Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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nun schon drei Tage und zwei Nächte. Nächte, die sie vor den Toren verbracht hatten, da sie sich nicht in der Geisterstadt aufhalten wollten. Tage, die nur sinnlos verstrichen waren.

      "Nichts.", flüsterte sie, als er sie erreicht hatte. "Einfach nichts." Auch ihre Stimme zitterte bereits, doch ihr Herz schmerzte zu sehr, als dass sie dies noch aufhalten konnte.

      "Und wir werden auch nichts finden." Es war das erste Mal seit sie hier waren, dass er dies sagte. Er hätte es auch schon am Tag zuvor sagen können oder am Tag davor. Oder schon in der ersten Stunde, die sie hier verbracht hatten. "Sie sind nicht hier, sie sind auch nicht tot."

      "Sie haben die Stadt auch nicht verlassen.", fügte sie hinzu.

      "Rawnes.", drängte er. "Ich weiß nicht, was hier geschehen ist und wo die ganzen Isk geblieben sind. Ich weiß nur, dass wir hier keine Antworten finden werden und dass wir uns bald auf den Weg machen müssen, da wir in ziemlicher Ferne sehr bald erwartet werden. Wir können unsere Freunde nicht besorgt werden lassen, da sie nicht wissen, wo wir bleiben."

      Sie konnte schlecht etwas dagegen sagen, denn sie war ihm schon dankbar, dass er dies nicht schon eher gewollt hatte. Sie konnte ihn nicht noch länger hier halten und sie konnte sich auch nicht länger einreden, dass sie noch etwas finden würden.

      "Wir müssen auf dem Rückweg in Midnight Town halten. Vielleicht auch noch einmal in Sunspring."

      Er wollte heftig etwas erwidern, dass konnte sie schnell genug erkennen. "Bitte Rugar.", setzte sie noch dahinter. "Du weißt, wie wichtig es für mich ist."

      "Meinetwegen auch das.", seufzte er.

      Sie trat auf ihn zu und nahm seine Hand. "Ich muss es unbedingt wissen. Ich muss ganz unbedingt wissen, was hier geschehen ist. Du weißt, wie wichtig dies sein könnte. Für uns alle."

      "Aber wir werden hier keine Antworten bekommen und wenn wir noch in Midnight Town halten wollen, sollten wir so früh wie möglich aufbrechen und uns beeilen.", bekräftigte er noch einmal seine früheren Worte.

      "Auch wenn ich noch immer daran glaube, dass es hier irgendwo einen Hinweis geben muss, nichts geschieht ohne Hinweise, weiß ich auch, wie Recht du hast." Sie sah sich noch einmal enttäuscht um, in der Hoffnung im letzten Moment doch noch etwas zu erspähen. In ihrem Inneren spürte sie allerdings auch eine gewisse Erleichterung bei dem Wissen, die Stadt bald hinter sich lassen zu können. "Lass uns trotzdem einen Weg zurück gehen, den wir noch nicht genommen haben."

      Wieder nickte er nur zustimmend, erleichtert überhaupt zurückkehren zu können. Auch er wollte diesen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen. Er drängte nicht nach dem Wissen, was geschehen war. Nicht, dass ihm die ganze Sache völlig gleichgültig war. Von heute auf morgen eine ganze Stadt verlassen vorzufinden geschah nicht alle Tage und war mehr als nur ein wenig unheimlich. Vor allem, wenn man darüber nachdachte, welch Schicksal die Hunderte, wenn nicht Tausende von Isk ereilt haben mochte. Wohin sie nun verschwunden sind, oder ob sie überhaupt noch irgendwo in dieser Welt zu finden waren. Aber er hielt es für sinnlos an einem Ort nach Spuren zu suchen, an dem sich offensichtlich keine befanden. Es gab keine Kampfspuren, keine gewalttätigen Belagerungsversuche, kein Blut, keine Lebenden, keine Anzeichen von hastigem Aufbruch. Alles war so, wie es sein sollte, nur, dass niemand mehr hier wohnte. Als hätte einfach jemand mit den Fingern geschnippt und sie wären alle weg gewesen.

      So gingen sie durch einige schmale Gassen, bis sie auf eine breite Hauptstraße gelangten, die sich in Schlangenlinien durch die Stadt wob und ihnen einen großen Umweg brachte, doch Rugar sagte dazu nichts. Sie würden diesen Weg außerhalb der Stadtmauer wieder zurück zu den Pferden gehen können, nachdem sie ein breites, stabiles Tor öffnen würden. Von innen war dies kein Problem. Von außen brachte auch keine Anwendung von Gewalt einen Einlass. Die Mauern waren von solch dickem Stein, wie ein Haus breit war und sie waren um einiges höher, als die flachen Hütten an denen sie vorbei gingen.

      Nur ein Punkt in Shin'Anrar war noch höher und das war der kleine Tempel, den sie soeben passierten, gebaut zu Ehren des obersten Gottes Ulasta. Der Tempel bestand aus mehreren Säulen, die ein gewölbtes Dach stützten, das zum Himmel hin geöffnet war, um den aufsteigenden Rauch der dargebrachten Opfer hinauszulassen. In seiner Mitte stand ein unauffälliges Gebäude, das die große Opferschale beherbergte und in das nur die Priester zugelassen wurden. Die Priester, die in der Sprache der Isk als Meister bezeichnet wurden. Das gewöhnliche Volk musste bei solchen Zeremonien draußen warten.

      Sie waren schon fast an diesem Tempel vorbei, als Rugar plötzlich inne hielt und einen Blick nach links warf, als hätte er ihn gerade eben erst bemerkt. "Warte.", hielt er Rawnes auf.

      "Was ist los?", wollte diese wissen und wäre schon fast weitergegangen.

      Er antwortete ihr nicht, sondern wich von ihrem Weg ab und ging auf die große Eingangstür zu. Auch nach mehrmaligen Fragen gab er immer noch keine Antwort. Er konzentrierte sich so sehr auf das unscheinbare Gebäude, als suche oder erwarte er irgendetwas, aber nichts geschah.

      "Du kannst dort nicht rein!", versuchte Rawnes ihn ein letztes Mal aufzuhalten, doch als er die Tür erreicht hatte und sie aufstieß stockte ihr der Atem und sie wich mit einem erschrockenen Aufschrei zurück.

      Das, was sie zu sehen bekamen war grauenvoll auch wenn es für einen unwissenden Beteiligten vielleicht einfach nur merkwürdig war. In dem Zentrum, beschienen von einigen zaghaften Sonnenstrahlen, brannte ein Kreis aus Feuer. Es war kein normales Feuer auch wenn ebenso gefährlich, wenn nicht noch gefährlicher wie es Normales war. Zum Beispiel stieg überhaupt kein Rauchwölkchen auf und es brannte wahrscheinlich schon die letzten drei Tage, ohne dass es neue Nahrung brauchte. In dem Innern dieses Kreises brannten einige Runen. Eine ziemlich Große genau in der Mitte und umrahmt war diese von einigen Kleineren. Jeder, der sich mit dem Wissen uralter Legenden beschäftigte, kannte diese große Rune, die wie eine höhnisch grinsende Fratze wirkte.

      "Justaka.", stellte Rugar mit außerordentlicher Gelassenheit fest, berücksichtige man, was dies bedeutete. Er ging einmal um den Kreis herum und studierte die restlichen Zeichen. "Und Anrar, Dretir, Xan'Ysir und Rel haben ebenfalls unterschrieben. Sieht so aus, als sollte dies seine Einladung für seine baldige Rückkehr darstellen. Wir hatten also Recht. Nur mit dem Datum für sein Eintreffen scheinen wir uns etwas verrechnet zu haben."

      "Mach es weg.", hauchte Rawnes. "Mach es weg."

      Rugar sah ihr fragend in ihre braunen Augen. "Er wird es merken."

      "Egal. Mach es einfach nur weg.", begann sie mit einem festeren Ton zu verlangen.

      Noch einmal zögerte ihr Begleiter kurz. Für einen Moment empfand er Furcht vor dem, was er tun sollte. Furcht, die ihn verunsichern ließ, doch dann riss er sich zusammen, hob die Hand und machte eine Bewegung, als würde er die Flammen einfach nur wegwischen wollen. Und das Feuer erlosch. Darauf war es völlig finster, doch trotzdem schien Rawnes sich wieder beruhigt zu haben.

      "Lass uns von hier verschwinden.", meinte sie und drehte sich herum, um den Raum zu verlassen. Sie hatte ihren Hinweis gefunden, doch er gefiel ihr ganz und gar nicht. Wo die Isk waren, war immer noch schwer zu beantworten. Wahrscheinlich waren sie doch alle tot und wenn nicht, war es bereits für sie zu spät. Die ganze Zeit über hatte sie schon geahnt, dass dies mysteriöse Geschehen Justakas Handschrift trug. Dies war auch schon an anderen Stätten geschehen. Nur war es hierfür zu früh. Sie hatte mit Justakas Rückkehr gerechnet, aber nicht mit der Macht, die er zu haben schien.

      Den Rest des Weges verbrachten sie schweigend. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. So bemerkten sie nicht, wie sich der Himmel zuzuziehen begann. Dunkle Wolken schoben sich bedrohlich vor das blasse Licht der Sonne. Plötzlich begann die Erde leicht zu beben und ein knirschendes Geräusch legte sich wie ein unheilvoller Donner über die Stadt. Erschrocken fuhren sie herum und konnten gerade noch sehen, wie der Tempel in seinen Grundfesten erschütterte und wie ein Kartenstapel in sich zusammenbrach.

      Rugar ergriff Rawnes' Hand und zog sie mit sich. "Wir müssen hier weg!", rief er ihr zu. "Es ist Xan'Ysir."

      Sie rannten über die Straße auf dem kürzesten Weg zu dem nächsten Tor. Wieder bebte die Erde und Rawnes wäre fast gestolpert,