Tempus Z. Jo Caminos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Caminos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738092905
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ändern können. Sie waren einander fremd geworden, hatten sich nichts mehr zu sagen gehabt. Im Gegenteil - die Trekkingtour hatte ihnen allen glasklar vor Augen geführt, dass es mit der alten Verbundenheit vorbei war. Sie waren Menschen, die eine gemeinsame Vergangenheit hatten - aber bestimmt keine gemeinsame Zukunft. Bis auf Peter ... Mit ihm hätte Charlotte gerne Kontakt gehalten. Ihn vermisste sie immer noch. Peter, der Tunichtgut, der heute kam, aber nur vielleicht - oder auch nicht. Tot, gebissen von einem Zombiekind - so kurz vor der Rückkehr nach Deutschland ...

      Vergiss es, sagte sich Charlotte. Roland und Sonja sind tot. Und auch Peter. Nichts würde sie mehr zurückbringen. Es war nicht gut, zu sehr und zu viel an die vergangenen Wochen zu denken. Zu vieles hatte sich ereignet.

      Sie schloss die Augen und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Es war ein wunderschöner Herbst in Deutschland. Erst wenige Blätter hatten sich verfärbt. In der Ferne lag der Idarkopf als höchste Erhebung im Glast. Die Szenerie wirkte friedlich, fast pittoresk, doch das täuschte. Untote trieben sich in den Wäldern herum, verfingen sich im Geäst und grunzten sinnlos vor sich hin. Trotzdem stellten sie keine unmittelbare Gefahr dar. Die Untoten waren nach wie vor langsam. Da war keine Evolution. Sie faulten vor sich hin, wanderten ziellos umher, auf der Suche nach Opfern, die sie fressen konnten. Wer nicht gerade fußkrank war, konnte sich ohne größere Probleme in Sicherheit bringen oder einem der Viecher den Garaus machen.

      Nein, dachte Charlotte. Trotzdem war es hier auf dem Hunsrück nicht sicher. Die Lebensmittelversorgung durch die Drohnen war unzuverlässig. Frankfurt hatte seine eigenen Probleme. Die Marodeure aus der zerfallenen City - oder wusste der Teufel, wo sie herkamen - griffen immer öfter und brutaler an. Charlotte ahnte mehr, als dass sie es wusste: Festung Frankfurt ging ihrem Niedergang entgegen, auch wenn die Offiziellen das wohl selbst nicht glauben wollten. Die Ordnung war in Gefahr, weil diese Welt der Untoten nur noch eine Ordnung kannte - und ein Gesetz: das Gesetz und Recht des Stärkeren ...

      Und da waren noch die umliegenden Dörfer. Charlotte wusste, dass in den Regionen Hunsrück, Eifel, Westerwald und Taunus sich etliche Lebenszonen gebildet hatten, wo viele Menschen in relativer Sicherheit leben könnten. Doch die Betonung lag auf dem Konjunktiv. Die politische Stimmung war in den letzten Jahren offenbar gekippt. Deutschland war sehr viel stärker an den rechten Rand gerückt, als Charlotte es jemals für möglich gehalten hätte. In den Dörfern herrschte eine Struktur, die sehr stark an die braune deutsche Vergangenheit erinnerte. Es gab wieder Gauleiter - und auch Sicherheitsdienste. Und es gab Ortsvorsteher, die nur zu gerne mehr Einfluss gewinnen wollten.

      Gut Hohefeld war ein begehrtes Angriffsziel, das wusste Charlotte nur zu gut. Die Felder waren bestellt, die Ernte würde über den nächsten Winter hinweg helfen. Alles hätte gut sein können. Doch die umliegenden Dörfer verlangten ihren Tribut. Am Wochenende würde erneut eine Abordnung der Ortsvorsteher auf dem Gut erscheinen, um die Beziehungen zwischen den Gemeinden und Gut Hohefeld neu auszuhandeln. Noch war es nur sporadisch zu Übergriffen gekommen, doch Charlotte hatte die Gier im Blick einiger der Männer und Frauen gesehen. Angesichts der Katastrophe schien Gut Hohefeld fast wie das Paradies. Die Umzäunung hielt, auf den Feldern und in den Beeten und Gewächshäusern reifte eine reiche Ernte heran, die ein sorgloses Leben garantieren konnte. Trotzdem. Irgendwann würde der Konflikt offen ausbrechen. Und was dann?

      »Mord und Totschlag«, flüsterte Charlotte. Ihr war nicht bewusst, dass sie laut gesprochen hatte.

      »Was? Das Wiegenlied vom Totschlag?«, fragte eine glucksende Stimme.

      Charlotte zuckte zusammen. Sie war nicht besonders ängstlich, nie gewesen, doch sie konnte es nicht ausstehen, wenn sich jemand so einfach an sie heranschlich.

      Erwin Müller, den sie in der Festung Frankfurt kennengelernt hatte, war neben sie getreten. Er gab ihr einen kurzen Ruck mit dem Ellbogen und grinste, was das Zeug hielt.

      »Du sollst dich nicht immer so heranschleichen!«, fuhr sie ihn an, winkte dann aber ab. Er meinte es ja nicht böse. Und offengestanden war sie dankbar dafür, dass Erwin mit ihr auf den Hunsrück gekommen war. Als sie in Frankfurt angekommen war, hatte sie sich doch etwas einsam gefühlt, insbesondere, da sie Joshua und die anderen vermisst hatte. Zudem hatte man sie gemieden. Es lag an ihrem Aussehen, sie wusste es. Sie drängte die Gedanken zurück. Damals, nach den ganzen Operationen, der Chemo, den Bestrahlungen und dem ganzen anderen Mist, hatte sie Schlussmachen wollen. Der erste Blick in den Spiegel. Der Schrei. Das war nicht sie! Das war ein Monster! Heiße Tränen, und dann der kalte Blick von Sam, dem sie gleichgültig war. »Am besten bleibst du im Haus, sonst erschreckst du die Nachbarn«, hatte er gesagt. Und noch einige andere hässliche Dinge. Sie hatte geschwiegen, gelitten und sich verkrochen. Sie schüttelte unwirsch den Kopf. Sie wollte diese Gedanken nicht. Nie mehr.

      »Böse Ahnungen?«, redete Erwin weiter. Er schloss kurz die Augen und ließ sich die wärmenden Sonnenstrahlen aufs Gesicht scheinen.

      Charlotte nickte. »Die Gauleiter der Nachbardörfer wollen das Gut. Und ich weiß nicht, wie wir es halten können, wenn sie uns angreifen. Sie sind uns überlegen. Von der Zahl her - und vor allem in ihrer Bereitschaft, über Leichen zu gehen.«

      Erwin öffnete die Augen, wandte sich ihr zu und runzelte die Stirn. »So schwach sind wir auch wieder nicht. Wir haben hier gute Leute, die das Gut verteidigen werden. Wir sind ja bereit zu teilen, oder etwa nicht?«

      Charlotte schüttelte den Kopf. »Da wollen einige nicht teilen, die wollen alles, Erwin. Ich hab´s im Blick von denen gesehen. Und mir gefällt vor allem nicht dieses alberne Nazigehabe, das viele hier an den Tag legen.«

      Erwin legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Charlotte, alles zu seiner Zeit. Halte mich nicht für so naiv! Wir bilden die Jugendlichen aus und trainieren jeden Tag. Die Zäune halten. Das Gut liegt günstig. Niemand nähert sich ungesehen ...«

      Charlotte ließ den Blick über das weite Land schweifen. Alles wirkte so friedlich und ruhig. Ein sanfter Wind war aufgekommen, der mehr an Sommer als an Herbst erinnerte. Für einen Moment glaubte sie, das Grunzen von Untoten gehört zu haben, aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Es spielte keine Rolle. Die Wachmannschaften patrouillierten permanent - und die Untoten waren langsam, träge und unflexibel.

      »Ich schaue mal, ob ich den ausgefallenen Generator wieder zum Laufen bringe. Wenn ja, klicke ich mich kurz durch die Reste des Internets. Vielleicht bekomme ich über den Kurzwellenempfänger auch wieder die Festung rein. Ich spiele da gerne Mäuschen, falls die Marodeure doch wieder eine Attacke starten. Ich hab´s im Urin, da kommt was.« Erwin wippte auf den Fersen vor und zurück. Wieder wirkte er so harmlos, fast naiv, kindlich.

      »Mach mal, Erwin«, sagte Charlotte lächelnd. Der untersetzte Mann mit dem Mondgesicht und der Frohnatur entfernte sich von ihr.

      Sie musste grinsen, wenn sie an den Tag dachte, als sie bei der Dame von der Drohnenleitstelle vorstellig wurde und darum bat, mit einer der Drohnen auf den Hunsrück mitfliegen zu dürfen. Die Frau hatte sie angeglotzt, als hätte sie nicht alle Tassen im Schrank. Die Idee war Charlotte spontan gekommen, vielleicht war es auch eine Eingebung gewesen. Die neuen Lastdrohnen nahmen bei Bedarf auch Personal mit. Bis zu vier Personen konnten so transportiert werden. Charlotte hatte aus verschiedenen Gesprächen mitgehört, dass die Festung bis über den Rand gefüllt war und bald keine neuen Überlebenden mehr aufnehmen konnte. Da lag es auf der Hand, dass man ihrem Wunsch entsprechen würde. Immerhin bedeutete ihr Fortgehen, dass es einen Esser weniger gab, der in der Festung durchgefüttert werden musste. Und dann war noch Erwin dazugekommen. In den ersten Tagen war sich Charlotte nicht sicher gewesen, was sie von der Frohnatur mit dem Mondgesicht halten sollte. Er redete zu viel, war zu vergnügt und dann wieder überängstlich, wenn es um die Marodeure ging. Aus den Gesprächen hatte sie erfahren, dass er in einem der Nachbardörfer von Gut Hohefeld gelebt hatte. Er war auf dem Hunsrück geboren, war Klempner gewesen und hatte eine ziemlich unglückliche Ehe mit einer sehr widerwärtigen Frau und einer noch ekelhafteren Schwiegermutter überlebt. Doch Erwin Müller war lange nicht so naiv und trottelig, wie er auf den ersten Blick erscheinen mochte. Das hatte Charlotte sehr schnell herausgefunden. Erwin war ein Tüftler, der fast jedes beschädigte technische Gerät wieder auf Vordermann bringen konnte. Vor allem aber war er eine ehrliche Haut und ein liebenswerter