Das Kreuz im Apfel. Sabrina Schmid. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabrina Schmid
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762290
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auf und kommandierte gleich wieder alle herum. Ich glaube, dass sie mir ein bisschen freundlicher zugetan ist, weil ich ihr während der Schmerzen die Hand gehalten und ihr gesagt habe, dass Gott in seiner Weisheit sehr nachtragend sein muss, wenn alle Frauen wegen Evas Sünden solche Schmerzen ertragen müssen. Da hat sie gelacht und schon ist das erste Kind hinausgeflutscht. Der Pfarrer hat mir heute gesagt, dass ich im Herbst in die Schule gehen darf. Darüber freue ich mich am meisten.«

      6

       Juni 1841

      Auf den ersten Blick war die Schwangerschaft nicht sichtbar, aber Katharina verstand die verräterische Wölbung des Bauches, wenn sich Maria das Nachtgewand überstreifte. Sie sagte nichts dazu. Anders Margarethe, die sie ohne Umschweife danach fragte, wie lange ihr das Geblüt schon ausgeblieben sei. Zuerst leugnete Maria heftig, meinte, alles sei wie immer. Erst als ihr Margarethe eine Ohrfeige versetzte, schien sie sich ihrer Lage bewusst zu werden.

      »Vielleicht geht es noch weg«, hoffte Maria. »Ich habe gehört, es gibt bestimmte Sude, die Krämpfe verursachen. Weißt du darüber Bescheid?«

      »Gehört habe ich davon. Was du genau einnehmen musst, weiß ich nicht. Könntest die Büttin fragen, die kennt sich damit sicher aus«, beratschlagte Margarethe sie.

      »Das lässt sie mich sicher etwas kosten.« Über Gespartes verfügte sie nicht. Wovon sollte man bei dem geringen Lohn etwas sparen? Keiner von ihnen besaß mehr als eine Garnitur Unterwäsche. Im Sommer ging man eben ohne, wenn man keine Lust hatte, sie zu waschen. In der kalten Jahreszeit mussten sie die Leibwäsche abends waschen, damit sie morgens etwas zum Anziehen hatten.

      »Geh zum Wengler und bitte ihn darum. Auf dich draufhüpfen wollte er auch.«

      Maria schwieg.

      »Überlege nicht blöd hin und her. Wenn du das Kind erst spürst, hast du dich vor dem Herrn nicht nur der Unzucht schuldig gemacht, sondern des Kindsmordes.«

      »Kindsmord? Aber …«

      »Das Kind lebt, wenn du es spürst, oder etwa nicht?« Margarethe verlor langsam die Geduld mit der dummen Gans. Sie löschte das Licht und schlüpfte unter die Decke. Erst gestern hatten sie die Strohsäcke in die Scheune getragen und das alte Stroh gegen frisches getauscht. Dies war die insgeheime Belohnung für die mühselige Getreideernte.

      »Er hat gesagt, ich solle mit meinem Balg zu einem anderen gehen. Immerhin wüsste er, ich ließe mich von jedem besteigen«, flennte Maria.

      »Sssch, sei leise, sonst hört dich noch das ganze Haus. Hast wirklich was anderes erwartet?«

      »Ich habe mich nur mit ihm vereinigt! Mit keinem anderen.«

      »Ich weiß, du dumme Gans. Er weiß das auch. Aber was kümmert ihn das? Das Kind kriegst du und an dir bleibt es hängen, nicht an ihm.«

      »Kannst du nicht morgen mit ihm reden?«, bettelte Maria.

      Margarethe streckte sich auf der frischen Schlafunterlage aus und gähnte: »Wenn du meinst, dass es was bringt.«

      Dazu kam es nicht mehr. Der Wengler hatte seine wenigen Habseligkeiten gepackt und war über alle Berge. Maria heulte sich zum Leidwesen ihrer Zimmergenossinnen in den Schlaf.

      »Was ist sie?«, schrie Karl Sperl.

      »Schwanger«, wiederholte seine Frau.

      »Von wem?«

      »Vom Wengler. Sie will es ihrer Mutter bringen.«

      »Die jagt sie mit einem nassen Fetzen davon! Maria ist selbst unehelich. Da braucht sie sich keine Hoffnung zu machen, dass die sich das von vorne antut. Mir ist egal, wo sie ihr Balg unterbringt. Hauptsache sie bringt es irgendwo unter. Hier bleibt sie mir jedenfalls nicht damit.« Sein Gesichtsausdruck duldete keine Widerworte.

      Katharina erhitzte Wasser in einem großen Topf und schielte zu den beiden Bauersleuten hinüber. Die Zwillinge saßen auf dem Boden und kauten an einem Stück zähen Brot. Die beiden größeren Buben ärgerten die Katze und die kleine Johanna, die mit ihren vier Jahren noch immer nicht richtig gehen konnte. Rachitische Beine, meinte der Wundarzt im Winter. Katharina steckte viel Mühe rein, das Mädchen zum Gehen zu ermutigen. Die Kleine hatte sich Abhilfe verschafft, indem sie sich mit zur Hilfenahme ihrer krummen Beinchen auf dem Hintern über den Boden schob.

      »Franz, lass das! Das Vieh wird sie noch kratzen«, ermahnte Katharina den fast Fünfjährigen. Franz hatte sich die Katze geschnappt und hielt sie seiner Schwester vor das Gesicht.

      Karl, mittlerweile sieben, stachelte den Jüngeren gerne zu Ungehorsam an.

      »Aus lass«, bettelte Johanna, um das Wohl ihrer liebsten Katze besorgt.

      »Lass sie aus, heißt das«, berichtigte Katharina. Die Kinder und überhaupt allesamt sprachen schlampig. Auch dadurch kam sich Katharina wie eine Außenseiterin in der Gemeinschaft vor. Sie liebte Worte und geschmückte Sätze, wie sie in Büchern zu finden waren. Franz schüttelte das bereits murrende Tier mit spitzbübischem Lächeln. Das ließ sie sich natürlich nicht mehr gefallen und schlug mit den Pfoten um sich. Die ausgefahrenen Krallen trafen nicht ihren Peiniger, sondern Johanna, die vor Schreck und Schmerz aufschrie.

      »Franz! Was habe ich dir gesagt!«, schimpfte Katharina mit erhobenem Finger. Sie nahm das weinende Mädchen in die Arme und tröstete es.

      »Die Niederkunft fällt auf den November. Da können wir einige Tage ohne sie auskommen«, überlegte die Bäuerin laut.

      »Wehe du kommst mir damit, ihr die Ausfalltage zu bezahlen. Das mannsgeile Weibsstück soll froh sein, dass sie ihre Stellung behalten kann.« Er griff nach seinem Hut, den er gewohnheitsmäßig auf der Kredenz abgelegt hatte. »Schick sie mir nachher rüber in den Stall.«

      »Das übernehme ich«, stellte sich die Sperlbäuerin gegen ihren Mann. »Die Mägde sind mir unterstellt. Du prügelst sie sonst noch tot.« Der Bauer murrte nur und verschwand mit der Pfeife im Mund durch die Tür.

      »Kann das Kind von Maria nicht auf dem Hof leben?«

      Johanna lehnte an ihrer Schulter.

      »Katharina, manchmal weiß ich wirklich nicht, was in deinem Kopf vorgeht. Die Maria hat sich versündigt. Selbst wenn sich der Kindsvater nicht aus dem Staub gemacht hätte, der Wengler ist arm wie ein Hund. Wie soll der heiraten? Wir haben genug Mäuler zu stopfen«, erklärte die Bäuerin.

      »Eines mehr oder weniger macht doch keinen Unterschied«, beharrte Katharina und deutete mit einer Armbewegung auf die fünf Kinder.

      Beim Abendbrot herrschte Schweigen, so wie der Bauer es wünschte. Durchbrochen wurde die Stille nur durch das Scheppern der Löffel und das Hochziehen von Rotz. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte Maria eine Sitzposition zu finden, die ihr keine Schmerzen verursachte. Die Bäuerin hatte bei der Bestrafung ganze Arbeit geleistet. Zu ihrer Schmach war es vor den Augen aller vollzogen worden. Die Zwillingsbuben weinten, Johanna flüchtete auf dem Hosenboden unter die Eckbank, Franz und Karl kicherten und waren froh, dass nicht sie es waren, die die Prügel bezogen. Margarethe stand neben der Sperlbäuerin. Der Heiligenschein hätte ihr noch gefehlt. Katharina zuckte bei jedem Schlag zusammen und kniff nach dem dritten Hieb fest die Augenlider zu.

      7

       November 1841

      »Die gehen zum Kartenspielen und wir sitzen beim Wäschestopfen. Da kann der Herr Pfarrer noch so oft den Mann über das Weib stellen, gerecht ist das jedenfalls nicht«, beschwerte sich die dreizehnjährige Katharina.

      Die Sperlbäuerin tadelte das Mädchen, das sie in den drei Jahren fast schon liebgewonnen hatte.

      »Ich bleibe dabei. Es ist nicht gerecht. Der Josef mit seinen sechzehn Jahren darf ins Wirtshaus. Margarethe, die viel älter ist als er, darf das nicht.«

      »Das hat nichts mit