Kurz darauf hoben sie ab und flogen den kleinen Flugplatz an, wo Candy noch Brennstoff zu finden hoffte, doch auch hier war bereits jemand gewesen. Nicht ein Kanister stand noch herum. Die großen Zapfsäulen gaben auch nichts mehr her, was verwunderlich war, immerhin waren dort Tausende von Litern gebunkert gewesen. Candy hatte beim letzten Mal die Tankanzeige kontrolliert. Jetzt war kaum noch ein Tropfen vorhanden. Wer immer das Kerosin weggeschafft hatte, musste über einen Tankwagen verfügen oder sogar mehrere. Es war unheimlich.
»Fliegen wir heim«, sagte Candy resigniert.
Sie gingen zur Bell-212 zurück und stiegen ein.
»Sollen wir uns noch bei einigen anderen Malls umsehen, wenn wir schon einmal hier draußen sind?«, fragte Mary-Ann. Sie hoffte, dass es für die nächste Zeit der letzte Flug gewesen war. Irgendjemand machte sich offensichtlich im Umland breit, und die Luxusferienhäuser auf den Inseln waren bekannt. Genauso die Feriendomizile. Das hieß: Über kurz oder lang bekamen sie Besuch.
»Nein«, meinte Joshua. »Ich denke, wir sollten direkt nach Hause fliegen.«
Candy nickte, sagte aber: »Nach Hause schon, aber nicht direkt. Ich werde es machen wie zu der Zeit, als Seamus Abigail nach mir suchte, und fliege einen Verschleierungskurs. Wir fliegen zuerst nach Norden und drehen dann ab. Ich gehe davon aus, dass man längst weiß, dass wir hier sind, aber ich will sie nicht vorzeitig auf die Inseln aufmerksam machen. Wer immer sich hier herumtreibt, kommt früh genug auf die Idee, sich auf den Inseln umzusehen ... Da können wir sicher sein.
»Gut«, sagte Joshua. Mary-Ann nickte nur. Auch sie beschlich ein ungutes Gefühl. Sie fragte sich, wie sehr sie und die anderen sich schon verändert hatten und paranoid auf andere Menschen reagierten. Früher hätten andere Menschen Hilfe bedeutet. Und jetzt? Jeder Mensch konnte der Feind sein, der einem das Essen nahm - oder die Kleidung. Oder gar das Leben ... Es erschien wie gestern, als die Welt noch in Ordnung war, mit all ihrer Schlechtigkeit, mit all den verkommenen Politikern und Heilspredigern, doch jetzt nahm alles eine neue Dimension an. Es war bestimmt keine gute ...
Candy ließ den Hubschrauber steigen und ging auf Nordkurs. Der Blick nach unten zeigte nichts Außergewöhnliches. Zerfallene Häuser, verstopfte Straßen, Untote und Leichen. Einige Untoten standen in Gruppen herum, andere liefen ziellos umher. An einigen Stellen brannte es, doch es war niemand da, um die Flammen zu löschen. Vielleicht würden die Brände ja auch von selbst ausgehen - oder durch den Regen gelöscht, der garantiert bald wieder fallen würde. Es blieb sich gleich. Vielleicht verbrannten in den Flammen wenigstens einige der Untoten. Davon gab es eh viel zu viele.
Der Rest des Fluges verlief schweigend.
»Ein weiterer Hubschrauber fehlt uns noch in der Sammlung«, meinte der stiernackige Mann zu seinem kleineren Partner. »Das wird den Chef freuen.«
Sein Partner spuckte auf den Boden. »Die Gruppe ist fast schon zu groß.«
»Lass das den Chef entscheiden!« Die Stimme des Stiernackigen klang aggressiv. »Der Chef will Ordnung schaffen. Er weiß, was er tut.«
Der kleinere Mann wollte etwas erwidern, entschied sich dann aber anders. Es war nicht gut, den großen Mann zu reizen. Sie kannten sich erst seit zwei Wochen, doch der kleinere Mann wusste, dass sein Partner nur über wenig Humor verfügte und zu gerne und vor allem zu schnell zuschlug.
»Machen wir uns auf den Weg zurück ins Camp«, sagte der Stiernackige nach einem Moment.
Der kleinere Mann erwiderte nichts. Sie sahen dem Hubschrauber hinterher, der nur noch ein kleiner schwarzer Punkt war, der sich nach Norden bewegte. Der Chef würde einen Spähtrupp nach Norden entsenden, da waren sich beide sicher. Ein Hubschrauber hieß Mobilität. Der Pilot würde sich bestimmt kooperativ zeigen. Und wenn nicht ... Nun, es gab Mittel und Wege. Gewalt führte immer zum Ziel, das wusste der stiernackige Mann. Brutale, bestialische Gewalt, es war die einzig gültige Währung, mit der man alles bekam, in diesen Zeiten. Es war nicht gut, sich unkooperativ zu zeigen, wenn Seymour Duncan etwas wollte. Gar nicht gut ...
»Verstehst du eigentlich alles, was Duncan so sagt?«, fragte der kleinere Mann.
Der Stiernackige zuckte die Achseln. Er furzte, dass es nach faulen Eiern stank. »Nö, der war mal Professor oder so was. Das ist mir zu hoch. Aber er und seine Leute werden schon recht haben. Besonders diese Shalia. Mann, ist die scharf, die würde ich gerne mal vernaschen ...«
Der kleinere Mann grinste und griff sich zwischen die Beine. »Ich habe gehört, dass die auf ganz schlimme Sachen steht. Ich habe mal gelauscht, als sie einen in der Mangel hatte, im Krankenbereich. Der Kerl hat geschrien wie am Spieß ...«
»Vor Geilheit?«
»Woher soll ich das wissen ...«
»Auch egal, los, machen wir, dass wir zurückkommen.«
7 Im Stützpunkt
Kasachstan
In der Steppe, irgendwo bei Scheskasgan
»Das alles macht keinen Sinn«, meinte Otis. Er drehte sich nach Jessica um, die auf einer bequemen Ledercouch des spartanisch eingerichteten Zimmers Platz genommen hatte und seelenruhig las. »Man hat uns nicht getrennt, nicht bedroht, ist höflich und fragt nach unserem Befinden. Nein, das ergibt keinen Sinn.«
Jessica warf das Magazin, in dem sie gelesen hatte, achtlos auf den Tisch. Die Räumlichkeiten, in die man sie und Otis gebracht hatte, verfügten neben dem großen Wohnraum mit Einbauküche über ein Bad sowie zwei Schlafzimmer. Das Einzige, was an der Unterkunft nervte, war, dass es keine Fenster gab und nur die Leuchtflächen an der Decke für Helligkeit sorgten. Der einzige Hinweis, dass es sich - bei allem Komfort - um eine Arrestzelle handelte, war die verschlossene Tür, die offensichtlich von außen per Schlüssel oder Keycard zu öffnen war. Auch innen befand sich an der rechten Seite neben der Tür eine Art Kartenleser in der Wand, in den man wahrscheinlich eine entsprechende Karte hineinschieben musste, um die Tür zu öffnen.
»Vielleicht denken wir zu sehr in den alten Bahnen der Geheimdienste«, sagte Jessica nachdenklich. »Warum sollten sie uns auch etwas antun? Uns sind die Hände gebunden, die Besatzung der ISS ist in der Hand der Kasachen oder Russen - oder wer auch immer hier das Sagen hat.«
Otis runzelte die Stirn. »Und du glaubst, die lassen uns irgendwann einfach so gehen?«
»Weiß ich nicht. Aber Grichenko erwähnte ja mehrfach, dass wir irgendwann mit dem General reden werden - wer immer das ist.«
»Und wenn das ein Typ á la Seamus Abigail ist?«, fragte Otis.
»Glaube ich nicht. Die Leute hier wirken nicht wie Fanatiker. Was ich mithören konnte, lässt jedenfalls nicht den Rückschluss zu, dass hier jemand nach der Macht strebt.«
Otis nickte. »Ist dir bei deinem Kurzverhör vielleicht sonst noch etwas aufgefallen, irgendein Gesprächsfetzen?«
»Nein. Einige zeigen sich besorgt, weil der Kontakt zu den anderen Städten in Kasachstan immer schwieriger wird, dann wird befürchtete, dass in einem AKW etwas schiefgelaufen sein könnte. Aber das war es auch schon.« Jessica winkte ab. »Wir müssen abwarten, Otis.«
»Ja, klar. Mir wäre es lieber, ich wüsste, auf wen oder was ich mich einstellen muss. Ich erkenne keinen Gegner, keinen Feind, nur einen Rivalen, der zuerst ein Heilmittel gegen das Zombievirus herstellen will ...«
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet. Hauptmann Grichenko, der von zwei Wachen begleitet wurde, trat in den Wohnraum. »Sind Sie zufrieden mit Ihrer Unterkunft? Brauchen Sie vielleicht sonst noch etwas?«
»Danke, alles bestens«, erwiderte Jessica, die den Hauptmann anlächelte. Otis schüttelte nur schwach den Kopf.
»Gut«, meinte Grichenko. »Ich werde Ihnen jetzt die wissenschaftliche Abteilung zeigen, damit Sie Ihren Leuten in den Staaten einen Überblick über unsere Arbeit geben können. Die internationale Kommunikation