Leichenwasser. Christina Kreuzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Kreuzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741852022
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nimmer her!“

      Boschis fehlender Finger juckte. Eigentlich war das kein gutes Zeichen. „Habt Ihr die Personalien und die Identität vom Streitberger noch nachverfolgt? Wo kam der eigentlich her?“

      „Natürlich! Der Personalausweis, den er damals im Altenheim abgegeben hat, war gefälscht. Der Alte war auch nirgendwo gemeldet, weder beim Finanzamt, noch bei der Kranken- und Rentenversicherung. Der hatte nicht mal ein Bankkonto! Die Rechnungen im Seniorenheim hat er immer in bar bezahlt. Wir haben rein gar nichts über ihn herausgefunden. Er hatte keine Freunde, kein Auto und ging nirgends zur Schule. Seine beiden Helferinnen, die inhaftierten Zimmermann Schwestern konnten auch keine Angaben zu seiner Identität machen. Für die Behörden existierte Angus Streitberger nicht. Ein Geist! Haha!“ Revierleiter Sepp Brandl lachte, obwohl es ihm eigentlich nicht danach zumute war.

      „Und was ist mit der Tatwaffe? Habt ihr diese Sichel gefunden?“

      „Ebenso Fehlanzeige! Das Ufer des Kienbachs haben wir vom Wasserfall bis in den Ammersee mehrmals abgesucht. Nichts! Weder Tatwaffe noch Täter! Die Morde haben jedenfalls aufgehört“, fügte Jette dazu. „Mir wär es lieber gewesen, wir hätten die Leiche gefunden. Dann hätte ich endlich hundertprozentige Sicherheit, meine Alpträume wären weniger und ich würde besser schlafen. Oberstaatsanwalt Franz Höglmeier hat die Akte Pilsensee jedenfalls letzte Woche geschlossen.“

      „Ich glaube auch, dass der Streitberger nicht mehr auftaucht. Der Ammersee ist bekannt dafür, Leichen zu behalten. Sepp, hatten wir nicht erst letztes Jahr einen Ertrunkenen, der seit 1994 nach einem Segelunfall vermisst wurde?“ Boschi wollte seine Kollegin mit dem Beispiel beruhigen. Ihm ging es nicht viel anders als ihr. Er hatte auch Alpträume und in ihm brodelte die Ungewissheit! Ihm wäre wesentlich wohler, wenn er endlich Klarheit über den Verbleib seines schlimmsten Feindes hätte. Der Verrückte hatte Schuld an fünf gräßlichen Morden und an seinem fehlenden kleinen Finger.

      Sepp Brandl stand auf und ging in Richtung Aktenschrank. „Soll ich euch die Berichte raussuchen? Ja, das ist halt so, viele Leichen lässt der See erst Jahre später frei. Das liegt an den starken Strömungen im See und an den enormen Mengen Treibholz auf dem Grund des Sees, an dem sich die Toten verhaken.“

      „Nein! Halt Josef! Lass bitte die Fotos der Wasserleichen, wo sie sind. Wegen mir, soll der Streitberger da unten, schön langsam von den Fischen angeknabbert werden. Boschi, schau, was ich mir Schönes gekauft habe!“, lenkte Jette vom Thema ab und packte ihre Einkaufstüte aus. „Sind die nicht geil?“ Jette stellte ein paar rote High Heels mit atemberaubenden Absatz auf den Tisch.

      „Haha! Eher gefährlich! Ich muss jetzt aber! Die Arbeit macht sich nicht alleine!“ Sepp Brandl packte schnell seine Brezenreste ein und schaute Boschi auffordernd an.

      Boschi hob einen der Schuhe in die Höhe und grinste. „Das du damit laufen kannst?“ Boschi reagierte endlich auf den Wink seines Revierleiters. „Warte Sepp, ich komm mit. Sorry, Jette! Die Arbeit ruft!“ Fluchtartig verließen beide den Raum bevor Jette weitere Erungenschaften ihrer Shopping-Tour auspacken konnte. Ihr Modetick und ihre Einkaufserlebnisse waren auf der Dienststelle berüchtigt und dauerten unendlich.

      *

      Walter Rosenberg, der Erbe, Besitzer, Direktor und Vorstandsvorsitzende der Rosenberg AG, eine der größten Porzellanfabriken in Deutschland, wusste nicht mehr weiter. Vor vier Wochen hatte er Konkurs anmelden müssen und 2500 Mitarbeiter standen von heute auf morgen auf der Straße. Die hohen Produktionskosten in Deutschland und das Billigporzellan aus der Tschechei und China hatten sein Lebenswerk und das seiner Vorfahren ruiniert. Bis zuletzt hatte er all seine Ersparnisse in die angeschlagene Firma gepumpt. Jetzt war er finanziell am Ende. Eigentlich blieb ihm nur die Kugel aus einem Jagdgewehr seiner umfangreichen Waffensammlung. Schon seit Wochen hurte seine Frau mit jungen Männern herum, die ihre Söhne sein könnten. Sie war schon vor Wochen ausgezogen. Kinder hatte sie keine. Er fühlte sich als einsamer, gebrochener Mann, den die Verzweiflung das Herz zerriss. Aus seiner Villa am Starnberger See sollte er bis Ende des Monats ausziehen und sein bulliger Geländewagen stand ebenso in der Konkursmasse, wie seine schicke Segeljacht. Zweimal schrieb er einen Abschiedsbrief, um diesen anschließend in den Papierkorb zu werfen. „Ding, Dong!“ Es klingelte an der Haustür. Erst nach dem fünften Mal Läuten mühte sich Walter Rosenberg auf und schlürfte langsam zur Eingangstür des riesigen Anwesens. „Wahrscheinlich braucht der Insolvenzverwalter noch eine wichtige Unterschrift“, dachte er sich. Anderer Besuch fiel ihm in seiner derzeitigen Lage nicht ein. „Ich komm ja schon!“ Das Geräusch der Klingel zerrte an seinen Nerven. Unbedacht öffnete er die massive Haustür. Vor ihm stand ein fremder, fast zwei Meter großer, schlanker Mann mit kurz geschorenen Haaren. „Ich kaufe nichts!“ Walter wollte die Tür wieder schließen, doch der Fremde stellte schnell seinen Fuß zwischen Tür und Angel. „Was fällt Ihnen ein?“

      „Herr Rosenberg, wir zusammen reden!“, bestimmte der Unbekannte in gebrochenem Deutsch, schob den überraschten Hausherren einfach beiseite und ging zielstrebig in Richtung Wohnzimmer. „Wo ist Geld, du Fettsack?“, fauchte ihn der Mann an.

      Walter Rosenberg lief dem Eindringling hinterher. „Halt! Hallo, was für Geld? Wer sind Sie überhaupt? Was erlauben Sie sich?“ Ehe sich Walter Rosenberg versah schlug ihn der Fremde mit der Faust ins Gesicht.

      „Du Schulden - 20 000 Euro“, forderte der Mann.

      „20 000 Euro?“, stammelte Walter Rosenberg ängstlich und wischte sich warmes Blut aus dem Mundwinkel. „Ich bin pleite, haha!“ Walter drehte provozierend seine leeren Hosentaschen um.

      Sein Gegenüber packte blitzschnell zu, griff mit seiner rechten Hand den Hals des übergewichtigen Industriellen und hielt den zappelnden, röchelnden Mann mit ausgestrecktem Arm in die Luft. „20 000 Euro! Wo ist Geld?“

      „Ich … ich hab … kein Geld. Hilfe, ich ersticke! Lassen Sie … mich los. Bitte!“ Nur stoßweise kamen die Worte aus dem keuchenden, weit aufgerissenen Mund von Walter Rosenberg. Kalte Schweißtropfen spiegelten sich auf seiner faltigen Stirn.

      Der Angreifer ließ ihn endlich fallen. Gekrümmt lag er vor den Füßen des Unbekannten, röchelte nach Luft und zitterte dabei wie Espenlaub. „Gnade! Ich bring … ich hol dir das Geld“, keuchte und hustete Walter Rosenberg.

      „Wo ist Geld?“, wiederholte der brutale Fremde.

      „Im Safe! Ich hol es Dir! In zwei Minuten bin ich wieder da!“, schlug Walter mit qualvoll verzerrten Gesicht vor.

      „Nix da! Dass dir so passen. Wir zusammen gehen!“, zischte der Riese und riss den Hausherren auf die Beine. „Los!“

      Walter Rosenberg trottete ängstlich einen halben Meter vor dem Eindringling her, wie ein Schoßhund mit seinem Frauchen. Das Büro mit dem uralten Safe lag neben dem Wohnzimmer, ebenfalls im Erdgeschoß. „Wäre es nicht besser zu flüchten“, dachte Walter nur kurz, da packte der Riese schon seinen Oberarm. „Mach schon!“ Mit seinen Stahlpranken zog er Walter mit Gewalt in die Mitte des Raums und drückte ihn auf den Schreibtischstuhl. „Wo ist Safe? Wo ist Geld?“, brüllte ihn der Eindringling an. Plötzlich hatte der Fremde ein langes Messer in der Hand und fuchelte damit drohend vor Walter Rosenberg herum.

      „Der Safe … äh, der Safe ist leer! Ich hab kein Geld!“, jammerte Walter. „Ich bin pleite, versteh das doch!“

      Ohne Worte zerrte der Fremde Walters Arm auf die Schreibtischplatte und trennte ihm mit einem Schlag die linke Hand ab. Walter Rosenberg starrte einen Moment ungläubig auf den Stumpf am Arm, dann auf seine Hand, die inmitten seiner Papiere die lederne Schreibtischunterlage versaute. Dann schoss ihm ein Blutstrahl ins Gesicht. Walter brüllte los, wahnsinnig vor Schmerzen. „Uah! Du Irrer! Au! Mein Gott! Uah. Hilf mir! Ich verblute!“ Walter wollte aufspringen, doch der Verrückte drückte ihn mit seinem ganzen Körpergewicht auf den Stuhl zurück. Er presste den Kopf des Industriellen mit aller Kraft auf die Tischplatte. Walters Augen sahen dabei genau auf seine abgetrennte Hand, deren Finger noch zuckten.

      „Ich