Kaana. Rudolf Jedele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Jedele
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745082234
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bemerkte Hasket, dass er einen fatalen Fehler begangen hatte. Joels Augen glitzerten wie schwarzer Obsidian und Hasket ahnte, dass er nur einen winzigen Schritt von einem tödlichen Abgrund entfernt stand.

      „Ich habe keine Angst, denn ich bin Kaana und Kentaur. Ich werde Sheenland überstehen und Sheenland wird mich nie vergessen. Solltest du mich aber noch einmal so ansprechen wie eben, wirst du bald ein vergessenes Blatt unter dem Laub der vergangenen Jahre sein. Ich habe dir stets Respekt entgegen gebracht. Bring auch du mir Respekt entgegen, wenn wir in deinem Land sind. Du darfst mich gerne alles lehren, was ich wissen muss und ich werde geduldig deinen Worten lauschen und alles befolgen, doch nenne mich nie wieder einen Jungen. Ich bin ein Krieger, vergiss das nicht.“

      Hasket fühlte sich, als wäre genau in diesem Augenblick die Sonne untergegangen und die eisige Nachtluft zöge über seinen ungeschützten Nacken. Er konnte nicht anders, er musste sein Gesicht abwenden, denn die glasharten schwarzen Obsidiane in Joels Augenhöhlen machten ihm Angst. Es war Laakon, der die Situation wieder entschärfte, indem er sie aufforderte, ihm zu der Quelle zu folgen.

      Die Quelle lag am Fuße eines schütter mit mageren Pappeln und Birken bewachsenen Hügels und unmittelbar an der Grenze zu Sheehanos Land.

      Direkt neben der Quelle gab es einen kleinen Bruch in der Hügelflanke. Dort war das Erdreich aus unerfindlichen Gründen abgetragen worden und der blanke Fels schaute heraus. Verwitterter grauer Kalkstein, der voller Löcher und Höhlungen war. Manche dieser Löcher und Höhlungen waren so groß, dass man leicht etwas darin verbergen konnte.

      Laakon ging zu einer dieser Höhlungen, nahm einen dürren Ast vom Boden auf und stocherte in die Höhlung hinein und gleich darauf erkannte Joel, wie klug diese Handlung gewesen war. Ein schwarzes Huschen und dann sah er eine gut einen Schritt lange Schlange durch das Gras am Boden davon gleiten.

      „Stecke im Sheenland niemals deine Hand in eine Höhle, denn Löcher und Höhlen sind beliebte Schlupfwinkel für solche Gesellen.“

      „Was war das für eine Schlange? Ist sie giftig?“

      „Eine Hornviper. Sie gehört nicht zu den allergiftigsten Lebewesen des Sheenlands, denn ihr Gift tötet einen Menschen erst im Verlauf eines halben Tages. Es gibt Kreaturen, deren Gift einen Menschen innerhalb von zehn Atemzügen töten kann.“

      Joel nickte Laakon dankbar für diese Erklärung zu, dann beobachtete er, wie der Mann mehrere Säcke und lederne Schläuche aus der Höhlung zog. Er bewegte sich immer noch sehr vorsichtig und förderte neben seinen gesuchten Gegenständen zwei große, schwarze Skorpione zu Tage und ein halbes Dutzend unterschiedlicher Spinnen und von jedem dieser Lebewesen wusste Hasket zu sagen, wie schnell ihr Gift wirkte. Joel schüttelte sich und meinte:

      „Ich verstehe nicht, wie Menschen einem Geistwesen wie Sheehano anhängen können. Wer Lebensräume für solche Kreaturen schafft, sollte von der Erde verbannt werden.“

      „Glaubst du, sie wären schrecklicher als Hyänen und Sheena, als Löwen, Wölfe und eure Jagdleoparden und Kangals? Ich glaube nicht. Sie sind, ich sagte es bereits, nur kleiner und etwas tückischer.“

      Hasket hatte sich wieder gefangen und war in der Lage, in einem ganz natürlichen Ton mit Joel zu sprechen, doch der Schreck auf dessen Reaktion kurz zuvor, saß ihm immer noch tief in den Gliedern. Doch nun öffnete er einen der Säcke, griff hinein und holte eine Handvoll Datteln hervor. Er reichte sie Joel und forderte ihn auf, sie zu versuchen. Er selbst steckte sich ebenfalls eine Dattel in den Mund, zerkaute sie, spuckte ein paar Kerne aus und schluckte den Rest hinunter.

      Die Datteln waren weich und reif und sehr, sehr süß. Das erstaunlichste an ihnen war, dass Joel schon nach dem er die dritte Frucht gegessen hatte, einen sanften Strom Lebenskraft und Energie durch seinen Körper fließen spürte und er begriff, dass diese kleinen Früchte nahrhafter waren, als alles andere, das er je zu sich genommen hatte. Von diesen Datteln würden zwei oder drei Handvoll genügen, um seinen Goldfalben den ganzen Tag mit Kraft und Ausdauer zu versorgen. Er hielt dem Hengst ein paar der Früchte hin und freute sich, dass dieser die Datteln nach anfänglichem Zögern gerne verzehrte und sogar noch nach mehr verlangte. Joel gab ihm eine Handvoll davon, danach war der Hengst zufrieden und rupfte ein wenig an den dürren Wintergräsern am Rand der Quelle. Joel aber staunte. Unter diesen Umständen schien es gar nicht so schwierig zu sein, den Hengst gesund und munter durch das Sheenland zu bringen. Zumindest das Futterproblem war kleiner, als er befürchtet hatte.

      Sie rasteten bis zum Einbruch der Dunkelheit an der Quelle und während dieser Zeit hatte auch der Kangal Gelegenheit, seine zukünftige Nahrungsgrundlage schon mal zu testen. Der riesige Hund hatte einen vorsichtigen Ausflug in den Sand hinaus unternommen und war einer etwa zwei Fuß langen, gelbgrauen Echse begegnet. Die Echse hatte nie zuvor einen Kangal gesehen und so versteckte sie sich nicht vor dem fremden Tier und der Hund betrachtete sie als willkommene Beute. Ein blitzschnelles Zuschnappen, dann hatte er die Echse am Genick gepackt und sie hing leblos in seinem Fang. Der Kangal trug die Echse an den Lagerplatz bei der Quelle und Joel hatte Muße, das fremdartige Tier zu betrachten. Es glich in etwa einer großen Eidechse, nur mit dem Unterschied, dass es auf seinem Rücken einen Kamm besaß, aus dem Stacheln von der Länge eines Fingers hervor ragten.

      „Eine Agame. Man kann sie bedenkenlos essen, nur vor den Stacheln am Rücken sollte man sich in Acht nehmen. Ihr Gift ist nicht direkt gefährlich, doch es hat eine sehr stark ermüdende Wirkung. Ein kleiner Stich mit einem der Stacheln genügt, um einen Menschen zwei Tage ununterbrochen schlafen zu lassen.“

      Haskets Grinsen bei dieser Information hatte geradezu etwas Spitzbübisches an sich, das Laakon gleich darauf erklärte.

      „Wir verwenden das Gift dieser Stacheln, wenn wir – sehr selten – bei den Iboa auf Beutezug gehen. Axilara hat uns gelehrt, wie wir diese Stacheln aus schlanken Blasrohren verschießen können. Wenn du von einem solchen Stachelpfeil getroffen wirst, denkst du zunächst, ein Insekt habe dich gestochen. Doch kaum zwanzig Atemzüge später schläfst du tief und fest und hast die süßesten Träume. An den Stich aber erinnerst du dich nicht mehr, wenn du wieder aufwachst.“

      Joel schüttelte den Kopf. Die Welt Sheehanos schien nicht weniger voller Wunder zu sein, als Kaana. Nur waren die Wunder eben von anderer Art.

      Der Kangal verspeiste die Agame in kürzester Zeit und mit echtem Appetit, doch entweder hatte er – unwahrscheinlich – Laakons Erklärung verstanden oder aber sein Instinkt warnte ihn vor den Stacheln auf dem Rücken des Tiers. Sie blieben mitsamt der zähen Lederhaut, den Krallen und Knochen der Echse vom Festmahl des Hundes übrig. Hasket sammelt die Stacheln vorsichtig ein und verstaute sie in einem Säckchen aus einem schillernden Leder, das Joel schon mehrfach an seinem Gürtel gesehen und bewundert hatte.

      Dann ging die Sonne unter und im nächsten Augenblick begriff Joel, was ihm seine Begleiter hinsichtlich der Nachtkälte im Sheenland erzählt hatten.

      Es war, als würde man kristallenes Eis über einen ausschütten. Der Horizont im Westen glühte noch rot, da rollte die Kälte wie eine gigantische Woge über sie hinweg und es war eine vollkommen andere Art von Kälte, als Joel sie bis dahin erlebt hatte. Er kannte die klirrende Kälte am Fuß des Hiron – Gebirges und die heimtückische, weil kaum spürbare Kälte in den Nächten der Steppe, die ehemals Heimat der siebten Sippe gewesen war.

      Die Kälte des Sheenlands war anders. Wie eine Art eisiger Staub legte sie sich auf die Haut und man hatte das Bedürfnis, sie einfach wegzuwischen, doch das ging leider nicht. Sie haftete an der Haut und nach wenigen Atemzügen begann man zu zittern. Joel ahnte, dass ein nackter oder nur wenig geschützter Mensch unter dieser Kälte in weniger als einer halben Nacht den Tod finden würde.

      Ebenso wie Laakon und Hasket beeilte er sich deshalb, den schweren Ledermantel vom Sattel seines Hengstes zu lösen und ihn überzustreifen und freute sich an dem Gefühl der heimeligen Wärme, die sich sofort unter dem schwarzen Rindleder einstellte.

      Laakon und Hasket aber begannen nun in fliegender Hast ihre Mulis zu satteln und drängten zum Aufbruch. Als sie auf ihren Reittieren saßen und in die klare Nacht hinaus zu reiten begannen, in die schwarzgelbe Welt des