Dummes Mädchen, schlaues Mädchen - Ein Fall für Harald Steiner. Ansgar Morwood. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ansgar Morwood
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844262780
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Weglaufen ist dann nur noch identisch mit einem kindischen ‚fangt mich doch, wenn ihr könnt’. Die Alternative wäre der berechnete Vorsatz…“

      „Nichts Neues,“ moserte Patricia. „Dein Steckenpferd sind ja immer schon die vorsätzlichen Morde gewesen.“

      Harald sah sie herablassend spöttisch an. „Ja, und das immer noch gut begründet. Dieser Heiko betreibt sowieso Geschäfte, die er niemals auf seine Art und erst recht nicht so, wie er sie betreibt, mit Erfolg betreiben kann. Mein Verdacht ist dahingehend, sein Handel basiert auf Illegalität. Bei Handel mit Autoteilen fallen mir weiter unbesehen gleich zwei Dinge ein. Ehemalige Ostblockstaaten und Autodiebstahl. Und wenn wir schon in dem Milieu verkehren, sind Dinge möglich, die bei normalen Transaktionen nicht möglich sind. Kommt hinzu, dass Angela Jahn vor einigen Jahren selber einmal aggressiv in Erscheinung getreten ist und dabei eine Kollegin verletzt hatte. Muss nichts bedeuten, kann aber doch von Relevanz sein. Dann wäre da noch der Umstand, dass die Jahn sich selbständig machen wollte, und das hätte ihrem bisherigen Chef nicht unbedingt gefallen müssen. Realistisch betrachtet, bleibt die Variante des Psychopathen in dieser Phase unserer Ermittlungen im Rennen. Haben wir es aber mit einem hintergründigen Vorsatz zu tun, werden sich unsere Überlegungen zunächst auf das direkte Umfeld Angela Jahns und das Heiko Nilles konzentrieren. Die Motive können Unregelmäßigkeiten in Nilles Geschäften sein, das Geschäftsvorhaben der Jahn oder etwas, was sie aus ihrer Vergangenheit hierher eingeholt hat.“

      Karl Meyers meldete sich zu Wort. „Wenn es sich bei dem Kerl um einen geistig Verwirrten handelt, dann dürfte er sich sein Opfer sehr bewusst ausgewählt haben. Entweder anhand äußerlicher Merkmale oder aber anhand einer früheren Begegnung. Im ersten Fall hieße das, er hasst Frauen, die wie das Opfer aussehen, im zweiten könnte zum Beispiel verschmähte Liebe im Spiel sein oder ein geringfügiger Vorfall, der vom Täter als gar nicht so geringfügig empfunden worden ist, wofür andere Leute gewiss nicht zu einer Stichwaffe greifen würden. Plastisch ausgedrückt, er könnte sich über einen ihm nicht genehmen Haarschnitt aufgeregt haben, den sie ihm verpasst hat, oder darüber, dass sie ihren Hausmüll nicht ordnungsgemäß getrennt hat. Gefällt ihm der Typ Frau nicht, weshalb er Frau Jahn tötete, dürfte er Frauen mit ähnlichem Aussehen auch vorher schon ein oder mehrere Male angegriffen haben, jedoch mit Gewissheit wird er es in Zukunft wieder tun, wenn das hier seine erste Tat aus diesem Grunde war. Das Interessante an solchen Psychopathen ist, dass sie durchaus berechnend vorgehen können, obwohl ihre Triebfeder irrsinnig ist.“

      Hierzu meinte Monika: „Wenn er bereits zuvor auf Frauen, die Angela Jahn ähnlich sehen, Attentate verübt hat, müsste das doch aktenkundig sein.“

      „Ganz recht,“ stimmte ihr Meyers zu. „Auch ohne großes Beschauen kann ich Ihnen versichern, dass wir aktuell keine bekannten Fälle dieser Art in unserem Bereich vorliegen haben. Wenn also nur der Typ der Frau für seine Aktion maßgeblich ist, war das hier sein erstes Opfer in unserem Revier. Liegt allerdings eine Bagatelle der Sache zu Grunde, muss er ihr schon früher begegnet sein.“

      „Sehr aufschlussreich,“ spottete Steiner. „Also hat ein Psychopath als Triebfeder, seine Opfer umzubringen, weil sie einer bestimmten Person ähnlich sehen, oder aber weil sein Opfer ihm die Vorfahrt genommen hat. Sei’s drum. Wir können einen Irren als Täter nicht ausschließen. Ich aber empfinde diese Theorie als zu aufgesetzt. Wie sagtest du gerade noch, Karl? Trotz ihres geistigen Knackses können solche Heinis berechnend vorgehen. Dann wäre meine ‚Orgasmustheorie’, er geile sich an möglichst großem Publik während seiner Tat auf, hinfällig.“

      „Nun ja“ korrigierte der Polizeipsychologe, „berechnend sein können, ist nicht gleichzusetzen mit berechnend sein müssen.“

      „Auch sehr aufschlussreich, Meister,“ sprach Harald hochnäsig. „Es gibt also keinen echten konkreten Anhaltspunkt, dass der Bursche kirikiri ist, und auch keinen, dass er es nicht ist. Doch zumindest haben wir ja Aufnahmen von ihm und Augenzeugen, die ihn gesehen haben. Heinz, liegen bereits Phantombilder nach deren Angaben vor? Ist die Tatwaffe inzwischen irgendwo aufgetaucht?“

      „Tatwaffe bislang Fehlanzeige,“ antwortete Schmidt. „Was die Porträts angeht, habe ich sie mitgebracht, zusammen mit den Zeugenaussagen.“ Er schob einen beachtlichen Stapel von etwa 50 Blättern seinem Chef über den Tisch zu. Der nahm sie sich Stück für Stück im Schnelldurchgang vor, runzelte mehrfach die Stirn und grunzte schließlich verächtlich: „Warum können nicht ein einziges Mal alle Zeugen dasselbe aussagen, beobachtet zu haben. Alleine schon die Körpergröße des Angreifers variiert zwischen 1,70 und 1,85 Meter. Und von Bild zu Bild kann ich nur eine annähernde Ähnlichkeit ausmachen.“

      Boomberg stellte richtig: „Die Körpergröße konnte anhand der Videoaufnahmen in etwa ermittelt werden. Größer als 1,75 Meter, aber keineswegs als 1,80.“

      Frisch wusste zu berichten, das einzige von den Zeugen wahrgenommene Wort, das der Täter seinem Opfer zugerufen hatte, sei „Schlampe“ gewesen.

      „Schlampe?“ Steiner schwieg einige nachdenkliche Sekunden. „Demnach sollte wohl der Eindruck geweckt oder zum Ausdruck gebracht werden, die Jahn habe es mit anderen Männern getrieben. Mit anderen Männern als mit welchem Mann? Dem Täter? Heiko Nille? Einem anderen? Wir wissen, dass er zielstrebig auf sie zuging. Wir dürfen annehmen, dass seine Absicht ihre Tötung war. Soll ‚Schlampe’ der Grund sein, oder nur die Verschleierung des wahren Motivs? Doch lassen wir noch einmal auf das Äußere des Täters zurückkommen, insbesondere auf seine Gesichtsmerkmale. Auch wenn die Bilder, die anhand der Angaben der Passanten gemacht wurden, leicht variieren und die Aufnahmen nicht gerade als besonders gelungen zu bezeichnen sind, habe ich stark den Eindruck, den Typ als aus einem südlichen Raum stammend einordnen zu dürfen.“

      „Du immer mit deinen Pauschalverdächtigungen,“ ärgerte sich die Unkel.

      Doch Doktor Lambrecht pflichtete dem Leiter des K2 bei und belehrte Patricia. „Frau Kriminalrätin, es wird allgemein vor der Öffentlichkeit verschwiegen und das aus guten Gründen, aber auch Sie dürften wissen, dass wir heutzutage immer noch bei der Suche nach der Herkunft von Tätern deren äußerlichen Merkmale nach gewissen Kriterien einzuschränken versuchen, die auf Theorien und Untersuchungen basieren, deren Ursprünge ins 19. Jahrhundert hineinreichen und die im Dritten Reich verfeinert worden sind. Bedauerlicherweise kann man nicht publik zugeben, dass wir uns auch heute noch bei der Feststellung der Herkunft von Personen gelegentlich immer noch dieser Kriterien bedienen, weil sie nun einmal zumeist zutreffend sind.“

      Patricia winkte genervt ab. „Ja, ja! Lassen wir das Thema.“

      „Das würde ich mal nicht sagen,“ opponierte Harald. „Psychopathen, wie wir sie in unseren Breitengraden kennen, sind in der Regel unterbelichtete Deutsche. Bei Ost- und Südeuropäern, sowie bei Orientalen haben Ausraster dieser Art deutlich kulturell bedingte Hintergründe. Vendetta, Blutschande, Beleidigungen und Ähnliches. Oder aber sie arbeiten im Auftrag. Demnach dürften also nur noch verschmähte Liebe und Auftrag im Rennen bleiben. Also werden wir uns mit Angelas Jahns Verhältnissen der letzten zwei Jahre, seit sie nach Köln kam, auseinandersetzen. Ich prophezeie aber jetzt schon, da ist nichts gelaufen und schon gar nichts mit einem Jugo, Italiener oder Araber. Parallel dazu, - das ist aber bereits von mir in die Wege geleitet worden -, muss Heiko Nille auf Herz und Nieren überprüft werden. Das sind Dinge, denen erst einmal Heinz, Ralf und Monika nachzugehen haben. Ich werde mich um diesen Maître André kümmern und in Angelas Vergangenheit zu ihren Kasseler Zeiten eintauchen.“

      „Mach, was du für richtig erachtest,“ sagte die Unkel, die ohnehin in Haralds Arbeiten kein Veto einlegen konnte. „Hauptsache die Chose bekommt Kontur. Wäre sonst noch etwas anzumerken?“

      Es gab momentan nichts mehr, was die Runde zu diesem Fall beitragen konnte.

      Heiko Nille hatte in der vergangenen Nacht neue Freundschaften mit zwei alten Whiskyflaschen geschlossen. Dementsprechend verkatert war sein Erwachen. Mit raschen Schritten holten ihn die Erinnerungen an die Ereignisse wieder ein. Da lag der erneute Griff zur Flasche nahe. Er stand auf, zog sich seinen Morgenmantel an und ging ins Wohnzimmer. Er goss sich von einem 12 Jahre alten Scotch in das Glas vom Vortag. Als er gerade das Glas an seinem Mund ansetzen wollte, schrillte sein Telefon. In seiner Situation kam ihm dieses Schrillen wie Fliegeralarm vor. Lustlos und nur, um dem