Draußen stand Stalca immer noch und der Stapel der Holzscheite wuchs und wuchs und um ihn herum wurde es bereits dämmrig, ohne dass er davon etwas bemerkte, denn er war noch immer tief in seinen Gedanken und hieb mit der Axt, ohne dass ihm dies bewusst war. Noch immer war er zu keinem Entschluss gekommen, doch dass brauchte er bereits nicht mehr, auch wenn er es noch nicht wusste.
"Danke, für deine Arbeit.", hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich und er hielt inne. "Allein wäre ich nie so schnell so weit gekommen, doch ich denke, in diesem Zustand werde ich mit meinem Haus den Winter überstehen. Dieser kann hart werden in manchen Zeiten."
Es herrschte Stille zwischen ihnen, denn Stalca wusste nicht ob oder was er erwidern sollte und der Meister schien mit seinen Gedanken ganz woanders hin gewandert zu sein. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er endlich wieder ein Wort hervorbrachte. In der Zwischenzeit stand er neben Stalca und betrachtete den Sonnenuntergang, der hinter den nächsten Baumwipfeln verschwand.
"Ich weiß, wohin es dich zieht.", meinte er dann. "Zurück."
Stalca sah den Meister eine Weile an und überlegte, ob nun der richtige Zeitpunkt gekommen war. "Ja.", bestätigte er dann. Eine Weile hielt er sich zurück, doch dann musste er die Frage stellen, die ihm schon seit längerem auf dem Herzen lag. "Was ist dort geschehen?"
"Das weißt du wohl ebenso gut wie ich.", antwortete Peroth. "Immerhin warst du im Gegensatz zu mir dort."
"Aber..." Stalca unterbrach sich sofort, wusste nicht genau, wie er am Geschicktesten ausdrückte, was ihn störte.
"Aber?", hakte Peroth nach. "Du willst sagen, es sind nur Geschichten?"
"Nicht direkt. Was ich meine ist, dass es schwer vorstellbar ist, dass Dämonen oder Götter -- na ja, dass sie auf einmal hier herumlaufen sollen." Er sah den Meister nicht an, während er versuchte eine Erklärung zu basteln, und so entging ihm, wie sich das Gesicht Peroths in kurzer Verzweiflung verzog.
"In den letzten Jahrhunderten verlor sich bedauerlicher Weise die Erinnerung und der Glaube. Die Meisten wissen zumindest, wie Justakas Herrschaft gestürzt wurde, doch ihnen ist kaum noch bekannt durch wessen Hand. Die Gesh'Nekats war es, der letzte von den Elfen bestimmte König über dieses Land. Dies ist fast zwei Jahrtausende her und irgendwann schlich sich der Gedanke ein, wenn man einfach alles vergessen würde, so würde sich Justakas damals prophezeite Auferstehung nicht erfüllen. Ein törichter Irrtum." Peroth seufzte niedergeschlagen.
"Ich muss zurück.", versuchte Stalca das Thema zu wechseln, als ihm der Meister wieder abhanden zu gehen drohte.
"Du wirst zurückgehen, habe ich das noch nicht gesagt?", erwiderte Peroth. "Wo war ich nur mit meinen Gedanken. Aber vorher werden wir noch andere Dinge zu erledigen haben."
"Wir?", vergewisserte sich Stalca.
"Natürlich. Oder hast du vor allein zu gehen?"
"Wieso sollte ich mit Euch kommen. Ich kenne Euch nicht einmal wirklich." Stalca sah den alten Mann vor sich eine Weile misstrauisch an.
"Ich dich auch nicht.", erinnerte ihn Peroth. "Aber ich könnte Gesellschaft und ab und zu etwas Hilfe gebrauchen. Mach dir keine Sorgen. In gewissen Dingen verfolgen wir die gleichen Ziele. Nur ist die Zeit noch nicht dafür gekommen. Du wirst dich daran gewöhnen müssen, abzuwarten bis die Zeit gekommen ist."
ZWISCHENSPIEL
Die Sonne ging unter. Der Himmel musste bereits in allen Farben leuchten. Rot, Gelb, helles Blau, vielleicht auch ein wenig Rosa. Es war schon lange her, sehr lange her, seit Sayonara das letzte Mal diesen Anblick genießen konnte. So blieb ihr nichts Anderes weiter als die Vorstellung und die Erinnerung. Ein Buch lag aufgeschlagen vor ihr. Die Schrift fein säuberlich mit einem Pinsel geschrieben. Wort für Wort, wie ein kunstvolles Gemälde. Jeden Abend las sie diese Zeilen immer und immer wieder und jedes Mal zerriss ihr Herz fast vor Sehnsucht nach dem Leben außerhalb dieser Mauern. Sie wünschte sich frei zu sein. Über die Felder zu laufen, mit ausgebreiteten Armen das Sonnenlicht zu empfangen, die Wärme auf der Haut zu spüren, das Gras durch ihre Zehen gleiten zu lassen. Davon träumte sie jeden Tag, jede Nacht und jede Minute. Sie beneidete die Menschen in ihren Städten um ihr erfülltes Leben, doch sie gab ihre Hoffnung nicht auf, dass bald alles gut werden würde und dass sie bald wieder die Sterne sehen und Wind und Regen spüren würde, denn das gab es hier alles nicht. Keine Sonne, keinen Regen und keinen Wind. Und erst recht nicht das Funkeln und Glitzern der Sterne. Hier gab es nur ein gespenstisches, gelbliches Licht vermischt mit dem türkisfarbenen Leuchten des Flusses.
Der Fluss, ihre Lebensquelle. Sie hörte sein Rauschen, wie er sich dicht neben ihrer Festung in die Tiefe stürzte. Kloster und Schutzburg zugleich, ihre Heimat. Auf der einen Seite, die vieler Krieger. Auf der anderen, die derjenigen, die versuchten zu retten, was zu retten ist. Gelehrte Yesúws. Sie hüteten ein Geheimnis. Einen Ort an dem die letzten Rätsel verborgen waren und die letzten Fragen beantwortet werden konnten, doch sie war nicht glücklich darüber. Jeden Tag lebte sie mit einer Angst, die sie weder verstehen konnte noch wusste sie, welchen Ursprung diese nahm. Die Angst war einfach in ihr und manchmal, wenn sie lange allein war, nahm diese Angst überhand und überwältigte sie. Brachte ihre Gefühle durcheinander und ließ ihr Herz weinen. Auch jetzt war es wieder so weit. Ihre Hände klammerten sich um das Fenstersims, aus Angst den inneren Halt zu verlieren. Über ihre zarten Wangen rollte eine Träne und ihr langes, dunkles Haar fiel ihr ins Gesicht.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Leise, verstohlen. Ihr Herz machte einen Sprung, Hoffnung keimte auf. Sie drehte sich herum. "Ja?"
Sofort öffnete sich die schwere Eichentür. Eine der wenigen Türen in diesem Gemäuer. Die meisten Räume waren bloß mit Stoffen behangen, die nur die Sicht begrenzten. Es herrschte kaum Privatsphäre in Yesúw. Dieses Wort war seinen Bewohnern fremd. Nur wichtige Orte, wie dieser, waren mit verschließbaren Türen versehen. Durch sie hindurch kam ein Mann. Er trug einen weiten, geöffneten, schwarzen Mantel, darunter ein helles Leinenhemd und feine Hosen mit schweren Stiefeln. Seine blonden Haare hatte er sich zu einem Zopf zusammengebunden. Nur ein paar Strähnen fielen heraus. Er brachte das Sonnenlicht des freien Landes mit sich und erfüllte mit ihm dieses Zimmer.
Sayonara vergaß für einen Moment ihre Panik, Freude durchflutete ihren Körper. Sie ging auf ihn zu und er kam und legte seine Arme um sie. Dies waren kurze Momente in denen sie sich in Sicherheit fühlte und es durfte keiner erfahren, denn Xejohl, der Herrscher Yesúws, würde es nicht zulassen einem König der Menschen Einlass in sein Reich zu gewähren. Der Gedanke daran ließ sie wieder traurig werden. Tränen kämpften sich erneut ihren Weg frei.
"Was ist los?", flüsterte er in ihr Ohr und strich über ihr Haar.
"Er war wieder hier. Rugar.", antwortete sie. Er war der Einzige, dem sie alles erzählen konnte, dem sie ihr Herz ausschütten konnte, bevor es unter der Last zerplatzte. Eine innere Stimme sprach ihr Warnungen zu, doch sie wollte nicht hören. Sie verdrängte diese einfach. "Ich mag es nicht, wenn er hier ist. Es ist schon länger her, aber ich habe einfach Angst, verstehst du? Und wenn er weg ist, habe ich Angst vor seinem nächsten Wiederkommen."
"Ich denke, er spricht mit Xejohl." Er sprach mit sanfter Stimme. Versuchte sie zu beruhigen. "Was wollte er denn von dir?"
Sie gingen zum Fenster, sahen auf den Fluss. Sie spürte seine Nähe und begann sich langsam wieder zu entspannen. Oft wollte sie einfach nur die Flucht ergreifen. Vor Allem davonlaufen. Einfach so. Doch sie wusste, dass es nicht ging.
"Sie haben sich furchtbar gestritten." Sayonara beugte sich ein wenig aus dem Fenster, um den Fluss die Klippen hinabstürzen zu sehen. Sie wünschte sich, ihre Sorgen und Probleme würden in den schäumenden Wellen mit untergehen.
"Ich weiß nicht wieso, aber sie legen Wert darauf nicht