Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
Скачать книгу
war gekommen und war dabei das begonnene Werk zu beenden. Der Himmel wurde immer dunkler und blutrote Blitze schossen zur Erde. Bei jedem Beben verschwand ein Haus aus der Stadt. Es wurde keine Rücksicht darauf genommen, dass ein Mann und eine Frau verzweifelt dabei waren zu ihren Pferden zu kommen, um auf dem schnellsten Weg von hier zu verschwinden.

      Es gelang ihnen das Tor zu erreichen und zu öffnen. "Das kann nicht sein." Rawnes warf noch einen letzten Blick auf die zunehmende Anzahl von Ruinen, die aus dem aufgewirbelten Trümmerstaub hervorkamen. "Es ist einfach nicht möglich."

      "Es ist ganz egal ob möglich oder nicht.", antwortete ihr Rugar. "Es passiert gerade und wir sollten zusehen, schnell von hier wegzukommen."

      Sie eilten durch das Tor, einen kleinen Abhang hinunter, um dann einem ausgetretenen Pfad um die Stadt herum zu folgen. Steine lösten sich während der Beben und rollten unter ihnen hinweg, so dass sie Mühe hatten das Gleichgewicht zu halten. Sie brauchten nicht lange zu laufen und schon hörten sie das aufgeregte Wiehern der Pferde, die versuchten sich loszureißen und das Weite zu suchen. Doch sie waren rechtzeitig bei ihnen, konnten sie einigermaßen beruhigen und aufsitzen. Kaum waren sie oben, drückten sie die Schenkel an und rasten über das leicht abfallende Land hinweg, ohne die Pferde großartig dazu überreden zu müssen.

      Hell erleuchtet lag Midnight Town im Schoß des Tales. Fast völlig unberührt von den Geschehnissen der Welt. Nur ab und zu kam ein Fremder des Weges, um in der alten Stadt, die schon zu Anbeginn dieser Zeit steht, Rat zu suchen. Denn hier leben die weisesten Gelehrte dieser Welt. Mit Ausnahme von den Bewohnern Yesúws, die ein ebensolches Wissen besitzen, doch die Verborgene Stadt zu finden, sofern man überhaupt von ihr wusste, ist fast unmöglich. Sie war eine Legende. Eine verloren gegangene Legende allerdings und dies war es, was ihr Schutz gab. Midnight Town war bekannt und so musste sie sich auf eine andere Art von Schutz verlassen. Einst von den Elfen gebaut, besaß dieser Ort andere, magische Fähigkeiten. Sollte ein Wanderer unerwünscht des Weges kommen, wäre er nicht fähig die zahlreichen Häuser und Türmchen zu bewundern, denn sein Auge würde abgelenkt werden, selbst wenn er sich völlig sicher war, sie hier finden zu müssen.

      Midnight Town war die größte Stadt des ehemaligen Dreierbundes. Als die Elfen noch selbst Ansprüche auf Zahur legten und versuchten in Frieden neben den Menschen zu leben, gründeten sie drei Städte, die in einem Dreieck zueinander auf kleiner, überschaubarer Fläche lagen. Sunspring und Silver Rain wurden die anderen genannt, doch die letztgenannte existierte bereits nicht mehr. Sie wurde zu Zeiten von Justakas absoluter Herrschaft durch Dämonen zerstört und niemand legte mehr Wert darauf, auf dem blutbefleckten Boden die Stadt erneut zu errichten. So zerfiel der Bund und die Elfen verließen diesen Flecken Land, als die Menschen immer besitzansprechender wurden.

      Dies war ein großer Verlust, denn Silver Rain beherbergte nicht nur die größte Magierschule der Welt, sondern auch eine riesige Bibliothek mit dem gesamten Wissen der alten Zauberer über die Geschichte der Welt. Ein unvorstellbarer Schatz war es, der verloren ging. Nicht von materiellem Wert, doch unendlich wertvoller als Berge von Gold. Ein Teil konnte gerettet werden und wurde nach Sunspring verlegt, wo ein neues Bibliotheksgebäude errichtet worden war, was allerdings noch lange nicht an die Herrlichkeit seines Vorgängers heranreichen konnte. Einige der wichtigsten Teile fehlen noch immer und sind auch mit größter Mühe und Anstrengung nicht auffindbar. Nun fragen sich verzweifelt die Gelehrten, wo sie dieses enorme Wissen nun herbekommen sollten.

      In Midnight Town selbst gab es eine riesige Tempelanlage mit einem angrenzenden Kloster, wo die Geistlichen der magischen Welt untergebracht waren. Die Priester waren noch lange nicht so machtvoll wie die alten Zauberer, doch das hieß noch lange nicht, dass sie unterschätzt werden durften. Sie waren, wie bereits häufiger erwähnt wurde, sehr weise und genau diese Weisheit gab ihnen Macht.

      Zu eben diesen Weisen war Rawnes unterwegs und erhoffte sich einige Antworten oder zumindest Ratschläge, denn sie selbst war mit ihrem Wissen am Ende. Noch vor wenigen Tagen war sie zuversichtlich gewesen und glaubte gewusst zu haben, was sie wollte. Doch nun waren Ereignisse dazwischen getreten, die alles verändert hatten. Jetzt brauchte sie Rat von höherer Stelle.

      Die Tempel waren mit Licht durchflutet als wäre es taghell, dabei dämmerte es bereits. Die blankgeputzten Marmorfliesen spiegelten das Licht wieder und verteilten es durch die langen Gänge bis in die kleinen Räume hinein. Leiser Gesang drang an Rawnes Ohren, als sie sich auf den Weg zu Huran, dem Führer dieser Priester machte. Wohlige Gerüche breiteten sich aus und ließen auch ihre Gedanken treiben. Es war ein friedlicher Ort. Vergessen waren alle Sorgen des Lebens außerhalb dieser Mauern. Frieden herrschte bis in die kleinsten Nischen hinein. Ein perfekter Ort, nahe daran das Paradies zu sein.

      Der breite Gang führte bis zu einer unscheinbaren Tür. Ein Fremder vermutete nur eine Kleinigkeit dahinter, doch Rawnes wusste, was sie erwartete, als sie diese öffnete. Überall sonst wirkte die Anlage bescheiden, wenn nicht schon ärmlich, doch ihr gesamter Reichtum lag hinter dieser Tür. Ein Raum der leuchtete, auch wenn kein Licht dazu benötigt wurde. Trotzdem dunkel, wie die Nacht. Ein freundliches, stilles Dunkel. Nicht unangenehm oder gefahrenvoll. In diesem Dunkel blieb die Pracht, die ein menschliches Auge kaum ertragen konnte fast vollständig verborgen. Die Wände waren schneeweiß und nichts würde sie beschmutzen können. Verziert waren sie mit einem Gestein, das leuchtete wie Edelstein, doch glänzte es in einem hellen grün, wie es nie in der Natur anzutreffen war. Überall begegnete man diesem mysteriösen Grün, doch auch dies war nichts Unangenehmes. Es war Gold. Nicht das Gold hinter dem seit Jahrhunderten die Menschen her waren. Nicht in der gewohnten goldenen Farbe. Es war ein seltenes Gestein aus den tiefsten Tiefen der Gebirgskette, die das Land im Norden von der Küste trennen zu wollen schien, das unter dem Namen Ostgebirge bekannt war. Der Fluss Yesúw war darüber geflossen und hatte seine magischen Kräfte auf das Gestein übertragen. Es war Gold von dem Grund des Heiligen Flusses und nur sehr Wagemutige wagten es hinabzutauchen, ohne Angst vor dem nahen Abgrund des Wasserfalls.

      Die Decke war nach außen gewölbt und ließ den Raum größer wirken als er tatsächlich war. Säulen stützten sie ab. Marmorsäulen in feinster Arbeit gefertigt, von Hand eines Volkes, das sein Handwerk im Umgang mit Gesteinen und Metallen verstanden hatte. Doch leider gab es keine Zwerge, das Volk der Dunkelelfen mehr in Yesúw. Und mit ihnen gingen die feinsten Arbeiten verloren. Nur Weniges war aus dieser lang vergangenen Zeit gerettet worden.

      Rawnes ging zunächst zielstrebig auf eine Gestalt zu, die allein im hinteren Teil des Raumes stand. Ihre Schritte hallten an den Wänden wider, denn es gab nichts, was ihren Schall stoppen könnte. Der Raum war leer. Kein Möbelstück oder ähnliches war in ihm zu finden, denn er war nur dazu geschaffen innere Ruhe zu finden oder Gebete an die Götter abzugeben.

      Die Gestalt war nicht Huran, den Rawnes eigentlich suchte. Huran war ein kleiner, beleibter Priester, doch vor ihr befand sich eine schlanke, fast zart wirkende Gestalt. Gehüllt in einem langen, grünen Mantel mit einer Kapuze, die tief in das Gesicht gezogen war. Schwere, beschmutzte Stiefel verrieten, dass dieser Jemand nicht aus Midnight Town stammte. Waldboden, kam es Rawnes in den Sinn.

      "Wer seid Ihr?", fragte sie direkt heraus. "Und wo ist Huran?"

      Die Gestalt drehte sich erst jetzt zu ihr herum, als hätte sie Rawnes gerade erst bemerkt. "Die Angelegenheit ist zu wichtig, als dass Euch ein einfacher Priester weiterhelfen könnte, Rawnes.", sagte eine männliche Stimme, ohne weiter auf ihre Frage einzugehen.

      Die Überraschung darüber, dass er wohl ihren Namen wusste, wurde sofort wieder überdeckt, als der Unbekannte seine Kapuze abstreifte. Sie erblickte ein Gesicht, an dem man fast schon das Wort Perfektion andeuten konnte. Die dunklen Augen schienen direkt bis in sie hineinzusehen und Rawnes erlebte zudem eine Distanz, die sie selten bei Lebewesen bemerkte. Selbst die schüchternste Person hielt nicht einen solchen emotionalen Abstand zu ihr.

      Was ihr zuerst auffiel waren die spitz zulaufenden, langen Ohren. Eine Elfe. Das war klar, doch normalerweise waren Elfen nicht so ungepflegt. Nicht nur seine Kleidung, sondern auch seine Haut war schmutzig. Seine langen, braunen Haare hingen wirr herab. Ein Merkmal der Elfen war ihre teilweise übertriebene Sauberkeit. Ihr Drang dazu alles in Ordnung haben zu wollen. Doch davon war bei diesem Mann nichts zu sehen. Außerdem war es ihnen nur für kurze Zeit möglich die Größe