Tempus Z. Jo Caminos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Caminos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738092905
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spielte keine Rolle mehr. Es gab nur noch einen Terror - und der kam vonseiten der Untoten.

      Otis verzog zynisch die Lippen. Und so einfach ist es doch nicht. Er dachte an Seamus Abigail und die beunruhigenden Nachrichten, was es sonst noch so an politischen Extremisten gab, die langsam aus den Löchern krochen. Es gab eine Welt zu gewinnen. Eine Welt, die am Abgrund stand - oder schon längst darüber hinweggekippt war. Otis fühlte, wie ihm die Glieder schwer wurden. Kurz sah er zu seiner Agentenkollegin, dann fielen ihm die Augen zu.

      Jessica machte einige Atemübungen. Die Minuten rannen dahin. Ganz im Osten zeigte sich ein heller Streifen, der die beginnende Dämmerung ankündigte.

      Ein ungutes Gefühl kroch ihr den Nacken hoch.

      Nur ein Gefühl, sagte sie sich. War es das? Oder eher eine böse Ahnung?

      Bald würden sie das Zielgebiet erreicht haben. Der Autopilot mit seiner überragenden künstlichen Intelligenz arbeitete einwandfrei, zusätzlich stand die Satellitenverbindung mit Cleveland. Es war ein Routineauftrag: Bringt die Astronauten an Bord des Jets - und dann nichts wie zurück. Es gab keine Hinweise auf kasachische oder russische Truppenbewegungen. Die Steppe lag ruhig da, das besagten zumindest die letzten Satellitenfotos. Trotzdem ... Es klang alles zu simpel. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Du denkst hin und wieder viel zu kompliziert und siehst überall Gespenster ... Vielleicht solltest du irgendwann doch den Job wechseln.

       USA

       Lake Winnepesaukee / New Hampshire

      »Nachrichten aus der großen weiten Welt?«, fragte Joshua Cunningham leise. Er trat hinter die Frau, die fast genauso groß war wie er, und küsste sie in den Nacken.

      Mary-Ann Parker lächelte. »Leider nein. Nur das Übliche. Hier ein Zusammenbruch, dort eine Durchhalteparole. Josh, es sieht verdammt schlecht aus.«

      Er küsste sie auf den Mund. »Hier sind wir sicher. Zumindest vorläufig.«

      Sie beide ließen den Blick über den See schweifen. Nebelschwaden zogen über das Wasser. Einige der weiter entfernt liegenden Inseln wurden von ihm verschluckt. Die Szenerie war friedlich, fast zu friedlich - und sie konnte vergessen machen, dass dort draußen eine Welt im Sterben lag, vielleicht schon gestorben war.

      Mary-Ann fröstelte. Sie drehte sich um und sah zurück zu ihrer Hütte, wobei die Bezeichnung Hütte die schamloseste Untertreibung des Jahrtausends war. Die Hütte war ein mit allem technischen Schnickschnack ausgestattetes High-end und High-Tech-Etablissement der oberen Nobelklasse. Hier ließ es sich aushalten.

      Joshua winkte der Frau zu, die aus dem am Ufer geparkten Helikopter ausstieg und langsam auf die Treppe zuging, die zum Eingang der Hütte hinaufführte. Es war Candy Borowsky, eine desertierte Pilotin der US Air Force, die zusammen mit Joshua, Edward Huntington und ihren beiden Kindern den Fängen des selbst ernannten Senators Seamus Abigail entkommen konnte.

      »Gehst du heute auf Erkundungstour?«, rief Mary-Ann.

      Candy blieb kurz stehen und wischte sich die Hände an einem Lappen ab. Selbst auf die Entfernung hin war zu sehen, dass ihre Wangen etwas Schmieröl abbekommen hatten. »Nein. Ich bleibe nur bei meiner Routine und checke die Kiste regelmäßig durch. Meine Bell braucht das, sonst fühlt sie sich nicht wohl. Das ist alles.« Candy lächelte. Sie nickte den beiden zu, stieg die Treppe hoch und wollte gerade die Tür öffnen, als Edward Huntington, der Psychiater, der Joshua damals das Leben gerettet hatte, als Untote das Gefängnis überrannten, ihr zuvorkam. Hinter ihm erschienen Candys Kinder Janet und Leo in der offen stehenden Tür. Die beiden juchzten und hetzten die Treppe herunter und liefen in Richtung Ufer. Sie winkten ihrer Mutter kurz zu, als sie an ihr vorbeischossen. Candy wollte zu einer Ermahnung ansetzen, nicht zu laut zu sein, ließ es dann aber bleiben. Hier auf der Privatinsel hielt sich niemand außer ihnen auf. Keine anderen Menschen - vor allem aber keine Untoten. Und das Ufer zum Festland war weit genug entfernt.

      »Lass sie«, meinte Huntington lächelnd, als Candy neben ihm stehen geblieben war. »Wer weiß, wie lange sie noch so unbeschwert herumtoben können. Denk an den ganzen Scheiß, den wir hinter uns haben.«

      Candy grinste ihn an. »Scheiß? - und das aus deinem Mund. Edward, du machst dich immer besser.«

      Er grinste sie an und zuckte fast entschuldigend mit den Achseln.

      »Bin unter der Dusche. Muss etwas Schmieröl loswerden«, fuhr Candy fort und verschwand im Haus.

      Huntington sah zu Mary-Ann und Joshua, dann zu den beiden Kindern. Er sog die frische Luft des Morgens tief in seine Lungen und schloss für einen Moment die Augen. Hier auf Mary-Anns Privatinsel im Lake Winnepesaukee konnte man fast vergessen, dass die Welt untergegangen war. Aber die Ruhe war trügerisch. Niemand wusste, wie es im Rest der Staaten oder sonst wo auf dieser gottverdammten Welt mittlerweile aussah. Die radioaktive Wolke, die nach der Kernschmelze in Japan über den Pazifik getrieben war, hatte sich, so sah es zumindest aus, weiter nach Norden verzogen. Trotzdem. Keiner wusste, wie es um die vielen Kernkraftwerke bestellt war, ob man sie kontrolliert hatte herunterfahren können - oder ob irgendwo doch eine weitere Kernschmelze bevorstand. Die Diesellager in der Hütte waren nach vor gut gefüllt, und auch für Candys Hubschrauber gab es in der Region noch genügend Tankmöglichkeiten. Der Lake Winnepesaukee war ein gerne besuchtes Freizeitziel - gewesen. Wie es in den Hotels und Shoppingcentern der umliegenden Gegend mittlerweile aussah, war noch größtenteils ungewiss. Aber noch herrschte kein Mangel an Nahrungsmitteln. Der größte Vorteil war, dass die Hütte über eine Frischwasserquelle verfügte. Nach ihrer Ankunft aus Boston hatte Mary-Ann in den darauffolgenden Wirren die Umgegend auf dem Motorrad inspiziert. Als die ersten Warnmeldungen kamen, musste es zu einer Massenflucht aus dem Gebiet des Lake Winnepesaukee gekommen sein. Anstatt sich in die Wälder zu flüchten, hatten die meisten Feriengäste versucht, über die verstopften Highways nach Hause zu kommen. Auf den Straßen sah es böse aus. Da Mary-Ann jedoch mit einem Motorrad nach New Hampshire geflüchtet war, hatte sie die meisten Hindernisse zumeist problemlos umfahren können. Selbst die Untoten, die sich nach wie vor sehr langsam und schleppend bewegten, waren nicht die größte Gefahr gewesen, mit der sie sich während ihrer Flucht hatte herumschlagen müssen - die ging nämlich von einigen Idioten aus, die Mary-Ann das Motorrad hatten abnehmen wollen. Mehr als einmal war es ihr gerade so noch gelungen, ihren Häschern zu entkommen. Doch sie hatte es geschafft: ganz alleine, ohne fremde Hilfe. Dann hatte das Warten begonnen. Sie hatte am Satellitenempfänger gelauscht. Tag für Tag. In der ersten Zeit hatte sie noch ihren Blog gepflegt, doch die Internetverbindungen waren irgendwann zusammengebrochen. Nur noch sporadisch schien das Tor-Netz zu funktionieren.

      Huntington schüttelte den Kopf, als er an ihre Ankunft mit dem Helikopter dachte. Mary-Ann war auf einer Exkursion im Umland gewesen und just in dem Moment zurückgekehrt, als die Gruppe um Huntington die Hütte durchsuchte. Am nahe gelegenen Ufer war plötzlich ein schwarzes Motorrad erschienen, mit einem Fahrer in schwarzer Kluft. Es war Mary-Ann, die die Maschine mit Reisig und Tarnmatten im Gebüsch zurückließ und mit einem Boot mit Außenbordmotor zur Insel übersetzte.

      Und so warten wir, dachte Huntington nachdenklich. Doch worauf ...? Mary-Ann hatte berichtet, dass es auf einigen der Inseln weitere Überlebende gab, die jedoch keinen Kontakt wollten. Am Lake Winnepesaukee gab es ca. 250 Inseln, teils mit teuren Feriendomizilen, einige davon richtige Luxusvillen. Aber jeder machte sein eigenes Ding. Mary-Ann hatte berichtet, dass man auf sie geschossen hatte, als sie sich mit einem der beiden Boote den benachbarten Inseln genähert hatte. Offensichtlich war man der Ansicht gewesen, sie hätte es auf Nahrungsmittel oder anderes abgesehen. Seit der Zeit hielt sie Abstand. Und - zumindest - bis jetzt, war es zu keinen weiteren Zwischenfällen gekommen. Keiner der anderen Überlebenden hatte sich Mary-Anns Insel genähert. Abends sah man hin und wieder einen schwachen Lichtschein in den anderen Domizilen, aber das war es dann auch schon.

      Schwing dich aufs Trimmrad, sagte sich Huntington. Er war fit wie seit Jahren nicht mehr. Irgendwie hatte ihm die Zombiekrise die alte Unlust gegen alle Arten von Sport aus den Knochen getrieben.