Dummes Mädchen, schlaues Mädchen - Ein Fall für Harald Steiner. Ansgar Morwood. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ansgar Morwood
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844262780
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Besucher, jede verspätete Müllabholung, jedwedes Erscheinen seltsamer Personen in Sichtweite des Hauses und sogar die Tatsache, dass ein Nachbar höchst eigenhändig eine Eiche in seinem Garten gefällt hatte.

      Robert Renner erklärte hierzu entschuldigend: „Uns geht es nicht darum, Leute anzuzeigen, nur weil sie sich etwas merkwürdig benehmen. Aber wir leben in einer äußerst unsicheren Zeit. Da ist es besser, man dokumentiert solche Vorgänge für den Fall, so etwas müsse mal amtlich untersucht werden.“

      Typische Bleistiftlutscher, dachte Harald. Doch ausnahmsweise war er froh, dass ausgerechnet die Renners so veranlagt waren. „Dürfte ich dieses Heft bitte mitnehmen, um es zu kopieren. Das könnte uns vielleicht im Mordfall der Frau Jahn weiterhelfen. Sie bekommen es auch sofort morgen wieder.“

      Vor lauter Stolz, einer polizeilichen Behörde, ja, sogar einer kriminalpolizeilichen Behörde bei der Lösung eines Mordfalls dienlich sein zu dürfen, überschlugen sich die Renners regelrecht in Hilfsbereitschaft. Der Herr Hauptkommissar könne auch die anderen Hefte mitnehmen, und Steiner befand, das sei kein schlechter Vorschlag, insofern diese Niederschriften den gesamten Zeitraum seit Nilles Einzug in die Villa betrafen.

      Als Harald seinen Mercedes zurücksetzte und davonfuhr, schaute ihm das Ehepaar hinterher, und sie sagte zu ihrem Mann: „Siehst du, Robert? Ich habe doch immer schon gesagt, dass wir diese Notizen nichts für nichts angelegt haben.“

      Auch Heiko Nille hatte rausgesehen, als der Hauptkommissar losfuhr. Er schaute auf die Küchenuhr. Es war bereits 14.40 Uhr durch. Steiner, so stellte er nun fest, hatte sich ziemlich lange mit ihm, dem Abstecher zu Angelas Laden und den Renners aufgehalten. Stand er, Heiko, eventuell doch unter Mordverdacht? Absurd! Vollkommen absurd! Er hatte doch nun wirklich keinen Grund gehabt, Angela umbringen zu wollen. Das hatte dieser Steiner sicherlich längst begriffen. Und trotzdem hatte er sich so lange hier aufgehalten. Ein hartnäckiger Typ, dieser Polyp. Plötzlich überlagerten andere Gedanken Heikos Grübeln um die Vorgehensweisen des Kriminalers. Ihm fiel ein, dass der Erpresser ihn an diesem Morgen genau zu dem Zeitpunkt angerufen hatte, als er aus dem Bett gekrochen war und ihn, obwohl es bereits später Vormittag gewesen war, gefragt hatte, ob er gut geschlafen hatte, und er hatte eine Bemerkung über Heikos Alkoholexzess gemacht. Aber woher sollte er überhaupt gewusst haben, wann Heiko aufgestanden war und dass er sich in der Nacht vorher hatte volllaufen lassen? Konnte jemand im Haus gewesen sein? Auch absurd! Die Wohnung war zwar groß, aber sie war auch gemäß ihrer Einrichtung nicht gerade dafür ausgelegt, erfolgreich Verstecken spielen zu können. In ein noch so gut gesichertes Haus herein- und wieder herauszukommen, so wusste Nille aus eigener Erfahrung, ist kein Ding der Unmöglichkeit. Allerdings sich unbemerkt darin aufzuhalten, während die Bewohner selber anwesend sind, das grenzt schon ans Fantastische. Da hatte er die Eingebung. Irgendwer überwachte ihn per Video. Diese Kameras waren ja heutzutage inzwischen so klein wie Nadelköpfe, die Mikrofone auch. Na klar, man hatte ihm heimlich diese Dinger in seiner Wohnung installiert, und mit Gewissheit waren sie noch da. Am Morgen müssen sie jedenfalls noch dagewesen sein. Also mussten sie auch jetzt noch da sein. Wie sonst hätte dieser Fiesling wissen können, wann er aufgestanden war? Sollte er sie suchen? Nein. Vielleicht ließ sich aus dem Wissen um das, was er eigentlich nicht wissen sollte, anderswie Kapital schlagen. Ihm schwebte bereits schemerhaft vor, wie er das anzustellen hatte. Denn, wie hieß es doch so schön? „Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen.“

      Monika, Heinz und Ralf brachten ihren Chef gleich nach seiner Rückkehr auf den neuesten Stand ihrer Erkenntnisse. Wie zu erwarten gewesen war, sprang Steiner nicht vor Freude an die Decke, als er vernahm, Peter Jahn wolle nach Köln kommen, um die Ermittlungsarbeiten aus nächster Nähe verfolgen zu können. Auch dem Umstand, man könne anhand der Stichwunden in Angela Jahns Brustkorb in etwa die Beschaffenheit der Tatwaffe ableiten, weckte seine Begeisterung nicht. Doch beim Vernehmen, das Diebstahls- und Einbruchsdezernat habe sich bereits längere Zeit mit Heiko Nille befasst, wurde er hellhörig.

      „Ach, und die bekamen bislang keine Genehmigung, ihn abzuhören?“ fragte er nach.

      „Nein. Wie denn auch?“ erwiderte Schmidt. „Ein bloßer Verdacht alleine lockt keinen Untersuchungsrichter hinter dem Schreibtisch hervor.“ Womit er mal wieder Haralds Apathie gegen den Justizapparat mobilisiert hatte.

      „Ja, ja, diese Bürokraten sind katholischer als der Papst, wenn es um die Rechte der Delinquenten geht, und blauäugiger als jeder blinde Taubstumme, wenn es um echte Ermittlungsarbeit geht. Aber jetzt haben wir es mit einem Mordfall zu tun, da werden sie sich wohl kaum unserer Bitte zum Mitlauschen verschließen können. Ralf, leite das mal gleich im Anschluss an unsere Besprechung in die Wege! Was ist denn eigentlich mit den Geschwistern der Jahn?“

      Monika antwortete: „Zwei Schwestern, ein Bruder. Allesamt in ziemlich bürgerlichen Verhältnissen verkehrend. Wir haben sie noch nicht kontaktiert. Sollten wir?“

      „Nein, vorläufig nicht von Interesse,“ beschied ihr Harald.

      Monika erklärte weiter: „Inzwischen hat uns Kassel die Akte der Jahn zugemailt. Die Story mit dem Scherenangriff auf die Kollegin und die anderen gegen sie erhobenen Vorwürfe. War wohl ein Zickenstreit, der anscheinend von Angela Jahns Opfer, einer gewissen Jenny Mombach, provoziert beziehungsweise angeregt worden war. Diese Mombach muss enorm eifersüchtig auf die Jahn gewesen sein, weshalb sie sie laufend gepiesackt hat. Da ist bei der Jahn einmal das Maß voll gewesen. Und nach ihrer Verurteilung wegen ihrer Scherenattacke auf die Mombach hat Letztere jede Gelegenheit wahrgenommen, die Jahn anzuzeigen. Wie gesagt, Zickenstreit.“

      „Interessant,“ befand Steiner. „Und wo hält sich Jenny Mombach jetzt auf?“

      Das Lugano war zwar keine Räuberhöhle im landläufigen Sinne, aber, wer es genauer kannte, wusste, welche Sorte Menschen hier überwiegend verkehrten. Heiko hätte von seiner Tätigkeit her einer dieser Stammgäste sein können, aber er war bislang nicht einmal ein Gelegenheitsgast dieses Etablissements gewesen. Obwohl ihm der Erpresser nicht gesagt hatte, wie er ihn hier erkennen sollte, war Heiko sich sicher, selber von ihm erkannt und angesprochen zu werden. Hätte der Kerl ihn einen Tag zuvor herzitiert, wäre Nille auch ohne Angelas Ermordung nahezu zitternd hier hineingegangen. Doch jetzt fiel es ihm schwer, Angst zur Schau zu stellen, die er gar nicht empfand.

      Er behielt Recht, was das Erkennen anging. Schon vor dem Eingang sprach ihn ein junger Mann beim Namen an. „Herr Nille?“

      „Ja, Heiko Nille.“

      „Folgen Sie mir bitte hinein. Mister Bezengo erwartet Sie bereits.“

      Bezengo, welch ein Name, ging es Heiko durch den Kopf. Sie betraten das Lokal. Viele Männer saßen und standen am Tresen. Einige Frauen, an einem Tisch sitzend, diskutierten, zwei Pärchen spielten an einem anderen Karten. In einem Separee saß ein einzelner Mann und las eine Tageszeitung. Auf den steuerte Heikos junger Begleiter zu und sprach ihn an. „Mister Bezengo, Herr Nille.“ Bezengo legte die Zeitung weg und sagte mit einem aufgesetzten Smile: „Guten Abend, Herr Nille. Bitte setzen Sie sich mir gegenüber.“ Der junge Mann entfernte sich, Heiko setzte sich und wunderte sich, dass der Mann mit dem sonderbar exotisch klingenden Namen doch sehr mitteleuropäisch wirkte. Der holte vom Stuhl neben sich einen Stapel Bilder unter einem Aktenordner hervor und legte sie vor Nille auf den Tisch. Wortlos schaute sich Heiko Stück für Stück an. Dann seine gleichgültige Reaktion. „Na und? Ist das alles, womit Sie mir imponieren wollen?“

      „Ich glaube, Herr Nille, nach den Telefonaten, die wir beide gemeinsam in den letzten Wochen geführt haben, dienen diese Fotos nur als illustrative Untermalung, nicht wahr? Im Gegensatz zu den Polizei- und Steuerfahndern wissen wir, wie Sie ihren Handel treiben. Ich hatte Ihnen schon einige Namen Ihrer Zulieferer und Abnehmer genannt und könnte die Liste beliebig komplettieren. Ich gehöre nicht zu der Sorte Leute, die gerne ihr Geld mit Handarbeiten verdienen. Nach unseren Erkenntnissen liegt Ihr inoffizielles Einkommen um das Vierfache höher als Ihr offizielles. Insgesamt machen Sie im Jahr reale eine Million Euro Gewinn, von denen Sie nur 200.000 versteuern. Mit unseren Einblicken wäre es uns ein Leichtes, Sie aus dem Markt zu drücken und selber die Sache in die Hand zu nehmen. Aber das wäre ja mit Arbeit verbunden, und die scheue ich wie die Pest. So dachte ich mir bis gestern noch, ein Schweigegeld für mein Wissen von 600.000 Mücken pro Jahr käme Ihnen entgegen. 200.000 Euro Schwarzgeld für Sie ist doch