Leichenwasser. Christina Kreuzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Kreuzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741852022
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das ganze Magazin ihrer Waffe leer. Sie traf nicht. Der Flüchtende lief unbeirrt weiter und verschwand lauthals lachend, zwischen den Reihenhäusern. Handlungsunfähig sank Jette auf die Knie, ihre Dienstwaffe fiel auf den Asphalt. Tränen schossen in ihr ängstliches Gesicht. „Oh mein Gott!“ Angus Streitberger, der Pilsensee Killer, ist nicht im Ammersee ertrunken!

      *

      Mitten in der Nacht wurde Hauptkommissar Dippold vom Telefon geweckt. „Brunzkübl“, fluchte Boschi, machte nach dem sechsten Mal klingeln endlich Licht und war sofort hellwach, als er die Nummer von Jette auf dem Display sah.

      „Boschi, Boschi, der Streitberger lebt! Boschi, du musst schnell kommen. Der Irre hat gerade meinen Vater nieder gestochen!“, meldete sich seine junge Kollegin Juliane von Jettenbach aufgebracht und unbeherrscht am anderen Ende. „Boschi bitte komm, der wollte meine Eltern und mich abstechen!“

      „Ach geh zu! Langsam, langsam Jette. Keine Hektik! Komm runter, behalt die Nerven!“, versuchte Boschi sie zu beruhigen. „Ist der Täter noch im Haus, Jette?“

      „Nein, geflüchtet! Der wollte sich rächen! Boschi, der hat Paps nieder gestochen! Boschi, hilf uns!“, schluchzte Jette am Telefon.

      „Ich bin schon unterwegs Jette. Mach dir keine Sorgen! Alles wird gut!“, antwortete Boschi aufmunternd. „Hast du schon die Polizei gerufen? In Ingolstadt sind die Kollegen zuständig. Hast du die Rettung verständigt?“

      „Ja, natürlich! Bitte beeil dich Boschi!“

      Hauptkommissar Robert Dippold war nach drei Minuten angezogen und raste mit seinem 40 Jahre alten VW Käfer 1303 nach Ingolstadt. Im Rückspiegel stellte er staunend fest, dass er in der Eile ganz vergessen hatte seine geliebte Häkelmütze aufzusetzen.

      *

      Maksin Wolkow nahm den Frühzug nach München. Er hörte immer noch die Sirenen der Einsatzkräfte, die wahrscheinlich schon großräumig nach ihm suchten. Eine Polizeistreife kam um 4.27 Uhr am Hauptbahnhof an, gerade als sich der Zug nach München in Bewegung setzte. Maksin reinigte in diesem Moment auf der Zugtoilette seine Hände und sein blutiges Messer. Er war böse mit sich. Wieso hab ich nur die Häuser nicht länger beobachtet? Die Vorhut hat Scheiße gebaut und die Geheimzeichen fahrlässig an den Hauswänden angebracht. Auf niemand konnte man sich mehr verlassen. Die ganze Straße war doch mit Gaunerzinken markiert. „Blin!“ schrie er selbstanklagend in den milchig angelaufenen Toilettenspiegel.

      *

      Etwa zur gleichen Zeit kam Boschi bei Jettes Eltern in Ingolstadt an. In die kleine Reihenhausstraße durfte nicht mehr gefahren werden. Großflächig hatten die Beamten die Umgebung abgesperrt und die Straße war mit Einsatzwagen der Polizei, Feuerwehr und Rettung zugeparkt. Boschi machte sich große Sorgen. Hoffentlich war da nicht noch mehr passiert und Jette und ihre Eltern sind am Leben.

      „Hauptkommissar Robert Dippold, Sonderermittler von der Kripo Starnberg!“, gab Boschi dem verdutzten Polizeimeister an, der an der Absperrung stand. Dabei zückte er kurz seinen Dienstausweis. Der junge Beamte hob das Absperrband und ließ ihn anstandslos und ohne weitere Nachfrage einfach passieren. Boschi machte sich kurz Gedanken über den Ausbildungstand der Polizei und suchte in dem Gewusel von Einsatzkräften nach Jette.

      Sie stand gerade mit zwei Beamten neben einem Notarztwagen und als Boschi winkte, rannte sie ihm kurzerhand entgegen. „Boschi! Danke, dass du so schnell gekommen bist. Der Streitberger hat uns überfallen!“

      „Langsam Jette!“, versuchte Boschi zu beruhigen. „Wie geht es deinem Vater? Ist deine Mutter auch verletzt?“, fragte Boschi und nahm Jette tröstend in die Arme.

      „Paps hat er in den Rücken gestochen. Er ist schon im Krankenhaus. Sein Zustand ist ernst, aber nicht lebensbedrohlich, Mama hat einen Schock und ist gleich mitgefahren“, erzählte Jette schluchzend mit Tränen in den Augen. „Boschi, es war eindeutig der Streitberger! Die gleiche Statur, die gleichen langen Haare! Der Irre ist nicht tot!“

      „Alles wird gut, Jette!“ Boschi sorgte sich um seine junge Kollegin. „Du hast auch einen leichten Schock! Bitte mach erstmal keine verbindliche Aussage. Wir fahren später zusammen ins Krankenhaus. Dein Vater schafft es schon!“

      „Glaub mir, es war der Sensenmörder! Bitte Boschi, komm mit!“ Jette zitterte wie Espenlaub, nahm ihn kurzerhand an die Hand und zog ihn mit, zu den wartenden Ermittlungsbeamten.

      Juliane von Jettenbach stellte Hauptkommissar Dippold den Beamten vor und beschrieb danach den Tathergang. Dabei nannte sie immer wieder den Namen des Psychopathen Streitberger, der eigentlich am Grund des Ammersees liegen sollte. Boschi stand daneben und beschwichtigte Jette immer wieder bezüglich des Tatverdächtigen. Er gab den Beamten den Rat, die Aussage von Jette erst morgen aufzunehmen, wenn sich ihr Schockzustand gebessert hätte und sie klar denken könnte. Boschi musste sich darauf anhören, dass er die Zeugin nicht beeinflussen soll und dass er hier gar nichts zu sagen hat. Boschi war sauer, wollte aber keinen Ärger mit den Kollegen und zündete sich neben einem Einsatzfahrzeug eine Zigarette an. Er konnte sich in die ermittelnden Kollegen hinein versetzen. Er würde im Dienst wahrscheinlich genauso reagieren.

      Die Spurensicherung hatte inzwischen ihre Arbeit getan und alle Spuren im Haus gesichert, fotografiert und eingetütet. Jette hatte, gleich beim Eintreffen der Spusi, ihre Dienstwaffe zum Abgleich abgegeben. Die Ingolstädter Kollegen verabschiedeten sich bis morgen, die Absperrung wurde aufgehoben und die aufgeschreckten Nachbarn und Gaffer zogen sich langsam zurück. Jette saß mit Boschi, der schon wieder rauchte, auf den drei Treppenstufen die zur Tür des Wohnhauses führten. Jette war sichtlich verärgert. Sie kochte innerlich vor Wut. „Boschi, ich bin blond, aber nicht blöd! Ich habe auch keinen Schock und du brauchst mich nicht zur Besinnung bringen. Der Kerl, der aus dem Haus rannte, war eindeutig Angus Streitberger, der Pilsensee Killer. Ich bin mir ganz sicher!“

      Boschis Stirn zeigte eindeutige Sorgenfalten. Zweimal fuhr er sich mit den Händen durch die kurz geschnittenen Haare und sein fehlender kleiner Finger juckte. „Der ist tot, Jette. Das kann er nicht gewesen sein. Ich hab den zweimal, wahrscheinlich sogar dreimal mit meiner P7 getroffen. Du warst doch dabei und hast es selbst gesehen. Danach ist er vom Wasserfall in den reissenden Bach mit jeder Menge Treibholz gestürzt und untergegangen. Das hat der nicht überlebt!“

      „Und wenn doch? Wo ist seine Leiche? Der Mann, den ich gesehen habe, hatte die gleiche Statur. Er war mindestens zwei Meter groß, hatte seine langen Haare zum Pferdeschwanz gebunden und lief genau hier die Straße hinunter.“

      „Ach geh zu! Jette, bist du dir ganz sicher?“, fragte Boschi nach.

      „Ja! Er sah genauso aus wie der verrückte, alte Mann Angus Streitberger! Der lebt Boschi! Ich bin mir zu 100 Prozent sicher. Der Pilsensee Killer hat bei uns eingebrochen und auf Paps eingestochen“, beharrte Jette trotzig auf ihrer Aussage.

      „Ok Jette! Du überdenkst das alles noch mal in aller Ruhe. Komm, ich fahr dich jetzt erst mal zu deinen Eltern ins Krankenhaus. Du bist ein wenig durcheinander! Weißt du überhaupt, dass du hier im Schlafanzug neben mir sitzt?“

      Jette schaute überrascht an sich herunter. „Äh, ja … Was trägst du im Bett?“, fragte sie frech. „Übrigens, du hast deine „Boschi“ vergessen! Ganz ungewohnt, so ohne Häkelmütze. Mein Chef hat ja Haare am Kopf! Hihi! Siehst gut aus Boschi!“, lobte Jette ihren Chef und ging grinsend ins Haus.

      „Ach geh zu! Jetzt mach weiter, zieh dir was an! Deine Eltern warten!“, rief ihr Boschi hinterher und freute sich, dass seine junge Kollegin so schnell auf andere Gedanken gekommen war. Sie hatte ihn nachdenklich gemacht. Die Leiche von Angus Streitberger hatten sie bis jetzt nicht gefunden. Der alte Mann kann aber nicht überlebt haben. Er war sich ganz sicher, dass Jette durch den Überfall verwirrt war und sich in der Dunkelheit getäuscht hatte.

      *

      Das Klinikum Ingolstadt in der Krumenauerstraße war nur fünf Fahrminuten von Jettes Elternhaus entfernt. Ihre Mutter Hilde wartete nervös vor einem