Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ….. Band 2. Jörn Kolder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörn Kolder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844271072
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wurde ihm schmerzhaft bewusst, wie wenig Deckung er hier finden würde. Auf der anderen Seite musste er die Tür im Blick behalten, um Rüdiger abzupassen. So schlich er in die Umzäunung der Mülltonnen und hinter einer verborgen hatte er Sicht auf das Haus. Nach einer halben Stunde fragte er sich immer wütender wo sich sein Sohn rum trieb, aber dieser Gedanke verflog sofort wieder, denn jetzt öffnete sich die Haustür und Schulze, sein Nachbar, ein Rentner, erschien mit einem Mülleimer auf der Bildfläche. Der Mann war nicht unfreundlich aber extrem pingelig und Frieder Bergmann war schon das eine und andere Mal mit ihm aneinander geraten als es darum ging, welcher Müll denn nun in welche Tonne gehöre. Schulze hatte ihn einmal kurzerhand verdächtig, einen alten Reifen in den Behälter geworfen zu haben, was Bergmann nie im Leben tun würde. Allerdings lag der Schluss des anderen Mannes nicht außerhalb des Möglichen, denn es handelte sich um den Reifen eines kleinen Lastenanhängers, wie Bergmann einen besaß. Jedenfalls kam es zu einem erregten Disput und sobald einer aus der Bergmannschen Familie etwas in die Tonnen warf war Schulze von diesem Tag an wenige Augenblicke später vor Ort, um den Einwurf zu kontrollieren. Schulze hier und in diesem Aufzug zu begegnen war deshalb überhaupt keine Option für Bergmann, und so wuchtete er, noch außerhalb der Blickweite des Rentners befindlich, den Deckel des Wertstoffcontainers hoch und war mit einem eleganten Satz darin verschwunden. Den Deckel zog er von innen zu. Für den Fall der Fälle vergrub er sich noch unter den darin befindlichen Abfällen, das viele Styropor und etliche Plastikflaschen tarnten ihn gut und es fühlte sich alles in allen auch nicht sonderlich unbequem an. Dermaßen versteckt kam Frieder Bergmann nun in den Genuss eines Dialoges, den Schulze mit einem anderen Hausbewohner führte.

      „Ich sage Ihnen, die Bergmanns sind nicht in der Lage, den Müll ordentlich zu trennen. Dass sie dazu zu blöd sind würde ich nicht behaupten, schließlich arbeitet der Mann ja in einer Behörde und seine Frau ist Ärztin. Sie wird ja wohl ordentlich zu tun haben, man hört doch schon einiges über die Arbeitsbelastung in den Krankenhäusern. Dass er aber ein Held der Arbeit ist, wage ich zu bezweifeln. Sehen Sie mal, der geht so 8 Uhr 30 außer Haus und ist 17 Uhr 30 wieder da, jedenfalls meistens. In dieser Zeit wird er wohl kaum die Welt einreißen, hier mal ein Papierchen vollschreiben, da einen scheinbar dienstlichen Schwatz tun, dann in aller Ruhe Beamtenschlaf halten, was denken Sie?“

      „Das kann ich schlecht einschätzen“ ertönte eine andere Stimme (es war die von Frau Paul aus dem Erdgeschoss) „also ich halte Herrn Bergmann und seine Familie für sehr angenehme Nachbarn.“

      „Die nicht einmal den Müll ordentlich trennen können“ erregte sich Schulze „ich sage Ihnen, die sind so arrogant, dass sie es absichtlich unterlassen. Dabei frage ich mich, wo sie die Berechtigung dafür hernehmen. Bloß weil die studiert haben sind sie nicht besser als Sie und ich. Wissen Sie wie mich das auf die Palme bringt, wenn das immer wieder passiert, dann geht mein Blutdruck ruck zuck in die Höhe.“

      Schulze war schon wieder so geladen, dass er den Container verwechselte und seinen Eimer mit dem Biomüll in den Wertstoffcontainer entleerte. Da er den Blick wegen der schon stinkenden Abfälle abwandte und den Deckel schnell wieder schloss sah er Frieder Bergmann auch nicht. Dieser spürte, wie Eierschalen, Essenreste und andere Abfälle durch seine Sichttarnung rieselten und seinen Körper an etlichen Stellen und das Gesicht großflächig besprenkelten. Manches fühlte sich warm an, alles aber irgendwie schleimig. Schulze entfernte sich weiter auf Frau Paul einredend und Frieder Bergmann wagte jetzt, den Deckel des Containers einen Spalt weit zu öffnen. Die beiden verschwanden im Haus und Bergmann überdachte seine weitere Vorgehensweise. Da er jetzt auch noch mit Abfallresten überzogen war schied ganz klar aus, sich zu zeigen. Was auch immer geschah, er musste auf Rüdiger warten. Dieser tauchte nach einer Frieder Bergmann unendlich lang erscheinenden Zeit auf und zuckte erschrocken zusammen, als ihm ein Mann mit einem offensichtlich bereits durch eine tödliche Krankheit - denn seine Haut war überall grün und gelb gefärbt - in Auflösung befindlichem Gesicht mit harscher Stimme befahl, sofort die Tür zu öffnen. Von dem Kranken ging ein durchdringender Geruch aus, irgendeine Mischung aus Verwesung und Abfall.

      „Mach` jetzt endlich hin“ herrschte ihn der Typ an, da erkannte Rüdiger Bergmann seinen Vater an der Stimme.

      Als die Tür offen war riss ihm Frieder Bergmann den Schlüssel aus der Hand und stürmte nach oben, mit flatternden Händen bekam er die Tür auf und hetzte in die Wohnung, Rüdiger konnte ihm kaum folgen. Sein Vater war schon im Bad verschwunden und kurz darauf war das Geräusch der Dusche zu hören. Nach einer Weile erschien Frieder Bergmann mit einem um die Hüften geschlungenem Handtuch und steuerte die Küche an. Rüdiger hörte die Kühlschranktür klappen, dann wurde eine Bierflasche geöffnet und nach einem Moment ertönte ein erleichtertes Stöhnen.

      „Was ist denn passiert Papa“ fragte er seinen Erzeuger.

      „Im Stadtpark haben zwei Typen einen Hund auf mich gehetzt und mich gezwungen, meine Klamotten rauszurücken. Und in denen ist mein Schlüssel drin. Verdammter Mist, weißt du, was das bedeutet?“

      „Klar, wenn die irgendwie rauskriegen wo du wohnst können die in Ruhe hier einsteigen und uns die Bude ausräumen.“

      „Genau, ich rufe jetzt gleich den Schlüsseldienst an, wir brauchen neue Schlösser.“

      Mit einem schiefen Grinsen zahlte Frieder Bergmann wenig später exakt 327,56 Euro für den Austausch des Schlosses und den Erhalt von vier Schlüsseln. Er berichtete Petra von dem Vorfall und legte seine Joggingrunden vorerst auf Eis. Am nächsten Tag las er in der Zeitung, dass ein Straßenflitzer einen schweren Auffahrunfall verursacht hatte in den sieben Fahrzeuge verwickelt worden waren, der Sachschaden betrug fast 45.000 Euro.

      Dennoch war er gewillt sein Ertüchtigungsprogramm weiter fortzusetzen, eben bloß nicht mehr im Stadtpark. Er hörte sich ein bisschen um und nahm zur Kenntnis, dass das Hallenbad am Dienstag und Donnerstag ab 17 Uhr freies Schwimmen im Programm hatte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde es dort gesitteter zugehen und er vor Belästigungen sicher sein. Also packte er eine kleine Tasche mit seiner roten, eng anliegenden Badehose, einem Handtuch, Duschbad und Badelatschen und betrat das Gebäude durchaus erwartungsvoll. Das Foyer war ansprechend gestaltet und er kaufte sich optimistisch eine Nutzungszeit von 2 Stunden, das dürfte heute fürs erste reichen. Der gute Eindruck wurde leider auf dem Weg zu den Umkleidekabinen deutlich beeinträchtigt, denn das Gebäude hatte schon gut 3 Jahrzehnte auf dem Fundament und augenscheinlich war seit Jahren nichts mehr zu seinem Erhalt getan worden, es war in kommunalem Besitz. Frieder Bergmann ließ sich davon nicht von seiner leicht euphorischen Stimmung abbringen, er sah sich schon eine Bahn nach der anderen durch das Wasser ziehen. Vorerst war er aber dabei, den Verschlussmechanismus des Garderobenschrankes zu ergründen. Man hatte ihm ohne eine Erklärung einen kleinen Plastikchip in die Hand gedrückt und jetzt fragte er sich, was er damit anfangen sollte. Irgendwie musste er ihn in einen innen an der Tür angebrachten Schlitz einwerfen und dann würde er weitersehen. Schon in Badekleidung fummelte der Mann an dem Verschlussmechanismus herum und schließlich gelang es ihm, den Schlüssel, der an einem Band hing, zu drehen und den Schrank so zu sichern. Das Band schlang er um sein Handgelenk, da es aber anfangs zu straff saß, lockerte er es wieder etwas. Voller Tatendrang betrat er die Schwimmhalle und registrierte erfreut, dass sich nur wenige Leute in dem Becken befanden. Vorsichtig betrat er die Stufen zum Becken und erschauderte, das Wasser war für seine Begriffe eiskalt. Zwei jüngere Schwimmerinnen sahen ihn spöttisch an und so überwand er sich und tauchte ein. Durch die Temperatur schockiert gerieten seine ersten Schwimmbewegungen recht unbeholfen und er kam kaum voran. Schon nach der ersten Bahn musste er kräftig Luft pumpen, nach der vierten hatte er den Anflug eines Krampfes im Bein zu bekämpfen und nach der siebenten beschloss er, eine Pause einzulegen. Da eine Bahn 25 Meter lang war, waren das bis jetzt 175 Meter, er hatte sich mindestens einen Kilometer vorgenommen. Das Becken füllte sich und die Schwimmer sahen ihn verärgert an, denn er klammerte sich an eine Stange unterhalb des Startblocks und behinderte damit deren Wendemanöver. Also schob er sich wieder in die Bahn hinein und musste feststellen, dass der Andrang jetzt erheblich war und er von allen Schwimmern gnadenlos überholt wurde. Auch als er hektischer mit den Armen und Beinen ruderte erhöhte sich sein Tempo nicht, das führte aber dazu, dass er schon nach der elften Runde wieder pausieren musste. Er tat so, als ob er einen Wadenkrampf hätte, das konnte ja schließlich jedem einmal passieren.