Gesäßtasche seiner Jeans befand sich ein Flugticket.“ Lambrecht reichte dem Hauptkommissar das inzwischen in durchsichtiger Plastikfolie verpackte Beweisstück.

      Der folgerte: „Islamabad! Ein Pakistani namens Tarek Khan. Sehr einfallsreich.“

      „Nun ja, Herr Steiner,“ meinte Boomberg, „der Vorname Tarek und der Nachname Khan sind in Pakistan keine Raritäten. Ich beneide jedenfalls niemanden darum, einen Tarek Khan in einem Land ausfindig machen zu müssen, das über 150 Millionen Einwohner hat, in dem die Verwaltung, weil korrupt, nur halbwegs funktioniert und wo vielleicht jeder dritte männliche Einwohner ungefähr so heißt, wie dieser hier wohl geheißen haben dürfte.“

      „Wenn es denn sein richtiger Name ist,“ merkte Heinz an.

      „Ob richtig oder falsch, meine Herren“, sagte Ernst Lambrecht, „aber tot ist der hier schon länger als einen Tag, und mir scheint, er hat noch geblutet, als man ihn hier hineingelegt hat.“

      Harald sah zu dem immer noch schockiert wirkenden Han Lie hinüber und ging auf diesen und dessen bei ihm stehenden Verwandten zu. Han wich einen Schritt zurück, als müsste er jetzt den Empfang einer Ohrfeige befürchten. Aber Steiner sprach nicht ihn, sondern seinen Onkel an, dem das Restaurant gehörte, auf dessen Hinterhof der Container mit der Leiche stand. „Wieso haben Sie den Toten nicht schon gestern gefunden?“

      Die Antwort war schnell gegeben und erschien plausibel. Da der Küchenabfall immer erst am nächsten Tag zum Container getragen wurde und donnerstags Ruhetag im Formosa war, waren die Abfälle vom Mittwoch erst heute früh dorthin gebracht worden, und der Tote sei übrigens keinem der Angestellten bekannt gewesen.

      Zurück beim Container erfuhr Steiner von Lambrecht, dieser Mann, dessen Name wohl Khan gewesen war, sei nach aller Wahrscheinlichkeit mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen worden. Harald wies Schmidt und die ebenfalls vor Ort anwesenden Streifenbeamten an, in der direkten Nachbarschaft Fragen zur Person des Opfers und eventuell gemachten auffälligen Beobachtungen in den letzten Tagen zu stellen. Dann verließ er den Tatort, weil hier ehedem nichts Ergiebiges mehr zu erwarten war, und fuhr allein zum Präsidium zurück, von wo aus er nachhaltiger recherchieren zu können glaubte.

      Heiko Nille saß schon seit sieben Uhr in der Früh in seinem Sessel im Wohnzimmer und schien die Tapetenmuster der Wände eher geistig abwesend zu studieren. Tatsächlich suchten seine Augen nach den von ihm vermuteten Minikameras oder/und Mikrofonen, die ihm Bezengos Leute untergejubelt haben mussten. Wer ihn dabei beobachtet hätte, hätte sich den Grund seiner eher geistesabwesenden Miene nicht zu erklären vermocht. Und er selber benahm sich auch nicht so, dass, - sollte er denn auch jetzt gefilmt oder abgehört werden -, man seine Blicke als solche der suchenden Art hätte einordnen müssen. So hatte er fast zwei Stunden zu verbringen vermocht. Dann stand er auf und ging ins Badezimmer, wo er sich duschte und anzog. Inzwischen hatte er den Eindruck gewonnen, dass überhaupt keine Bespitzelungsapparatur in seiner Wohnung installiert worden war. Ganz richtig lag er damit nicht. Er kam nur nicht auf den Gedanken, dass diese Apparate am Vortag schon wieder entfernt worden sein könnten, weil Bezengo einerseits schon alles über ihn wusste, was er über ihn wissen wollte, und andererseits präventiv alles entfernen hatte lassen, was die Polizei bei einer Hausdurchsuchung irgendwie auf eine Erpressung hätte kommen lassen können.

      Die von den Renners gemachten Notizen zu ihnen ungewöhnlich erschienenen Begebenheiten rund um ihr Anwesen lasen sich für Steiner wie Momentaufnahmen von eher verwahrlosbaren Geschehnissen. Fremde PKW, die an der anderen Straßenseite über Nacht abgestellt worden waren, Jugendliche, die einige Minuten in der Nacht vor dem Grundstück herumgegrölt hatten, Männer und Frauen, die nicht ganz konform des kleinbürgerlichen Geschmacks der Renners gekleidet gewesen waren. Es kamen in den Niederschriften Banalitäten vor, die das Papier nicht wert waren, auf denen sie standen. Vieles von dem Beobachteten hatte nichts mit dem Haus und seinen Bewohnern zu tun. Jedoch konnte Steiner ziemlich genau aus den Notizen ausmachen, an welchen Zeitpunkten Heiko Nille und seine Freundin das Haus verlassen hatten und wann sie wieder heimgekommen waren. Da die Renners aber auch nicht immer zuhause gewesen sein dürften, hatten diese Informationen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Fülle sämtlicher Details machten die durchaus interessanten Kladden uninteressant, jedenfalls uninteressant für jemanden, der es gewohnt war, schnelle Rückschlüsse zu ziehen. Harald beschloss, diese Kleinarbeit seiner Frau Monika zu überlassen, die ihren Dienst im Nachmittag antreten würde. Er nahm sich nun seine Notizen von seinem Besuch bei Nille vom Vortag vor. Nille hatte drei frühere Freundinnen erwähnt, die längere Zeit mit ihm zusammengelebt hatten. Zur letzten in dieser Serie fielen ihm einige Bemerkungen der Renners ein. Helga Bode war nur wenig vor Angela Jahns Einzug bei Nille ausgezogen. Über die Bode war Karmen Renner nicht gut zu sprechen gewesen. Außer gewissen haushaltlichen Nachlässichkeiten war auch hervorgehoben worden, sie habe bei Abwesenheiten Nilles Männerbesuche empfangen, die auch schon mal über Nacht geblieben waren. Von einigen dieser Herren behaupteten die Renners, auch die Autokennzeichen aufgeschrieben zu haben. Aus den vielen Aufzeichnungen des Rentnerpaares konnte man auf Anhieb gewiss nicht ausmachen, wann diese Besuche stattgefunden hatten. Also musste Harald Monika instruieren, zunächst einmal exakt nach solchen Passagen Ausschau zu halten. Doch er wollte nicht so lange warten, bis sie ihren Dienst angetreten haben würde. Er ging hinüber ins Büro seiner Assistenten, wo Ralf Frisch noch immer mit der Auswertung der Hinweise aus der Bevölkerung zu Angela Jahns Mörder beschäftigt war, und erklärte ihm, was er Monika auszurichten hatte. Dann kehrte er zu seinem Schreibtisch zurück und suchte jene Visitenkarte Helga Bodes, die Heiko Nille ihm gegeben hatte. Die fand er auch sehr schnell, und er nahm sie eingehender in Augenschau. Hätte er sie sich bereits am Vortag in Nilles Beisein genauer angesehen, wären ihm da schon einige zusätzliche Fragen an Nille eingefallen. Doch nun dieses einmal versäumt worden war, erachtete es Steiner für sinnvoller, direkt die Bode aufzusuchen.

      Das Markante an Helga Bodes Visitenkarte war ihre Berufsbezeichnung. Die lautete „Management Consulting“, und es ging ganz klar aus den weiteren stichwortartigen Begriffen auf dieser Karte hervor, dass sie diesen Dienst freiberuflich ausübte. Die angegebene Adresse und die dazugehörigen Telefonnummern