Tempus Z. Jo Caminos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Caminos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738092905
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wir erst ein Flugzeug hätten, können wir uns immer noch entscheiden.«

      »Du glaubst also wirklich, dass wir auf dem Hahn eine der Maschinen flottmachen können?«, fragte Erwin nachdenklich. Harald hatte auf den Versammlungen mehr als einmal darauf hingewiesen, dass man sich auf dem verlassenen Flughafen noch einmal umsehen sollte. Einige Spättrupps waren ausgeschickt worden. Auf dem Flughafen hielten sich nur wenige Überlebende auf. Die Lager und Vorratsdepots waren längst geplündert. Wenigstens hatten sich die Überlebenden friedlich verhalten. Die abgestellten Maschinen sahen unversehrt aus, doch da man nicht wusste, wie es dort draußen in der Welt aussah, hatte man den Vorschlag von Harald vorerst auf Eis gelegt. Was nutzte es, mit einem Flugzeug zu starten, wo der Zustand der Flughäfen größtenteils unbekannt war. Schlimmstenfalls waren die Landebahnen blockiert und man kam nicht mehr heil auf den Boden. Es hatte, weiß Gott, näherliegende Probleme gegeben. Doch die Zeiten hatten sich geändert.

      »Ich denke, wir sollten einen Ausflug zum Hahn machen«, sagte Charlotte plötzlich. »Und das so bald wie möglich.«

      »Sag ich doch die ganze Zeit«, meinte Harald.

      »Ich bin auch dabei«, meldete sich Erwin zu Wort, der übergangslos wieder tatkräftiger und optimistischer wirkte.

      »Morgen, wir nehmen den Jeep meiner Mutter«, sagte Charlotte. »Und Harald - und auch du Erwin - sagt den anderen noch nichts von den Marodeuren. Ich will nicht, dass hier eine Panik ausbricht. Die Leute werden früh genug erfahren, wie tief wir in der Scheiße stecken. Und trennt vorerst die Internetleitungen und schaltet den Kurzwellenempfänger aus ...«

      Harald und Erwin nickten nur. Erneut hatte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Charlotte fröstelte etwas, doch sie glaubte nicht, dass es an der Wolke lag, die die Sonne verdeckte. Es war wohl eher die ungewisse Zukunft, der sie entgegengingen, die sie schaudern ließ. Das Gut und die friedliche Ordnung hier waren eine Illusion, eine Seifenblase, die sehr bald zerplatzen würde. Bleiben würden Blut, Trauer und Tränen, die das Leben hier beherrschen würden, das war es, was die Zukunft brachte. Und davon hatte Charlotte mehr als genug. Es musste einen Ausweg geben. Irgendwie ...

       USA

       Lake Winnepesaukee / New Hampshire

      Der Blick aus den Panoramafenstern war atemberaubend. Über den Ossipee Mountains im Osten ging gerade die Sonne auf und schuf glitzernde Reflexe auf dem See. Im Westen verbarg ein Dunstschleier die Sicht auf die Belknap Range. Die Tür zu einer der Veranden stand offen. Frische, würzige Luft drang in den großen, gemütlich eingerichteten Wohnraum. Die Freunde saßen beim Frühstück. Schweigend genossen sie ihr Essen. Die Szene hatte etwas von Urlaubsstimmung und könnte fast vergessen machen, dass die Welt im Sterben lag, vielleicht größtenteils schon tot war oder von Untoten bevölkert wurde.

      Mary-Ann Parker betrachtete nachdenklich ihre Kaffeetasse. »Ich finde, wir sollten die Ausflüge mit dem Hubschrauber einschränken. Candy, du warst erst letzte Woche in der Region. Unsere Lager sind gefüllt. Und Kerosin, Diesel und Benzin haben wir auch noch genügend.«

      Candy stellte ihren Kaffeebecher ab. »Ich verstehe deinen Einwand, Mary-Ann. Aber ich denke, wir sollten uns nicht drauf verlassen, dass zu einem späteren Zeitpunkt noch genügend Treibstoff und Lebensmittel vorhanden sind. Da draußen sind noch immer Überlebende unterwegs. Es mag egoistisch klingen, aber ich finde, wir sollten zuerst an uns denken. Die Winter am Lake Winnepesaukee können verdammt kalt werden. Und es ist nicht mehr weit bis dahin ...«

      »Das weiß ich«, wehrte Mary-Ann ab. Candy hatte recht. Trotzdem hatte sie ein ungutes Gefühl, den Hubschrauber schon wieder auf die Reise zu schicken.

      Huntington meldete sich zu Wort, der die Diskussion der beiden Frauen interessiert verfolgt hatte. Joshua hatte damals in Whitehawk Air Force Base mehrfach von Mary-Ann erzählt, doch die Frau, die jetzt hier am Tisch saß, hatte wenig Ähnlichkeit mit der toughen Karrierefrau, die in der Medienbranche gefürchtet war, damals, als die Welt noch funktionierte, als es die Medien noch gab. Und bei Candy schien es, dass der Beschützerinstinkt für ihre Kinder immer stärker wurde. Am liebsten würde sie Leo und Janet den ganzen Tag über in der Hütte wissen, um sie immer im Auge behalten zu können. Huntington ahnte, dass es über kurz oder lang in ihrer kleinen Gemeinschaft zu Spannungen kommen würde. Mary-Ann und Candy waren beide starke Frauen; vielleicht zu stark. Und zwischen den beiden Frauen schien Joshua zu stehen, der dem Anschein nach nichts davon ahnte. Nicht nur Mary-Ann liebte ihn, auch Candy warf ihm hin und wieder verstohlene Blicke zu, sinnierte Huntington. Vielleicht fühlte Candy sich einsam. Ihr Mann war von den Schergen von Seamus Abigail ermordet worden. Sie war jung, gut aussehend - eine Frau in den besten Jahren - und sie war alleine.

      »Wir machen den Flug«, meldete sich Joshua zu Wort. Ihm war aufgefallen, wie analysierend Huntington das Gespräch verfolgt hatte. Mary-Ann hob etwas indigniert die Brauen, sagte aber nichts. Offensichtlich passte es ihr nicht, dass Joshua sich Candys Vorschlag anschloss. Oder bist du etwa eifersüchtig? Mary-Ann nippte an ihrem Kaffee. Candy war eine sehr attraktive Frau, und ihr gefiel nicht, wie Joshua und sie sich hin und wieder ansahen. Aber - vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Mary-Ann schloss für einen Moment die Augen. Sie kam sich blöde vor. Früher war sie nie eifersüchtig gewesen. Na ja, was hieß das schon. Sie war lange Single gewesen und sprichwörtlich mit ihrem Beruf verheiratet, da war kein Platz für einen Mann. Die Beziehung zu ihrem Ex-Mann war schon vor Jahren in die Brüche gegangen. Unüberwindliche Differenzen, so hieß es. Ein Euphemismus - gegen Ende der Ehe war da nur noch Hass gewesen; und gegenseitige Verachtung. Nein, das war nicht schön.

      Sie vertrieb die Gedanken und lächelte plötzlich.

      »Was ist?«, fragte Joshua, der ihr Lächeln bemerkte.

      »Nichts«, erwiderte Mary-Ann verlegen. Sie kam sich wie ein verliebter Teenager vor, der grundlos eifersüchtig war. »Okay. Schauen wir uns in der Shoppingmall in Laconia um und bunkern dann an Treibstoff, was wir kriegen können. Wir fliegen zu dritt, oder?«

      Huntington grinste sie an. »Klar. Du, Joshua und Candy. Und ich spiele die Nanny für die Kleinen.«

      »So klein sind wir nicht mehr«, meinte Janet, Candys Tochter. Sie verzog schmollend das Gesicht, und Candy strich ihr besänftigend über die Haare.

      Mary-Ann und Candy nickten sich zu.

      »Gut«, sagte Joshua, »das wäre dann geklärt.« Ihm war nicht entgangen, dass Mary-Ann Candy für einen Moment einen sehr giftigen Blick zugeworfen hatte. Zwischen ihm und Candy lief zwar überhaupt nichts, doch Mary-Ann schien das hin und wieder anders zu sehen. Es war nicht gut, wenn es zu Spannungen in der Gruppe käme. Nichts war schlimmer als zwei eifersüchtige Frauen - oder eine eifersüchtige Frau, die der vermuteten Konkurrentin die Hölle auf Erde bereitete. Joshua fühlte sich plötzlich unwohl. Er liebte Mary-Ann, dessen war er sich sicher; aber Candy hatte einfach etwas. Er hätte es nicht definieren können. Vielleicht lag es an diesem Widerspruch von Stärke und Verletzlichkeit. Sie war tough, abgebrüht und selbstständig und trotzdem ganz Frau. Geh kalt duschen!, sagte er sich. Ein kompliziertes Beziehungsdreieck war das Letzte, was sie hier und jetzt - und auch in Zukunft - gebrauchen konnten.

      »Scheint alles ruhig zu sein«, meinte Candy, als sie neben dem Hubschrauber standen. Mary-Ann und Joshua sahen zum gläsernen Portal der Shoppingmall.

      »Doch nicht so ruhig«, stellte Mary-Ann nach einem Moment fest. Jetzt hörten es auch die anderen. Ein dumpfes Stöhnen lag in der Luft. Irgendwo mussten sich noch immer Untote auf dem Gelände aufhalten. Wenn es Einzelne wären, würden sie keine großen Probleme bekommen. Anders verhielt es sich, wenn sie auf eine Herde stießen.

      Candy nahm ihre Pilotenbrille ab und sah Mary-Ann in die Augen. »Mir gefällt die Geräuschkulisse nicht. Letzte Woche waren die Grunzlaute nicht so stark. Ich glaube, da sind etliche Zombies dazugekommen. Am besten bleibe ich im Hubschrauber. Im Falle des Falles können wir dann schneller abhauen. Ihr solltet euch beeilen. Ich lasse die Rotoren im Leerlauf laufen. Das macht zwar etwas Krach, aber was soll´s. Ich