Tempus Z. Jo Caminos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Caminos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738092905
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schimpfte Otis. Jessica und er waren stehen geblieben. Sie drehten sich um. Uniformierte kamen auf sie zu. Im Hintergrund rumpelten zwei Panzer über die Steppe. Offensichtlich schickte auch Kasachstan ein Empfangskomitee für die Besatzung der ISS. Noch richtete man keine Waffen auf sie, doch Otis wollte nichts riskieren. »Lass die Waffen stecken«, sagte er, doch Jessica verzog nur die Lippen.

      »Hältst du mich wirklich für so blöd?«

      Otis erwiderte nichts darauf. Wenig später hielt ein hochgewachsener Mann vor ihnen an, der von zwei Soldaten begleitet wurde. Er grüßte höflich, doch die Ironie in seinem Lächeln war nicht zu übersehen.

      »Willkommen in Kasachstan. Ich bin Hauptmann Grichenko vom kasachischen Sicherheitsdienst. Darf ich Sie bitten, mich zu begleiten.«

      Otis und Jessica schenkten sich einen schnellen Blick. Aus dem Hintergrund näherten sich weitere Transportfahrzeuge. Es musste irgendwo einen Stützpunkt geben. Die Außenübertragung des Jets hatte auf jeden Fall keinen Hinweis geliefert, dass sich irgendjemand in der Steppe aufhielt. Und über Satellit war auch keine Warnung aus Cleveland gekommen.

      »Und was geschieht jetzt?«, fragte Otis.

      Grichenko lächelte. »Sie werden unsere Gäste sein, vorläufig, dann wird der General darüber entscheiden, was mit Ihnen beiden geschieht. Ach so, Sie beide wollten doch die Besatzung der ISS abholen, nicht wahr? Nun, ich denke, daraus dürfte nichts werden. Wir Kasachen sind nicht so rückständig, wie Sie vielleicht denken mögen. Die Besatzung der ISS könnte die letzte Hoffnung für die Menschheit sein. Und Sie können sicher sein, dass wir hier einige der besten Mediziner, Genetiker und sonstige Wissenschaftler haben, die das Blut der Männer und Frauen untersuchen werden. Wir werden einen Impfstoff entwickeln - und die Welt wird eine Chance haben. Noch Fragen?«

      Otis verzog die Lippen. Noch Fragen? Wir sind eine große, liebe Familie und helfen uns so selbstlos ... Wo war noch der Haken?

      Jessica lächelte den hochgewachsenen Offizier an. »Viele, Hauptmann, aber ich denke, Sie werden sie uns jetzt nicht beantworten. Wir danken Ihnen für die Information. Und wo bringen Sie uns jetzt hin? Unser - Fluggerät wurde - wie Sie sicher selbst festgestellt haben - leider zurückbeordert. Darf ich an die viel gerühmte kasachische Gastfreundschaft appellieren? In der Steppe ist es doch etwas ungemütlich.«

      Sie hatte kasachisch gesprochen, was ihr einen bösen Blick von Otis einbrachte. Er hielt es nicht für gut, zu schnell zu viel von sich preiszugeben.

      Die Brauen des Hauptmanns hoben sich. »Kein Akzent?«

      »Gutes Training«, erwiderte Jessica. Sie würde jetzt nicht offenbaren, dass sie in Kasachstan geboren wurde, dafür war später noch Zeit, wenn überhaupt.

      Der Hauptmann lächelte ihr zu.

      Jessica sah etwas in seinen Augen, was sie zu gut kannte. Sie wusste um ihre Wirkung auf Männer. Und darauf war sie nur bedingt stolz. Einige ihrer Einsätze hatten zu viel Körpereinsatz erfordert, worauf sie bei zukünftigen Einsätzen gerne verzichten würde. Aber man wusste ja nie.

      Der Hauptmann fuhr herum und erteilte einige Anweisungen. Zwei weitere Soldaten traten vor und führten Otis und Jessica zu einem Transporter. Niemand misshandelte sie, allerdings war man auch nicht übermäßig freundlich. Befehle hallten über die Steppe. Die erste der Sojuskapseln hatte aufgesetzt. Ein Mannschaftswagen und ein Ärzteteam hielten darauf zu.

      Otis erwartete, dass man sie fesseln oder ihnen die Augen verbinden würde, doch nichts dergleichen geschah. Die zwei Wachhabenden, die mit ihnen in dem Transporter saßen, starrten desinteressiert vor sich hin. Otis überlegte, ob er die beiden überwältigen sollte, doch wozu? Sie saßen hier fest - vorerst. Sie mussten abwarten.

      Jessica schenkte ihm ein optimistisches Lächeln.

      Otis war immer wieder erstaunt, wie ruhig diese Frau selbst in ausweglosen Situationen blieb.

      »Vielleicht ist es nicht so schlimm, wie es ausschaut«, raunte sie ihm nach einer Weile zu.

      »Wieso?«

      »Ich habe einige Gesprächsfetzen mitgehört, als das Ärzteteam sich auf den Weg zu der Sojuskapsel machte. Jemand erwähnte den Namen Timjonow. Wenn ich die letzten Dossiers nicht völlig missverstanden habe, ist er einer der besten Genetiker Kasachstans, eine internationale Koryphäe. Romanow Timjonow steht unseren besten Wissenschaftlern in nichts nach. Vielleicht ist es nicht das Verkehrteste, die Besatzung der ISS hier zu untersuchen. Unsere Leute können das auch nicht besser, denke ich mal.«

      »Na, dann wollen wir mal auf gute internationale Zusammenarbeit hoffen - und nicht, dass irgendein russischer Neo-Zar mithilfe eines Medikaments die Weltherrschaft an sich reißen will, nicht wahr?«

      »Was du immer denkst?«, entgegnete Jessica. Tief in ihrem Innern wusste sie, dass Otis´ Äußerung nicht von der Hand zu weisen war. Was wusste man schon von den politischen Verhältnissen in Kasachstan - oder von dem, was davon übrig geblieben war? Man wusste überhaupt zu wenig.

      Ja, fluchte Otis innerlich. Und verdammt noch mal, wo hatte die Leitstelle den Vogel hingebracht? Er meinte den Tarnkappenjet, der per Fernsteuerung in Sicherheit gebracht worden war.

      Der Transporter hielt an. Die beiden Soldaten griffen nach ihren Gewehren, hielten sie aber gesenkt.

      Otis schenkte Jessica einen schnellen Blick. Sie hatten ihr Ziel erreicht, wie immer es aussehen mochte, wo immer es sich auch befand. Die Fahrt hatte nicht lange gedauert, also konnte sich der unbekannte Stützpunkt nicht sehr weit vom Landeplatz der Sojuskapseln befinden. Die Plane wurde zurückgezogen und Grichenko, der vor dem Transporter stand, lächelte ihnen aufmunternd zu. »Ich denke, es ist das Beste, wenn Sie sich etwas frisch machen. Heißer Tee steht bereit und auch etwas zum Essen. Darf ich bitten?«

      Otis ließ Jessica den Vortritt. Ihm war nicht entgangen, wie interessiert der Offizier Jessica musterte. Otis zögerte einen Moment, dann setzte auch er sich in Bewegung. Er würde Augen und Ohren offenhalten. Man war zu nett, zu zuvorkommend. Das roch seltsam ... Nein, korrigierte er sich. Das roch nicht - das stank, nach einer Falle, nach irgendetwas, das den Tod bringen würde ... Wieso wusste man in Cleveland nichts von diesem Stützpunkt? Und wann war er eingerichtet worden? Die Sojuskapseln landeten seit Jahr und Tag in der Steppe, doch nie hatte es Hinweise gegeben, dass sich hier ein Stützpunkt befand. Unterirdisch, sagte sich Otis. Das alte Spiel der Militärs: Ich brauche auch so einen Sandkasten unter der Erde, wo ich heimlich spielen kann ... Doch womit spielten sie hier - und warum hatte man sich versteckt und sie überhaupt erst landen lassen?

      Ruhig bleiben und abwarten! Das kannst du doch ... Otis lächelte verschmitzt. Spiel den abgehalfterten Junkie. Bleib locker ...

       Deutschland

       Gut Hohefeld

      

      Charlotte sah zurück zu dem einst stolzen Herrenhaus. Sie hatte gewusst, dass ihre Mutter nach dem Tod ihres Mannes große finanzielle Probleme gehabt hatte. Die Geschäfte des ehrenwerten Hubertus von Hohefeld waren wohl doch nicht so ehrenwert gewesen. Etliche Gläubiger hatten die Hand aufgehalten - und vom ehemaligen Reichtum war wenig geblieben, fast nichts.

      Charlotte stand neben der alten Eiche, mit der sie einige der schönsten Kindheitserinnerungen verband. Wehmütig erinnerte sie sich an Szenen von damals, als die Welt groß und weit erschien. Als es eine Zukunft gab, so prächtig und strahlend, dass kein Schatten sich darin verlieren könnte. Die Szenen in ihrem Inneren wechselten. Sie stand wieder bei der Eiche ganz in der Nähe von Chesterville, dort, wo ihr Studienkollege und Freund Peter beerdigt worden war. Peter und sie hatten Seamus Abigail überlebt, sie hatten die Untoten überlebt - und doch war nur sie übrig geblieben. Ihre Freunde waren tot. Wenn sie ehrlich mit sich selbst war - und das war Charlotte meistens - vermisste sie lediglich Peter. Sonja Salzmann, das dralle reiche Mädchen mit zu viel Speck auf den Hüften, und Roland, der Gernegroß, verblassten langsam in ihrer Erinnerung. Zu