„Jette! Gott sei Dank! Der Franz verblutet … Keiner sagt mir was! Du musst mit den Ärzten sprechen“, fiel sie Jette klagend um den Hals.
„Mama! Beruhige dich! Die operieren wahrscheinlich noch. Paps ist in guten Händen. Komm setz dich erst mal. Du klappst mir hier gleich zusammen und Franz braucht doch deine Hilfe.“
Schluchzend setzte sich ihre Mutter in eine dieser kalten Plastiksitzschalen im kahlen, weißen Krankenhausflur und seufzte. „Du hast ja Recht Jette, aber die haben im Rettungswagen von einem Stich in die Niere und inneren Blutungen gesprochen. Der Franz darf noch nicht sterben!“
„Das wird er auch nicht!“ Jette kniete vor ihrer Mutter, drückte ihre Hände und versuchte sie zu trösten. Jetzt liefen auch Jette Tränen in die Augen. Boschi stand minutenlang verlegen daneben und wusste nicht wie er sich verhalten sollte. Wie schwach und zerbrechlich wirkte seine sonst taffe Kollegin. Schließlich streichelte er über Jettes Schulter.
Hilde von Jettebach wollte gerade fragen, wer der nette junge Mann an der Seite ihrer Tochter ist, als sich die Schiebetür des OP-Saales öffnete. „Frau von Jettenbach?“
„Ja! Hier!“ Jette sprang auf und half ihrer Mutter Hilde hoch. „Wie geht es meinem Vater?“
„Mein Name ist Dr. Jürgen Benker. Ihr Vater hat durch den Messerstich eine Nierenruptur erlitten. Wir mussten eine Nephrektomie vornehmen.“
„Eine was?“, fragte Jette hilflos.
„Wir mussten ihrem Vater die linke Niere entfernen und konnten die inneren Blutungen stoppen. Die OP ist gut verlaufen. Ihr Vater ist nicht in Lebensgefahr, kommt aber zur Beobachtung auf die Intensiv. Morgen können wir mehr sagen und dann können sie ihren Vater auch besuchen.“ Der Pieper des Arztes schlug an. „Entschuldigung! Frau von Jettenbach, ich muss weiter, der nächste Notfall!“
Hilde von Jettenbach stand die ganze Zeit ungläubig daneben und brachte bisher keinen Ton heraus. „Oh mein Gott! Mein armer Franz!“ Hilde fing wieder an zu weinen. Ihr wurde schwindelig, sie musste sich erneut setzen und fing an zu beten. „Lieber Gott, lieber Gott bitte hilf uns!“
Jette setzte sich wie ein Häufchen Elend daneben und Boschi versuchte beiden Mut zuzusprechen. „Die haben hier hervorragende Ärzte! Herr von Jettenbach ist außer Lebensgefahr und mit einer Niere kann man genauso leben wie vorher, ohne Einschränkungen. Der schafft das schon. Morgen, wenn wir ihn besuchen, lacht er uns aus seinem Krankenbett an.“
Frau von Jettenbach sah Boschi mit großen Augen an. „Wer sind Sie eigentlich? Jette, ist der nette Herr ein Bekannter von Dir? Oder ist er Polizist?“
„Beides Mama! Darf ich vorstellen! Hauptkommissar Robert Dippold von der Kriminalpolizei Starnberg. Mein Chef!“
Boschi reichte Frau von Jettenbach ungeschickt die Hand. „Angenehm, Robert Dippold!“
„Endlich lerne ich den Retter meiner Tochter einmal kennen. Danke, Herr Dippold! Sie haben schon Ihr Leben für unsere Tochter riskiert, sind schwer verletzt worden und sind jetzt auch noch in den schwersten Stunden für uns da. Danke, danke!“ Frau von Jettebach fiel Boschi um den Hals.
Verlegen stammelte Boschi ein „Ach geh zu! Das hätte doch jeder für unsere Jette getan!“
„Sie hat schon recht Boschi! Das macht nicht jeder. Kommt wir gehen jetzt. Zuhause wartet das Chaos auf uns.“ Jette nahm ihre Mutter am Arm und verließ mit Boschi das Krankenhaus.
In Jettes Elternhaus angekommen, schraubte Boschi fachmännisch mehrere Holzbretter vor das zerbrochene Kellerfenster, während Jette weinend die Blutflecke ihres Vaters auf den Fließen vor der Kellertür entfernte. Hilde von Jettenbach kochte Kaffee und deckte den Esstisch zu einem verspäteten Frühstück. Danach rief Boschi auf der Dienststelle bei Revierleiter Sepp Brandl an, der bereits mehrmals versucht hatte Hauptkommissar Dippold telefonisch zu erreichen.
„Boschi, wo bleibst du denn? Hast verschlafen, haha!“, meldete sich Sepp wohlgelaunt.
„Sepp, ich bin in Ingolstadt! Bei Jette und ihren Eltern. Hier wurde heute Nacht eingebrochen und Jettes Vater wurde dabei schwer verletzt.“ Boschi erzählte in kurzen Worten den Tathergang, verschwieg Sepp jedoch Jettes Vermutung, es könnte der irre Pilsensee Mörder gewesen sein. „Sepp brauchst du mich? Ich würde gern noch ein, zwei Tage bei Jette bleiben. Sie und Ihre Mutter sind natürlich verängstigt und niedergeschlagen.“
„Bei uns ist alles ruhig! Keine besonderen Vorkommnisse, Chef! Kein Problem, ich trage dir einfach zwei Tage Urlaub ein!“, antwortete Sepp Brandl amtlich und dienstbeflissen. „Richte Juliane und Ihrer Mutter liebe Grüße und Ihrem Vater gute Besserung von mir aus. Äh … und ruft mich an, wenn ihr Hilfe braucht.“
„Mach ich, Sepp. Also dann bis Montag. Servus!“, verabschiedete sich Boschi und setzte sich an den gedeckten Frühstückstisch.
Kapitel 2
B
oschi fuhr mit Jette und Hilde von Jettenbach am späten Nachmittag noch einmal ins Klinikum. Jettes Vater schlief nach der schweren OP tief und fest. Der Oberarzt bezeichnete seinen Zustand als stabil und Hilde wollte unbedingt über Nacht bei ihm bleiben. Auch Jette wollte bei ihrem Vater am Krankenbett ausharren, doch ihre Mutter mochte allein mit ihrem Mann sein und ließ keinen Widerspruch gelten. Schließlich standen Jette und Boschi etwas verloren vorm Eingang des Klinikums.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Boschi gelangweilt und zündete sich eine Zigarette an.
„Hast du Hunger?“ Ohne auf Boschis Antwort zu warten, hakte sich Jette kurzerhand bei ihm ein und steuerte auf ihr rotes Mini Cabrio zu. „Komm ich lad dich zu einer Pizza ein.“
„Hunger hab ich noch nicht, später vielleicht, aber ein Weißbier wär jetzt nicht schlecht.“
„Dann steig ein und halt dich fest, hihi!“ Jette lächelte verschmitzt, denn Boschi bremste bei ihrer Fahrweise immer mit und sie hatte Spaß daran, wenn er sich ängstlich krampfhaft an der Seitenarmlehne der Autotür festhielt.
Jette brachte Boschi zu einem idyllischen Biergarten am Künettegraben in der Nähe der Festung. Wie ein glückliches Ehepaar saßen beide nebeneinander unter alten Kastanienbäumen und unterhielten sich. Nur ging es bei ihnen nicht um Familie oder Kindererziehung, sondern um einen fünffachen Mörder.
„Ich bin mir 100 Prozent sicher Boschi. Der Einbrecher war Angus Streitberger!“, wiederholte Jette zum x-ten Mal.
„Das kann doch nicht sein! Überleg mal, die Schussverletzungen, der Sturz vom Wasserfall, das viele Treibholz im Kienbach! Der alte Mann ist ertrunken und wurde in den Ammersee gespült.“ Boschi versuchte Jette zu überzeugen, das sie ihre Aussage nochmal genau überdenken sollte, bevor sie diese morgen früh bei der Polizei abgab.
„Wir haben die Leiche nicht gefunden!“ Jette wollte sich nicht beirren lassen und verteidigte ihren Standpunkt energisch. „Der alte Streitberger war topfit. Der ist kilometerweit barfuß gelaufen und konnte mit einem Sensenschlag einen Menschen köpfen.“
„Der Mann war 84 Jahre alt und lebte im Altenheim. Der ist halb bewusstlos in den hochwasserführenden Kienbach gefallen und sein Körper knallte wahrscheinlich unkontrolliert gegen jeden Stein im Bachbett zwischen Kloster Andechs und dem Ammersee.“ Boschi gab nicht auf Jette umzustimmen, denn ihre Aussage könnte Oberstaatsanwalt Höglmeier dazu bewegen, Jette wegen psychischer Probleme in den Innendienst zu versetzen oder gar dienstunfähig zu schreiben.
„Boschi, ich weiß ganz genau was du denkst. Aber der Einbrecher hatte die gleiche Statur, dieselben Haare und das allerwichtigste … er bewegte sich genauso, wie der irre Streitberger! Seine Bewegungsabläufe, die ich stundenlang studieren konnte, als ich in der Höhle gefangen war, vergess ich nie. Der alte Mann ist nicht tot, Boschi!“
Boschi