„Jetzt mal langsam Alter“ blaffte ihn der Pickelige an „wie kommst du dazu, unseren Hund zu schlagen?“
„Er hat mich angegriffen“ keuchte Frieder Bergmann noch ohne Puste „Sie sollten das Tier besser an der Leine führen“ schlug er vor.
„Was wir machen geht nur uns alleine was an Opa“ erwiderte der andere „und dass du Franz Ferdinand geprügelt hast ist doch der Gipfel. Jetzt werden wir mit ihm zum Tierarzt gehen müssen und das kostest `n Haufen Kohle. 50 Euro und die Sache ist vergessen.“
„Wie Sie vielleicht festgestellt haben bin ich in Sportbekleidung unterwegs und habe demzufolge kein Geld dabei. Außerdem denke ich nicht daran Ihnen Geld zu geben, die Schuld an dem Vorfall liegt eindeutig bei Ihnen als Halter des Hundes“ argumentierte Frieder Bergmann.
„Hör` mal zu Vati“ wurde der andere jetzt lauter „wenn du weiter so rumzickst gibt es eine Abreibung, die du so schnell nicht wieder vergessen wirst.“
Frieder Bergmann versuchte einen Ausweg aus dieser äußerst unangenehmen Situation zu finden, und stellte nach einer kurzen Analyse fest, dass seine Chancen nicht so gut standen. Sich mit den beiden Typen und dem Hund anzulegen hielt er für aussichtslos, er würde mächtige Prügel beziehen und wenn sich der Hund noch in die Auseinandersetzung einmischte wäre er wohl vollends unterlegen. Er musste seine Widersacher mit einem Trick dazu bewegen, zunächst friedfertig zu bleiben, und selbst aus dem verdammten Stadtpark heraus zu kommen.
„Na gut“ gab er scheinbar kleinlaut zu „Sie bekommen das Geld. Dazu muss ich aber erst nach Hause gehen.“
„Und wir warten hier auf dich und du kommst wieder brav zurück“ höhnte der andere „für wie blöd hältst du uns eigentlich. Zieh‘ deinen Jogginganzug und die Schuhe aus, dann kannst du abhauen.“
Der Hund unterstrich diese Aussage mit einem giftigen Knurren und schlich in einem noch respektvollen Abstand um Frieder Bergmann herum. Dieser sah sich jetzt an drei Fronten bedrängt, denn die beiden Typen kamen zudem noch aus unterschiedlichen Richtungen auf ihn zu. Mehr der Form halber schwang er den Knüppel, was die Typen mit einem meckernden Lachen quittierten. In diesem Moment beschloss Frieder Bergmann das zu tun was sie ihm vorschrieben, denn man sah, hörte und las genug über dumpfe und brutale Gewalt, das wollte er für seinen Teil unbedingt vermeiden und an dieser abgelegenen Stelle im Stadtpark war Hilfe sehr unwahrscheinlich. Schnell schlüpfte er vor den Augen der feixenden Kerle aus Jogginganzug und Laufschuhen, und als sie ihm mit wegscheuchenden Handbewegungen bedeuteten, dass er verschwinden könne, lief er nur mit Unterwäsche und Socken bekleidet sofort und schnell los, denn sie machten sich noch den Spaß, Franz Ferdinand auf ihn zu hetzen, um ihn aber bald wieder zurückzupfeifen.
Ein neues Problem tat sich vor Frieder Bergmann auf. Der Stadtpark war von Kanälen umgeben und um diesen verlassen zu können, musste er zwangsläufig eine der vielen Brücken überqueren. Gerade an diesen Stellen hatten sich schon vor über hundert Jahren die ersten Gaststätten angesiedelt und die dazu gehörigen Biergärten waren aufgrund des schönen Wetters heute bis auf den letzten Platz besetzt. Bergmann drückte sich vorsichtig vorwärtsschleichend hinter den Bäumen herum und sondierte auf diese Weise mehrere Stellen, aber das Bild war überall das Gleiche. Menschen über Menschen, die aßen und tranken, oder über die Brücken zur Insel hin und zurück paradierten. Frieder Bergmann war in seiner Dienstgarderobe - er trug täglich einen Anzug - eigentlich immer an einem seriösen Auftritt interessiert und so bevorzugte er gedeckte Farben. Im Gegensatz dazu hatte er die Eigenart, sehr farbenfrohe Unterwäsche zu tragen und wollte damit seiner noch einigermaßen jugendlichen Erscheinung Rechnung tragen, Feinrippunterwäsche lehnte er strikt ab. Insgeheim betrachtete er diesen Kleidungsstil als Aufbegehren gegen das Establishment (obwohl er es ja selbst mit verkörperte), denn irgendwie war bei ihm immer die Sehnsucht hängengeblieben, aus dem Hamsterrad der beruflichen und sozialen Karriere auszubrechen. Da er das nicht konnte und auch nicht richtig wollte protestierte er eben mit seinem Schlüpfer dagegen, eine geheime Revolte im Untergrund also. Heute trug er eine schwarz gelb längsgestreifte Unterhose, denn im Herzen war er Dynamo Dresden Fan, auf dem Hinterteil des Kleidungsstückes war das Vereinslogo aufgedruckt. Sein Unterhemd war analog gestaltet und in seiner Verwirrung dachte er nicht daran, dass er noch ein Basecap trug, welches ebenfalls in diesem Muster gehalten war, so dass Frieder Bergmann jetzt einer überdimensionalen Hummel ähnelte. Er hätte viel darum gegeben, wenn er wie dieses Insekt in der Lage wäre, sich in die Luft zu erheben und so ganz einfach zu seiner Wohnung fliegen könnte. Da er aber aus vielerlei Gründen dazu eben nicht in der Lage war musste er den Weg zu seiner Behausung eben zu Fuß zurücklegen. Mithilfe seines analytischen Verstandes hatte der Mann seine Handlungsalternativen aufbereitet und kam auf drei.
Erstens: er überwand die Distanz zu seiner Wohnung, also ungefähr 800 Meter, im Dauerlauf. Diese Strecke würde aber immer wieder durch vielbefahrene Straßen unterbrochen werden an denen er zwangsläufig pausieren musste.
Zweitens: er gab sich lässig und schlenderte wie ein Freak durch die Straßen, zog das Basecap ins Gesicht und scherte sich nicht um die Blicke der Leute. Schließlich gab es ja sogar Typen, die splitternackt wandern gingen.
Drittens: er suchte sich eine Stelle an einem der Kanäle und durchwatete diesen und käme so möglicherweise relativ unbehelligt am größten Trubel vorbei.
Die Sache mit dem Kanal verwarf er schnell wieder, sie brachte eigentlich gar nichts. Auch war er von seinem vorherigen Training etwas ermattet und glaubte kaum, die 800 Meter in einem anspruchsvollen Tempo durchzustehen. Also holte er tief Atem, drückte seine Kopfbedeckung weit nach unten, trat hinter den Bäumen hervor und marschierte auf die Brücke zu. Anfangs konnte er recht ungefährdet in der Menschenmenge untertauchen aber nur solange, bis die ersten Kinder bei seinem Anblick aufschrien. Das waren keine ängstlichen Lautäußerungen, eher klangen sie begeistert. Im Nu war Frieder Bergmann von einer Traube von Zwergen umringt, die wild durcheinander plappernd von ihm wissen wollten, was er denn für ein komischer Onkel wäre. Jetzt war genau das eingetreten was Bergmann tunlichst vermeiden wollte: er stand im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. In dieser Stimmungslage tat er aus Verzweiflung genau das Falsche, denn er brüllte die Kinder an, dass sie verschwinden sollten. Erstes Heulen wurde laut und die besorgten Eltern näherten sich jetzt dem Ort an dem Bergmann sich aufhielt. Dieser war nun vollkommen durcheinander und bahnte sich ohne Rücksicht auf Verluste einen Weg durch die Menschen. Empörte Worte wurden laut und Frieder Bergmann verfiel jetzt in Trab, um diesen Ort schnell hinter sich lassen zu können. Bis zur ersten Ampelkreuzung ging alles ganz gut, dann musste er neben anderen Passanten warten. Verwunderte Blicke trafen ihn, manche schienen von seinem Anblick amüsiert zu sein, andere eher angewidert. Bei grün sprintete er los und kam ganz gut bis zur nächsten Ampel (die ebenfalls rot zeigte), jetzt musste er noch knapp 200 Meter schaffen und er entspannte sich etwas. Unsicher musterte er seine Umgebung und als er auf der anderen Straßenseite den Amtsleiter erkannte, der wohl auf dem Weg in einen der Biergärten war, brannten bei ihm alle Sicherungen durch. Ohne auf die Ampelfreigabe zu warten startete er mit gesenktem Kopf und dem Mut der Verzweiflung los und schlängelte sich zwischen den wild hupenden Autos durch, ohne Kollision kam er auf der anderen Seite an, aber die Autofahrer waren durch den hektisch durch die Lücken flutschenden und an eine Hummel erinnernden Mann dermaßen irritiert, dass zunächst vier Fahrzeuge ineinander krachten. Frieder Bergmann wurde durch diesen Vorfall angespornt jetzt höchstes Tempo vorzulegen und er konnte von Glück sagen, dass sich die Leute an der Kreuzung mehr für die verkeilten Autos interessierten, als für den Verursacher dieses Debakels. So kam er relativ unbehelligt (außer von verwunderten Blicken verfolgt) bis zur Haustür seines Hauses und realisierte in diesem Moment, dass sich sein Wohnungsschlüssel in der Gesäßtasche der Jogginghose befand. Hektisch drückte er die Klingel, aber niemand ging an die Sprechanlage. Seine Frau Petra war zum Nachtdienst im Krankenhaus, das wusste er. Claudia hatte sich mit Niels in Kino abgemeldet, aber sein Sohn