„Du kannst dir nicht vorstellen was mir heute passiert ist“ sagte Frieder Bergmann erschöpft und erstattete dann Bericht.
Petra Bergmann hörte ungläubig zu und schüttelte den Kopf, dann sagte sie:
„Da kannst du nie wieder hingehen, oder erst in ein paar Jahren, wenn Gras über die Sache gewachsen ist. Such` dir doch mal was Unverfängliches.“
Am folgenden Tag informierte die Zeitung im Regionalteil, dass die Schwimmhalle wegen umfangreicher Reparaturarbeiten in Höhe von geschätzten 320.000 Euro voraussichtlich erst in einem halben Jahr wieder öffnen würde.
„Enormer Muskelaufbau schon nach 3 Trainingsrunden“ las Frieder Bergmann interessiert in einer der kostenlosen Wochenpostillen. „Eine besondere Art der sportlichen Freizeitbeschäftigung mit dem Kick des Abenteuers“ hieß es weiter. Bogenschießen schien keine schlechte Sache zu sein, und da er Wert darauf legte seine Armkraft zu verbessern (er wollte sich später unbedingt einmal in einem Kletterpark ausprobieren), ging er zu einer „Schnupperstunde“ in einer ehemaligen Montagehalle hin. Das Gebäude war von außen vollkommen schmucklos, aber in seinem Inneren gab es fünf Schießbahnen, die mittels mannshoher und in größeren Abständen stehenden schmalen Kästen voneinander abgetrennt waren. Die Scheiben waren auf kleinen Wagen mit Elektromotoren befestigt, so dass man sie über Schienen näher heranholen oder weiter weg platzieren konnte. Die dafür erforderliche Verkabelung verlief in gut 3 Meter Höhe und war an von der Decke herab reichenden Montageisen befestigt. Auf dem Boden waren großflächig Sägespäne verstreut, möglicherweise wollte man so noch vorhandene Ölflecke des ehemaligen Industriegebäudes verdecken. Alles wirkte aber ordentlich und sauber und auch der Trainer, der auf Frieder Bergmann zukam, hinterließ einen seriösen Eindruck.
„Schön, dass Sie es einmal ausprobieren wollen“ sagte er zur Begrüßung „das ist ein Sport für richtige Kerle und nicht für solche Weicheier, die in teuren Jogginganzügen durch die Kante schleichen oder n bisschen im Wasser rumpaddeln. Hier braucht man Kraft und Köpfchen. Rohe Gewalt bringt gar nichts, man muss die Gesetze der Physik berücksichtigen und enorme Konzentrationsfähigkeit mitbringen, sonst kann man es gleich lassen. Sie sehen so aus, als ob Sie genau diese Dinge draufhaben. Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?“
„Ich bin Referatsleiter in einer Behörde“ antwortete Frieder Bergmann bescheiden.
„Hab` ich`s doch gewusst“ freute sich der andere „nach den täglichen intellektuellen Anforderungen suchen Sie den Ausgleich in dieser martialischen Tätigkeit, ja, den Phallus in das Ziel rammen, wenn ich mal so sagen darf. Sehen Sie, wenn Sie mit dem Bogen und dem Pfeil hantieren verlängern Sie sozusagen eines Ihrer wichtigen Körperteile (er grinste anzüglich) enorm, Sie transportieren Ihre Sehnsüchte mit dem Schuss und wenn Sie dann noch gut treffen, ist das ein Triumphieren über den Ihnen entgegen tretenden Gegner. Sie haben keine Ahnung, wie das Bogenschießen das Selbstbewusstsein steigert und Aggressionen nimmt.“
Frieder Bergmann versuchte das Gehörte zu verarbeiten, so hatte er den Effekt des Bogenschießens noch nie gesehen. Der Trainer informierte ihn über die Sicherheitsbestimmungen, die kurz gefasst hießen: ja nicht in eine andere Bahn geraten und erst zur Scheibe gehen, wenn das Kommando dazu gegeben wurde. Dann zeigte er Frieder Bergmann, wie er den Bogen spannen konnte, wie man das Ziel anvisiert und wies ihn noch auf eine spezielle Atemtechnik hin. Über eine Fernbedienung ließ er die Scheibe auf 10 Meter herankommen und nickte seinem Schüler zu. Dieser holte tief Luft, spannte den Bogen, legte den Pfeil ein, und konzentrierte sich. Er nahm die Scheibe in den Blick und ließ die Bogensehne los. Der Pfeil begab sich auf einen kurzen Flug, um dann direkt im Zentrum der Scheibe einzuschlagen. Der Trainer sah ihn erstaunt an und bugsierte die Scheibe auf 15 Meter Entfernung. Bergmann schoss erneut und wieder mit dem gleichen Ergebnis. Zufrieden lächelnd legte er nunmehr auf die 20 Meter entfernte Scheibe an und traf wiederum genau in die Mitte. Die maximale Entfernung betrug 40 Meter und der Trainer fuhr die Scheibe jetzt dorthin.
„Das hat noch keiner beim ersten Training geschafft“ sagte er trocken „wenn Ihnen das gelingt haben Sie die nächste Übungsstunde auch noch gratis.“
Frieder Bergmann war jetzt ganz im Jagdfieber und gab bei diesem Schuss alles. Der Pfeil surrte davon und auf die Entfernung war nicht genau zu erkennen, wo er die Scheibe getroffen hatte. Der Trainer ließ den Wagen heranrollen und vor Verwunderung stand ihm der Mund offen, als er das Ergebnis erkennen konnte. Auch dieser Pfeil steckte perfekt in der Mitte der Scheibe. Vier Pfeile drängten sich auf einer Fläche von zirka 3 Zentimetern, ein überzeugendes Trefferbild.
„Unglaublich“ sagte der Mann beeindruckt „Sie sind ein Naturtalent. In Ihrer Person mischen sich tatsächlich hervorragende intellektuelle Fähigkeiten, Kraft und Geschick. Ich vermute mal, dass Sie in der Schule und im Studium immer zu den Besten in Physik gezählt haben, anders kann ich mir diese sensationelle Leistung nicht erklären.“
„Nun ja, ich war nicht ganz schlecht darin“ erwiderte Frieder Bergmann scheinbar bescheiden, er konnte dem Mann ja kaum erklären, dass er gerade in diesem Fach immer nur Bahnhof verstanden hatte und gerade so mit einer schlechten vier durchgekommen war.
„Bis nächste Woche Mittwoch wieder“ verabschiedete er sich und erzählte Petra euphorisch von seinen Erfolgen.
Der Arbeitstag war für ihn nicht so gut gelaufen. Der Amtsleiter erwischte ihn dabei, als er gerade Ausrüstungsgegenstände für das Bogenschießen googelte und nahm ihn ordentlich Maß. Dann musste er noch zur Kenntnis nehmen, dass sich zwei seiner Mitarbeiterinnen gleichzeitig (natürlich zu verschiedenen Zeiten, eine gleich früh, die andere nach dem Mittag) bei ihm als schwanger meldeten. Bergmann wusste, dass er diese Lücken nicht ohne weiteres stopfen konnte und ahnte, dass ein Großteil der Arbeit wieder bei ihm hängen bleiben würde. Mit diesen trüben Gedanken im Hinterkopf traf er in der Schießbahn ein. Der Trainer war gerade dabei, zwei kichernden jungen Frauen die Handhabung des Bogens zu erklären. Beide sahen recht gut aus, so dass Frieder Bergmann verstohlen zu ihnen hin schielte und insgesamt nicht so richtig bei der Sache war. Dennoch wollte er sie mit seinen Schießkünsten beeindrucken und warf sich in Pose, um dann den ersten Pfeil von der Sehne schnellen zu lassen. Die Frauen und der Trainer beobachteten ihn gespannt, und als das Geschoss zitternd in der Scheibe steckte sahen sie, dass es im Zentrum gelandet war. Bergmann entspannte sich jetzt spürbar und war sich sicher, dass das Training ihn wieder auf die Beine bringen würde. Auch auf 15 Meter traf er perfekt, bei 20 Metern gelang ihm das Kunststück, dass der Pfeil auf einen bereits in der Scheibe steckenden fuhr und diesen aufspaltete. Mittlerweile drängten sich die Besucher der Schießbahn in seinem Rücken und verfolgten seine Tätigkeit, leises Raunen war zu hören, wenn Bergmann wieder einen Pfeil perfekt in die Zielscheibe gejagt hatte. Der Trainer war nun nicht mehr gewillt, sich die Show von Frieder Bergmann stehlen zu lassen, und verkündete nach dessen letztem Schuss, dass er nun etwas besonders Spektakuläres demonstrieren würde.
„Haben Sie schon einmal einen Film gesehen, in dem ein Bogenschütze zwei Pfeile gleichzeitig abschießt und auch noch trifft“ fragte er in die Runde.
„Ja“ meldete sich ein Mann „alles nur Trickserei, das kann niemand. Und mit der Digitaltechnik ist das doch überhaupt kein Problem mehr, das vorzutäuschen.“
„So“ sagte der Trainer lauernd „Sie halten das also für unmöglich?“
„Genau.“
„Dann werde ich Ihnen jetzt das Gegenteil beweisen!“
Der Trainer griff sich einen Bogen, legte zwei Pfeile auf die Sehne und spannte